99 Luftballons - kultur 95 - April 2013

99 Luftballons von der Familie Malente im Kleinen Theater Bad Godesberg: Irre Schlagerparodie

Denver oder Dallas – unter dieser Gewissensfrage konnte der ganze Hausfrieden leiden. Damals, als man die Wochenenden noch in der Disco Tropical verbrachte, Modern Talking hörte, und die weibliche Welt sich mit Aerobic in Form brachte. „Gott, sahen wir scheiße aus“, entfährt es Dieter dreißig Jahre später bei der Wiederbegegnung mit Tanja. Schauerlich bürgerlich sind sie geworden. Klar: Irgendwann wurde zur Steigerung des Sozialprodukts in die Hände gespuckt. Aus der ehemaligen Hausbesetzerin wurde eine taffe Immobilienmaklerin, der Typ mit der tollen Plattensammlung arbeitet für einen großen Drogeriekonzern. Doch dann drücken sie den Rückspulknopf und beamen sich zurück in die enge 1980er WG-Wohnküche zu den Freunden von einst, den offenen Miet- und Telefonrechnungen und der legendären 5-Minuten-Terrine. Und zur robust zugreifenden, dauergewellten Hausmeis­terin Sikorski, in deren Kittel gleich beide Herren des munteren Quartetts mal schlüpfen. Anne Reuter und Nicole Seeger liefern die weibliche Note(n), wobei selbst Mama angesichts der wechselnden Frisuren ihr kesses Töchterchen oft nur noch an der Stimme erkennt.
Nenas friedensbewegten Hit 99 Luftballons muss man nicht auswendig können, um mit den Malentes im Kleinen Theater auf der Neuen Deutschen Welle munter mitzureiten. Die Familie Malente, gegründet von Dirk Voßberg und Knut Vanmarcke (alias Peter und Vico Malente) ist dort seit Jahren regelmäßig zu Gast mit ihren schrillen Schlagerparodien und verrückten Ausflügen in die mehr oder weniger seligen Zeiten, als die TV-Programme noch übersichtlich waren.
Die rasend schnellen Kostümwechsel gehören ebenso wie die ausgefeilte Choreo­graphie zu den von Dirk Voßberg inszenierten Revuen. Wie da aus einer braven Hausfrau flugs ein schillerndes Material Girl wird, aus der niedlichen Rosemarie eine Disco-Lady oder aus Rudi Carrell ein Udo Lindenberg ist mindestens so umwerfend wie das Pferd auf dem Flur, dem ein englischer Märchenprinz den Vorzug gibt vor einer Kindergärtnerin. „Du liebst mich nicht, ich lieb dich nicht“ – und unter Charlies Schottenrock blitzt der Union Jack auf. Knut Vanmarcke holt die Sterne vom Himmel, weil E.T. leibhaftig auftaucht. In der Schwarzwaldklinik kommt später ein gebratenes Hähnchen unters Skalpell, und beim sehr männlichen Duett „Felicità“ wird’s südlich heiß.
Nichts ist sicher vor dem parodistischen Furor dieser Erzkomödianten, die zudem noch auf der kleinen Bühne kühne Tanznummern wagen und mit ihren (per Mikroport verfremdeten und per Playback unterstützten) Musicalstimmen live den ganzen Laden unverschämt frech aufmischen. Übel war’s, wenn einem bei der Aufnahme des Lieblingshits bei Formel 1 auf den Kassettenrecorder wieder jemand dazwischen quatschte. Toll war’s, wenn man die Lindenstraße auf Video fast komplett hatte. Mit Interrail durch Europa statt mit Oma nach Bad Reichenhall – bis der Sonderzug aus Pankow und die Trabbis aus Dresden in die glückliche Bananenrepublik einfielen.
Mit irrem Tempo und verspieltem Witz vergegenwärtigen die Malentes ein historisches Jahrzehnt. Nicht alles ist dabei stubenrein oder politisch korrekt. An die Zukunft des Mobiltelefons glaubten sie damals auch noch nicht, geben Dieter und Tanja zu, bevor sie ihre iPhones zücken. Und zum Spaß noch mal richtig Gas geben. Den Skandal im Sperrbezirk lieferten sie als Zugabe, die sich das animierte Publikum heftig erklatschte. Der plötzliche Wintereinbruch ließ bei der ausverkauften Premiere zwar etliche Plätze frei, aber das „Schneechaos“ ging schließlich schon Ende der 1970er Jahre in den allgemeinen deutschen Medienwortschatz ein. Take it as a joke, fanden die sympathischen Künstler. Passt perfekt zu ihrer Show. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ¼ Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Termine:
täglich außer Karfreitag
bis zum 14.04.2013

Dienstag, 01.10.2013

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