Der Sturm - kultur 29 - September 2006

Die dünne Luft der Macht und der Träume - Der Sturm von William Shakespeare in den Kammerspielen

Auf sicherem Boden bewegt sich keiner in Stefan Ottenis Inszenierung von Shakespeares später Romanze Der Sturm. Auf einem morschen Kahn hatte der ehrgeizige Antonio seinen Bruder Prospero und dessen kleine Tochter Miranda einst den Meeresstürmen preisgegeben, um selbst die Macht an sich zu reißen. Mit einem herbeigezauberten Seesturm rächt sich Prospero, der auf einer von seltsamen Geistern und Chimären bevölkerten Insel Zuflucht fand. Tanja von Oertzen spielt den magischen Beherrscher der Natur, der als Herzog von Mailand über dem Studium seiner Bücher seine politischen Pflichten vergaß. Ihr zarter, androgyner Prospero ist auch nach Jahren noch ein Fremdling in seinem neuen Reich, ein ewig heimatloser Schiffbrüchiger, der seine Macht zwar gebraucht, aber ständig selbst darüber zu staunen scheint, dass seine Pläne tatsächlich aufgehen. Prosperos Welt ist hier kein buntes Inselparadies, sondern ein eher düsteres Theater der Sehnsüchte und der Grausamkeiten. Gestrandet sind hier wohl schon viele: Zwischen den sorgfältig zum viereckigen Grenzwall aufgeschichteten grauschwarzen Kleiderbündeln liegen weiße Knochen; später werden sich daraus menschliche Gestalten erheben.
Franz Lehr - verantwortlich für Bühne und Kostüme - lässt in den Kammerspielen ein massives Floß auf- und niederfahren und schafft damit reizvolle Spielebenen für die dünne Luft oben und die dicke Luft, die sich unten aggressiv aufstaut. Eine halsbrecherisch schwankende Leiter ist die vertikale Verbindungslinie im geometrisch klar gegliederten Raum. Die junge Maria Munkert - neu im Bonner Schauspielensemble - turnt als Prosperos Diener Ariel munter über alle Höhen und Tiefen. Sie ist schwirrender Luft- und verführerischer Erdgeist und riskiert einen sehr weiblichen Blick auf Alonsos sympathischen jungen Sprössling Ferdinand (tapfer allen Liebesproben gewachsen: Jonas Gruber), den Prospero allerdings schon für die Rolle des Schwiegersohns verplant hat. In Prosperos Regie zappeln alle Figuren an mehr oder minder fein gesponnenen Fäden, die auch das friedliche Ende nicht ganz entwirren kann.
Die Geschichte von Unfrieden und Vertreibung erzählt er Töchterchen Miranda auf einem in die ersten Reihen des Zuschauerraums gebauten Sofa, als sei die Wahrheit eins der Märchen, mit denen Mütter ihre Kinder vor dem Einschlafen beruhigen. Den Schiffbruch seiner Gegner führt er der staunenden Miranda als puren Theatereffekt vor: Aus dem Bühnenboden fährt ein Aquarium hoch, in dem der ganze höfische Raubfischschwarm ums nackte Überleben planscht. Dabei sind alle längst in Sicherheit, was freilich noch keine Rettung vor den Illusionen bedeutet.
Ersoffen sind sie nicht: Der machtversessene Antonio (als charmanter Intrigant: Yorck Dippe), der mit ihm verbündete neapolitanische König Alonso (als sentimentaler Vater und spät zur Reue getriebener Sünder: Günter Alt), dessen junger Bruder Sebastian (als törichter Mitläufer mit strapazierfähigem Gewissen: Roland Riebeling) und der ehrliche alte Kanzler Gonzalo, der Prospero einst heimlich das Leben rettete (als tapferer Moralist: Ralf Drexler). Dessen Utopie einer herrschaftsfreien Trauminselgesellschaft wird Miranda (als niedlicher Teenager mit blonden Zöpfen: Nina Weiß) am Ende noch mal beschwören, nachdem sie die zweifelhafte "Schöne neue Welt" gebührend bewundert hat.
