Der Rosenkavalier - kultur 30 - Oktober 2006

Die Zeit und die bittersüße Melancholie - Der Rosenkavalier von Richard Strauss in der Oper

„Manchmal steh ich auf, mitten in der Nacht, und lass die Uhren alle stehen“, sagt die Marschallin gegen Ende des ersten Aktes. Nancy Weißbach singt das so unendlich traurig, dass sich da wirklich der Abgrund der Zeit aufzutun scheint. Unter dem glänzenden Weiß ihres Schlafzimmers ist schon zu Anfang ein Stückchen des riesigen Zifferblattes zu erkennen, das am Ende die ganze Bühne (Bühnenbild: Csaba Antál) einnehmen wird. Regisseur Cesare Lievi inszeniert Richard Strauss' Rosenkavalier als einen Essay über die Vergänglichkeit und nimmt Hugo von Hofmannsthals literarisch hochkarätigen Text durchaus ernst. Leider kollidiert seine Verlagerung der Geschichte in eine unbestimmte Moderne (Lievi selbst nennt die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts) gelegentlich mit dem künstlichen Rokoko-Wienerisch des Librettos, was aber der gesamten Inszenierung keinen Abbruch tut.
Leicht erschöpft von ihrer Liebesnacht träumen die Marschallin und der junge Graf Octavian noch von der Einheit des „Du“ und „Ich“ und sind doch schon wieder sehr weit voneinander entfernt. Nancy Weißbach ist eine jugendliche, strahlend schöne Marschallin und mit ihrem leuchtenden, warmen Sopran eine Idealbesetzung der Rolle. Ihren kleinen Liebhaber überragt sie um Haupteslänge. Anjara I. Bartz (bei der mit ihr alternierenden Susanne Blattert ist der Größenunterschied geringer) spielt das 17-jährige Bürschchen mit seiner erwachten Männlichkeit absolut glaubhaft und singt die riesige Partie mit ihrem feinen Mezzosopran einfach hinreißend. Bezaubernd sind auch die kleinen Schattenspiele im Hintergrund. Fulminant gelingt das kunterbunte „Lever“ mit allerhand skurrilen Figuren und der Vorführung des italienischen Sängers (exzellent: der Tenor Bülent Külekci, seit dieser Spielzeit neu im Bonner Ensemble), der im kanariengelben Anzug einem riesigen Vogelkäfig entsteigt.
Guido Jentjens mit seinem schlanken Bass ist ein junger Ochs auf Lerchenau, dem man die ländliche Derbheit nicht ganz abnimmt, wohl aber die naive Taktlosigkeit, die Weiber vernaschende Liederlichkeit und die Habgier, die ihn eher nach dem Vermögen des Herrn Faninal als nach dessen Tochter schielen lässt. Ins Schlafzimmer der Marschallin platzt er im schwarzweißen Reiseanzug (wunderschöne Kostüme von der Italienerin Marina Luxardo), der die schwarzweißen Streifen der fürstlichen Livreen aufnimmt, aber genau das bisschen zuviel markiert, wo Eleganz in Geschmacklosigkeit umkippt.
Der soeben geadelte reiche Herr Faninal (sehr gut: Mark Morouse) ist da deutlich dezenter. Aber die Zeit ist ein Mühlrad, und anscheinend verdient er sein Brot im Mehlhandel. Jedenfalls besteht sein Palais im zweiten Akt aus riesigen Türmen von weißen Säcken, was ein etwas merkwürdiges Ambiente für die berühmte Überreichung der silbernen Rose zur Brautwerbung ist (die alte Adelssitte ist eine reine Erfindung von Hofmannsthal). Glücklicherweise lässt Sophies glockenheller Sopran (Anna Virovlansky, soeben mit dem NRW-Preis für Nachwuchskünstler ausgezeichnet) das väterliche Sackimperium schnell vergessen, so wie Octavian angesichts dieses schüchternen Püppchens allzu schnell seine Liebesschwüre vom vergangenen Morgen vergisst. Anstandsdame Marianne Leitmetzerin (die Sopranistin Julia Kamenik macht aus der kleinen Rolle ein Kabinettstück) nützt da auch nichts mehr - die beiden jungen Leute gehören einfach zusammen.
Um den ekligen Ochs endgültig aus dem Spiel zu kippen, arrangiert der Schlingel Octavian eine Maskerade in einem anrüchigen Rotlicht-Etablissement. Anjara Bartz ist als Octavian in der Verkleidung als quengelige Kammerzofe Mariandel urkomisch. Vera Baniewicz als Intrigantin Annina und vor allem Mark Rosenthal als zwielichtiger Valzacchi laufen im dritten Akt zu großer Form auf.
Ochs macht am Ende gute Miene zum bösen Spiel, die Marschallin in einem traumhaft eleganten Kleid bewahrt fürstliche Haltung. Das Schlussterzett in seiner kristallinen Klarheit ist zum Weinen schön. Fin-de-Siècle-Melancholie auf allerhöchstem Niveau. Ganz am Ende rasen die Zeiger der großen Uhr bedrohlich. Die Zeitmessung kann man anhalten, die Zeit selbst leider nicht. Auch der ab und zu durch die Szenerie geisternde kleine Mohr Mohammed kann das nicht, aber noch mit der Zeit spielen. Hofmannsthal hat dieses fremde Kind als winziges Ironiesignal eingebaut, süß und bitter wie Schokolade.
Der Opernchor - überwiegend mit solistischen Aufgaben - macht seine Sache in der Einstudierung von Sibylle Wagner wie immer hervorragend. Das Beethovenorchester unter der Leitung von Erich Wächter klang in der Premiere allerdings eher nach Lerchenau als nach Bonn und ließ viel von den feinen Zwischentönen und den haarfeinen Rissen in der Walzerseligkeit vermissen. Wettgemacht wurde das durch Lievis höchst präzise Personenführung, die sensible Gestaltung der Charaktere und die exzellente Leistung vor allem der Sängerinnen. Trotz kleiner Ungereimtheiten ein zu Recht mit viel Jubel bedachter Saisonstart der Bonner Oper. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 4 Std. mit 2 Pausen

Samstag, 02.01.2010

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