Nora - kultur 31 - November 2006

Show down im Puppenheim - Nora von Henrik Ibsen in den Kammerspielen

Im Hause Helmer leistet man sich einen Richter. Einen richtig großen. Die bunten Farbfelder, wie Gerhard Richter sie in den späten 60er Jahren schuf, schmücken eine Wand im eleganten Interieur von Manfred Blößer. Im Hintergrund gibt's einen roten Vorhang: In der Ehe der Helmers ist alles Theater. Torvald beamt sich eine grandiose Gebirgslandschaft in den Raum, hört Gustav Mahler und dirigiert dazu ein imaginäres Orchester. Der Mann weiß sich zu inszenieren. Sein kostbarstes Ausstellungsstück ist seine Gattin Nora. Die hat natürlich auch einen Plattenspieler, eine dieser schicken alten Musiktruhen, aus der sie den melancholischen amerikanischen Kultsong Bang.Bang - I shot you down. You shot me down erklingen lässt. Nora ist blond, zierlich und sehr verführerisch. Und in sich selbst noch mehr verliebt als in ihren tüchtigen Gatten und ihre drei süßen Gören, die dem Heiligabend entgegen fiebern. Der deutet sich im stilvoll sparsam möblierten Salon mit einem winzigen roten Weihnachtsstern und riesigen Geschenkpaketen an, bevor die Axt an den Tannenbaum gesetzt wird und ein hübscher Zoo aus der Plastikerwerkstatt des Theaters die Szenerie exotisch auffüllt.
Nora trägt anfangs Feuerrot, später eins dieser Mondrian-Hängerchen von Courreges, noch später ein sehr kleines Schwarzes und am Ende zum weißen Lackmäntelchen weiße Stiefel (Kostüme: Fred Fenner) - These Boots are made for Walking. Familie Helmer leistet sich statt des Kindermädchens Anne-Marie ein irisches Au-Pair-Mädchen mit Namen Sinead (reizend mit niedlichem Lockenkopf: Sinead Kennedy), das ein bisschen so aussieht wie ein sixtinischer Putto von Raphael. Man spricht mit ihr selbstverständlich englisch, was für die Zukunft der Kids ja nicht schaden kann. Im Haus der Familie Helmer sind selbst die Menschen perfekte Dekoration. Die Geldsorgen nimmt man dem Paar nicht ganz ab. Die beiden leben schlicht über ihre Verhältnisse und zelebrieren ihr erotisches Verhältnis wie eine TV-Show.
Generalintendant Klaus Weise setzt in seiner Inszenierung von Ibsens 1879 uraufgeführtem Drama Nora auf die bürgerlichen Fassaden im kapitalistischen Realismus. Den Text hat er vorsichtig modernisiert, die Emanzipationsgeschichte elegant auf das Zeitalter des Postfeminismus zugeschnitten. Der Konflikt um das von Nora zur Lebens- und Karriere-Rettung ihres Torvald mit einer gefälschten Unterschrift besorgte Geld und die katastrophale Entdeckung dieses moralischen Fehltritts wird dabei eher zum Nebenschauplatz. Das ist konsequent, weil es in dieser Interpretation um die Konsequenzen des als Selbstverwirklichung getarnten modernen Egozentrismus und um die Abrechnung mit der Institution der bürgerlichen Ehe geht.
Das neue Ensemble-Mitglied Xenia Snagowski glänzt als junge, scheinbar naive Nora. Sie spielt die Zwitscherlerche mit Quietschestimmchen, das putzige Schmusetierchen und herzlose Barbiepüppchen nur, um ihren Mann um den Finger zu wickeln. Sie ist stahlhart, aggressiv sinnlich und blendend hysterisch. Yorck Dippe ist Torvald Helmer und fabelhaft gut als gesellschaftlicher Aufsteiger, knallharter Banker, softer Frauenversteher und lüsterner Moralist. Birte Schrein mit abenteuerlicher Turmfrisur ist die vom Schicksal gebeutelte Christine Linde, die stets Haltung bewahrt, die niedliche Nora mütterlich bis zur Demutsschwelle umsorgt und sich schließlich an dem windigen Rechtsanwalt Krogstad festklammert. Ralf Drexler spielt den Familienvater wider Willen und den verzweifelten Intriganten mit proletarischem Eigensinn. Zwei starke Gestrauchelte, die sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen - Liebe ist da kaum im Spiel. Für Nora sind die beiden ohnehin nur nützliche Spielfiguren. Weder für Christines verpasstes Leben noch für Krogstads Elend und seine bevorstehende Entlassung interessiert sie sich wirklich. Sie braucht sie zum Überleben. Den unglücklich in sie verliebten Doktor Frank macht sie mit einem schwarzen Strumpf heiß, was ihre Not aber nicht abkühlt. Zumal er die Gnade des frühen Todes hat. Roland Riebeling hält ihn sympathisch in der Schwebe zwischen hilflosem Begehren und tiefschwarzem Zynismus. Nach dem weihnachtlichen Maskenball und Noras rasender Tarantella gönnen sich die beiden erhitzten Herren einen munteren Schwips. Mit den Masken fällt auch Noras Unterwäsche.
Nur: Das ‚Wunderbare' geschieht nicht. Der plötzlich ernüchterte Torvald haut seinem reizenden Vögelchen dessen Infantilität und pädagogische Unfähigkeit um die Ohren, verzeiht jedoch prompt alles, nachdem das fatale Papier im Kamin gelandet ist. Nora steht da schon ganz weit weg hinter einer Glastür wie eine Ertrinkende im Aquarium. Der wunderliche Traum vom Wunderbarsten ist ausgeträumt, dass „aus unserem Zusammenleben eine Ehe wird“. Nora zitiert diese Utopie nur noch beiläufig und sagt „Tschüs“. Weil die berühmteste zugeschlagene Tür der Theatergeschichte dummerweise verschlossen ist, muss die Axt im Puppenhaus nachhelfen. Weil Bankdirektoren zum Selbstschutz eine Pistole brauchen, gibt es drei Schüsse im Off. Die Kinder abgeknallt? Oder nur mal wieder knapp am Herzen vorbei gezielt? Torvalds Hemd ist danach jedenfalls sehr blutig und das Magazin leer.
Das ist der Stoff, aus dem heutige Kolportage-Tragödien gemacht sind. Eine exzellente Ensembleleistung hat Klaus Weise daraus mit feinem psychologischem Seziermesser präpariert. Entschieden sehenswert! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 Std. mit Pause

Mittwoch, 24.01.2007

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