Die Banalität der Liebe - kultur 41 - November 2007

Der Philosoph und das Mädchen - Die Banalität der Liebe von Savyon Liebrecht in den Kammerspielen

Es lohnt sich, etwas früher in den Zuschauerraum zu kommen. Martin Heidegger (verkörpert von Yorck Dippe) doziert wie damals im Marburger Hörsaal mit unerbittlicher geistiger Schärfe und schwingt am Ende den Hammer, den er gern als Beispiel für die Zuhandenheit der Dinge in Sein und Zeit benutzte. Dabei geraten die Sätze selbst ins Hämmern, und man begreift unmittelbar, welch eigentümliche Faszination von den Vorlesungen des jungen Professors und radikal neuen Denkers ausging. Die erkenntnishungrige Hannah Arendt zog (wie viele andere jüdische Studenten) 1924 nach Marburg, um bei Heidegger das moderne Denken zu lernen. Im Februar 1925 begann ein Liebesverhältnis zwischen dem 18-jährigen hoch gebildeten Mädchen aus Königsberg und dem 35-jährigen ‚Zauberer aus Meßkirch', das später zu einer lebenslangen Freundschaft führte.
Die Banalität der Liebe der israelischen Autorin Savyon Liebrecht ist kein schlichtes Dokumentartheater, das die Chronologie dieser erstaunlichen Beziehung (Elfriede Jelinek verarbeitete sie bereits 1992 in ihrem Drama Totenauberg!) nachzeichnet, sondern ein höchst differenzierter und psychologisch präziser Blick auf die Verwerfungen der deutschen Geistesgeschichte im 20.Jahrhundert. Der junge Regisseur Stefan Heiseke inszeniert das in den Kammerspielen mit wunderbar ruhiger Gelassenheit, nimmt sich Zeit für Annäherungen und sorgfältige Ausleuchtungen der seelischen Brüche. Vor allem nimmt er die Sprache ernst, die hier als Grund des Verstehens selbst zum Thema wird. Gespielt werden bei aller äußeren Ähnlichkeit mit den historischen Personen und bei allen in den Text montierten Zitaten jedoch keine formalisierten Denkmuster, sondern zutiefst berührende Figuren.
Die Jerusalemer Klagemauer steht im Hintergrund der weißen Bühne von Ariane Salzbrunn. Ab und zu verharren davor stumm und mit dem Rücken zum Publikum ein paar jüdische Männer - Israel und der Streit um Arendts Eichmann-Buch mit dem Untertitel Ein Bericht von der Banalität des Bösen sind ständig gegenwärtig. In den hohen Wänden verstecken sich kleine Drehelemente für Telefone und sonstige Requisiten, weiße Stege, die wie Brücken zur Vergangenheit ausgefahren werden, und große weiße Regale für die Erinnerungsfiguren. Gelegentlich taucht aus dem Bühnenboden eine Waldhütte auf, gemahnt an Heideggers tatsächlichen Denk-Rückzugsort in Todtnauberg und ist gleichzeitig das fiktive Refugium, das Hannahs ebenfalls erfundener Studienfreund Rafael Mendelssohn seiner Kommilitonin und dem Herrn Professor widerwillig als Liebesnest zur Verfügung stellt.
Das Stück beginnt 1975, im Todesjahr von Hannah Arendt. Sie erwartet in ihrer New Yorker Wohnung den Besuch eines israelischen Studenten, der sie fürs Archiv der Jerusalemer Universität befragen will. Anke Zillich spielt bestechend genau die berühmte amerikanische Professorin - selbstbewusst in ihrer nach einer Zigarette gierenden Nervosität, elegant in ihrer Wortwahl und in der banalen Sorge um die Farbe ihrer Bluse. Sie ist die souveräne politische Denkerin, die zornige jüdische Intellektuelle und die zärtliche Frau, die ihre große Liebe im Archiv ihres Herzens und Verstandes aufgehoben hat. Anke Zillichs alte Hannah ist das lebendige Zentrum des verstörenden Erinnerungsspiels auf mehreren Zeitebenen. Maria Munkert ist die junge Hannah, die auf dem Fahrrad ihre Kreise um die Frau zieht, die sie ein halbes Jahrhundert später sein wird. Schön, stark und mädchenhaft zerbrechlich, stolz und brennend vor philosophischer Neugier, hochmütig im besten Sinn und bereit, alle Konventionen zu überspringen. Ihre junge Hannah ist sich ihrer erotischen Ausstrahlung durchaus