Große Freiheit (Theater im Ballsaal) - kultur 41 - November 2007

Seemannsgarn - Große Freiheit nach dem Film von Helmut Käutner im Theater im Ballsaal

So ganz entsprachen die qualmenden, saufenden, ihre Heuer verspielenden und Weiber vernaschenden Typen - rau, aber herzlich - aus dem Hamburger Rotlichtmilieu dem Idealbild des deutschen Seemanns nicht. Deshalb kam Helmut Käutners 1943 mit einer absoluten Starbesetzung gedrehter Film Große Freiheit Nr. 7 vor dem Ende der Naziherrschaft nicht mehr in die Kinos. Zum Klassiker wurde er vor allem wegen Hans Albers als Seemann Hannes, der als Stimmungssänger und Anmacher im anrüchigen Hamburger „Hippodrom“ vor Anker gegangen ist und bei dessen Chefin Anita sein Auskommen gefunden hat, weil sein jüngerer Bruder sein Erspartes durchgebracht und ihm auf dem Sterbebett seine Verflossene anvertraut hat. Und weil edle Seemänner natürlich gefallene Tauben väterlich selbstlos beschützen, bis denen ein verknallter Werftarbeiter so schöne Augen macht, dass die Fäuste fliegen.
Selbst wer den Film nie gesehen hat, kennt das Schifferklavier und die kernig-rauchige Stimme von Albers mit unsterblichen Schlagern wie Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, La Paloma und Beim ersten Mal, da tut's noch weh. Die große Zeit der christlichen Seefahrt ist vorbei, die Traditionswerften sind abgewickelt, in Hamburg wird 2010 die gläserne Elbphilharmonie als neue Hafenkathedrale eröffnet, und die stolze Viermastbark „Padua“, auf der Hannes nach seinem Versuch, als bürgerliche Landratte Fuß zu fassen, wieder in die weite Welt segelte, hat heute als russisches Schulschiff „Kruzenshtern“ seinen Heimathafen in Kaliningrad. Grund genug also, sich noch mal mit der alten männlichen Sehnsucht nach dem Ozean zu befassen. Und der alten weiblichen Sehnsucht nach Sicherheit und den Helden, die nicht gleich wieder ihre Leinen kappen.
Das Bonner „fringe ensemble“ hat sich zusammen mit dem Münsteraner Theater „phoenix5“ in der Regie von Frank Heuel auf große Fahrt begeben. Die sieben Darsteller sehen in ihren weißen Kostümen (Ausstattung: Lisa Witzmann) jedoch eher aus wie „Traumschiff“-Reisebegleiter, wenn vom Band der Landgang von Fiete, Jan und dem Kölner Irrläufer Karl rauscht. Der Film liefert nur die Tonspur zu den Dialogen zwischen der „Großen Freiheit“ in St. Pauli und der kleinen Liebe im Hinterzimmer oder Salon. Realistisch illustriert wird nichts, direkte Rollen gibt es selten, aber die Fluten der echten und falschen Gefühle schwappen energisch über die fast leere Bühne. Laila Nielsen wird als verlassene Gisa zur ratlosen Engelakrobatin unter der Zirkuskuppel, Petra Kalkutschke dreht sich bäuchlings auf einem Sesselkarussell, Justine Hauer turnt als kesse Deern durch die Kojen. Harald Redmer gibt den tapferen Seebären, Severin von Hoensbroech windet seine Stimme in Kastratenhöhen, Georg Lennartz bläst nur mit seinen Lippen ein Trompetensolo, das jede Schiffskapelle blass aussehen lässt, David Fischer ist ein Leichtmatrose mit höheren nautischen Qualitäten und könnte mit seinem Grinsen glatt Johnny Depps Karibikpiraten in die Flucht schlagen. Alle spielen mit tollkühnem Witz die abgrundtiefe Melancholie der untergegangenen Windjammer-Romantik: „Seemanns Braut ist die See, und nur der kann ich treu sein…“
Diesen Mythos können keine Riesentanker, hässlichen Containerschiffe und luxuriösen Kreuzfahrtdampfer der Welt versenken. Die höchst erfolgreiche Uraufführung dieser frechen Revision der „Großen Freiheit“ am Pumpenhaus in Münster tauchte wenige Tage später schon bei Wikipedia auf. Man sollte sich das Vergnügen in Bonn also nicht entgehen lassen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 90 Min. keine Pause

Dienstag, 08.01.2008

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