Besoffen sind Antonio und Sebastian mit Ariels Hilfe jedoch ziemlich bald. Zwischen blutigem Machtrausch und alkoholseligem Flachsinn torkeln sie direkt in die Fallstricke der überdrehten Albernheiten. In Prosperos aufklärerischem Verwirrspiel degenerieren sie zu grotesken Anarchokomikern. Sie sind die eigentlichen Wilden, die als "Wolf im Fuzzipelz" den Eingeborenen ein bisschen Aufstand einflüstern. „Freiheit” und „Ferien” brüllt die aus dem Lumpengeviert auferstandene Masse, bevor die klägliche Revolte mit Feuerwasser gelöscht wird. Der Hexensohn Caliban (als fettes Ungeheuer: Raphael Rubino) fühlt sich kannibalisch wohl, wenn's seinem Unterdrücker Prospero an den Kragen gehen soll, träumt von seinen ursprünglichen Rechten als Inselherrscher und lässt sich von allen zum Affen machen.
Ariel verrichtet brav seine Arbeit, bis endlich die versprochene Freiheit winkt. Als schillernde Nixe führt dieses Naturwesen Prosperos Feinde listig an der Nase herum, als schwarz gefiederte Harpye liest es ihnen die Leviten. Ariel murrt und faucht und singt auf den flirrenden Klangwellen, die Jörg Ritzenhoff dem Zauberspiel zukomponiert hat. Ariel ist die Verkörperung der Mittelbarkeit des Schauspiels und der Unmittelbarkeit der Musik, die die stürmisch aus den Fugen geratene Zeit in eine neue Ordnung zurückholt - allerdings eine sehr fragile und künstliche. Prosperos Insel war kurze Zeit Schauplatz von menschlicher Geschichte mit allem Wahnsinn aus Natur, Gewalt und Verblendung. Sie bleibt ein Blendwerk wie die allgemeine Versöhnung. Otteni zeigt genau dies in seiner klug gestrafften Fassung, bei der die komische Kurzweil allerdings ab und zu die Abgründe verflacht. Welche Schrecken und Zweifel dort lauern, begreift allein Tanja von Oertzens Prospero. Wie eine aus aller Welt und Zeit Gefallene behauptet sie ihr „Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind”. Es ist der Traum von einer humanistischen Utopie, die in dem von Prospero entfachten Sturm zu Bruch gegangen ist. Glücklicherweise nicht ganz - denn alles war ja nur ein Spiel zur Probe auf die Wirklichkeit. Wie riskant die Probe auf die Wahrheit ohne Magie und dienstbare Geister wird, steht auf einem anderen Blatt als den Seiten des Zauberbuches, die Prospero nachdenklich dem Meer opfert und damit auf seine geheimen Künste zugunsten seines angestammten Rechts verzichtet. Und das junge Glück von Miranda und Ferdinand einfach der unberechenbaren Zeit überlässt.
Kolonialismus- und Zivilisationskritik werden gelegentlich angerissen in diesem Sturm, der vor allem Schlaglichter wirft auf die - nicht nur politische - Ambivalenz der Macht. „Ich geh hier noch was auf und ab, bis sich das Hämmern legt in meinem Kopf", sagt Prospero/Prospera gegen Ende ziemlich ernüchtert.
Eher nüchterner, aber durchaus überzeugter Premierenbeifall auch für eine Aufführung, die bei allen windigen Turbulenzen doch mit traumwandlerischer Sicherheit die poetische Balance findet zwischen tiefschwarzem Märchen und gelassenem Zweifel an allen Utopien. Kein wüster Orkan, aber beileibe auch kein laues Lüftchen! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std. ohne Pause

Dienstag, 08.01.2008

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