bewusst; den glühenden Funken, mit dem sie ihren Lehrer entflammte, kennt sie. Sie trägt ein raffiniertes grünes Kleid (wunderbare Kostüme von Uta Heiseke, grün war nach historischen Zeugnissen übrigens die bevorzugte Farbe der jungen Hannah), wenn sie ihm einen Hasen zubereitet (als Fuchs hat sie ihn später in einem ironischen Märchen bezeichnet). Sie ist trotz aller demütigenden Heimlichkeiten nicht das Opfer des verführerischen Eigentlichkeits-Geredes, sie ist auf eine völlig natürliche Weise authentisch und will den Mann hinter der Maske des Weltdenkers begreifen. „Alles soll schlicht und klar und rein zwischen uns sein“, schrieb er in seinem ersten überlieferten Brief an Hannah. Sie schrieb zwei Monate später „für M.H.“ ihre hellsichtige Selbstreflexion Schatten: „Denn Fremdheit und Zärtlichkeit drohten ihr schon früh eins und identisch zu werden…"
Yorck Dippe spielt den Begriffe-Zergliederer im stilisierten ländlichen Anzug (Heideggers Lieblingskostüm wurde bei seinen Schülern und Kollegen zur Legende), ist Sprachjong­leur, ernsthafter Wissenschaftler und entschlossen Begehrender, ohne die Sorge zu verleugnen oder zu denunzieren, die in Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit zur Denkfigur gerinnt, aber völlig banal auch sein Familienleben und seine Karriere bestimmte. Heideggers berüchtigte Freiburger Rektoratsrede 1933 mit der Vision einer neuen Universität der reinen Lehre wird bei Dippe zu einem erschreckenden Fanal der Herrschaftssprache.
Als Heidegger der NSDAP beitrat und trotzdem 1934 schon seinen Hochschuldienst quittieren musste (die feindseligen öffentlichen Anwürfe - u. a. wegen undeutschen „jüdischen Denkens“ - dröhnen vom Band), ging die Jüdin Hannah Arendt längst eigene Wege. Viele angesichts der antisemitischen Gewalt unfreiwillig, aber alle entschieden.
Rolf Mautz spielt den alten Heidegger, dem Hannah nach Jahren der Ferne seit 1950 wieder regelmäßig begegnet. Er entschuldigt sich nicht dafür, dass seine theoretische „Sorge“ und sein existenzialistisches „Leben zum Tode“ für Millionen Menschen zur grausamen Realität wurden. Er zitiert sich selbst und Hölderlins Oden. Mautz macht diesen Nach- und Neuklang der Dichtung in Heideggers Denken nach der berüchtigten „Kehre“ wunderbar hörbar, zeigt den „heimlichen König“ (Arendt nannte ihn so in ihrer noblen Rede zu Heideggers 80.Geburtstag 1969) zwischen unwiederbringlichem Anspruch und verlorener Würde.
Arne Lenk macht als intelligenter junger Rafael verdrossene Miene zum Sturz seines Engels in die Arme des urdeutschen Liebhabers. Sein junger Israeli Michael Ben-Shaked hat nicht umsonst große Ähnlichkeit mit dem von Hannah tot geglaubten, sich sein Leben lang verraten gefühlten Rafael. Goethe, Hölderlin und die Sehnsucht nach dem Geist der deutschen Dichter und Denker blieben ja lebendig in den vor dem Holocaust aus Deutschland geflohenen jüdischen Familien. Hat Hannah Arendt in Heideggers Verdichtung das poetisch-philosophische Denken so geliebt, dass sie in ihrem Da-Sein alle Banalitäten seines So-Seins ertrug? Am Ende liegen die junge und alte Hannah auf dem in der Versenkung verschwundenen Hüttendach und blasen Rauchkringel in die Luft. Weibliche Versöhnung über dem tödlichen Wolkengrab von Margarete und Sulamith aus Celans Todesfuge?
Vom leuchtenden Aufbruch und der menschlichen Neigung zum Verlieren erzählt Liebrechts keineswegs banales Stück. Stefan Heisekes genauestens durchdachte, sensible Inszenierung stuft mit seinen in jedem Moment überzeugenden Schauspielern die Banalität einer alltäglichen Liebe hoch zu einer einzigartigen. Ein wirkliches Meisterwerk! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 3/4 Std. inkl. Pause
Im Programm: bis ????

Dienstag, 08.01.2008

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