Peepshow - kultur 38 - Juni 2007

Die Einsamkeit hinter den Spiegeln - Peepshow von Marie Brassard in der Werkstatt

Mit der deutschsprachigen Erstaufführung der Peepshow von Marie Brassard beendet das Theater Bonn seine kanadische Trilogie in der Werkstatt. Die frankokanadische Schauspielerin und Schülerin des berühmten Regisseurs Robert Lepage hat sich den Text (als Soloperformance auf Englisch) selbst auf den Leib geschrieben und ist damit bereits mit großem Erfolg bei etlichen europäischen Festivals aufgetreten - zum ersten Mal bei den Wiener Festwochen 2005.
Die Regisseurin Schirin Khodadadian, eins der mit viel Lob bedachten neuen Talente und jetzt zum ersten Mal in Bonn tätig, erzählt die vielen kleinen Geschichten aus Brassards rätselhaftem Sprachlabyrinth sehr sensibel. Zwischen dem filigranen Gestänge mit Leitern und einem flachen Wasserbecken in Gesine Kuhns kühlem Bühnenbild tauchen drei Figuren auf, merkwürdig beziehungslos und doch geheimnisvoll miteinander verbunden. Meis­tens in leuchtendem Rot (raffinierte Kostüme von Carolin Mittler). Das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf ist der Ariadnefaden für die ineinander verschachtelten Szenen, die weniger einem dramatischen Prinzip als einer Traumlogik folgen. „What you see is what you get“ könnte das Motto dieser Peepshow sein, die keinen erotischen Voyeurismus befriedigt, sondern fragmentarisch Sehnsüchte, Ängste und Verletzungen aufdeckt, die sich in der Phantasie zu Bildern mit brüchigem Realitätswert entwickeln.
Es sind einsame Menschen, die wie Alice hinter den Spiegeln komischen und traurigen Figuren begegnen. Sie sind Darsteller eines sich selbst immer wieder entgleitenden Selbst. Sie bleiben sich auch in intimster Nähe fremd und erleben die Gegenwart immer nur als Widerschein der Vergangenheit. Sabine Osthoff ist die naive Kindfrau, die glücklich in den Armen eines wölfischen Monsters landet: Die Schöne und das Biest. Oder als Schulkind einen tieferen Sinn hinter den Fragen ihrer Lehrerin vermutete und einen ganz anderen fand. Oder als sexy Lolita eine nächtliche Barbekanntschaft mit unsichtbaren Fäden umgarnte. Sie turnt und tanzt durch den Erzählfluss, bis irgendwann ihr bauschiger weißer Ballerinenrock wie eine riesige Blüte auf dem Teich schwimmt. Peter Nitzsche ist Mann und Wolf, zelebriert mit beißendem Witz Trennungsmöglichkeiten von einer Geliebten und mit verstörter Wut das bittere Ende einer schwulen Affäre. Er ist sanft und zärtlich und heult unvermittelt sein „I put a spell on you“ mit animalischer Aggressivität ins Mikro (Musik: Michael Barfuß). Nina Vodop'yanova ist mal die scheinbar unerschütterliche Diva, mal die selbstzerstörerische Grenzgängerin, die ihre blutige Liebeswunde beständig erneuert, um darin einen Glücksmoment zu bewahren. Sie spielt das mit einer seltsamen Abwesenheit und ist doch rasiermesserscharf präsent.
Brassards vertrackte Miniaturen aus der Grauzone des Begehrens gehen unter die Haut. Ein schmerzhafter Seelenporno aus der Werkstatt der Wörter und Metaphern. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 90 Min., ohne Pause
Im Programm bis: 17.06.07
Nächste Vorstellung: 1.06.07

Donnerstag, 06.12.2007

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 25.04.2024 12:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn