Adriana Lecouvreur - kultur 51 - November 2008

Oper pur - Adriana Lecouvreur von Francesco Cilea in der Oper

Seit der Regietheater-Virus auch die Opernhäuser befallen hat, wächst das Bedürfnis, Werke des Musiktheaters ohne angestrengt moderne Inszenierungen zu erleben? Nein, so schlicht lässt es sich wohl nicht begründen, dass inzwischen konzertante Opernaufführungen häufiger auf den Spielplänen zu finden sind. Sparmaßnahmen mögen im Hintergrund stehen, aber die Präsentation von Opern als rein musikalisches Ereignis ist auch eine traditionsreiche besondere Kunstform, die der Fantasie des Publikums viel Spielraum gibt. Und dieses zeigte sich sehr begeistert nach der fraglos bestens gelungenen Premiere der konzertanten Adriana Lecouvreur im Bonner Opernhaus.
Die in Deutschland selten gespielte, 1902 in Mailand uraufgeführte Oper ist das einzige Werk von Francesco Cilea (1866 – 1950), das es zu kurzem Weltruhm brachte. Während seine Komponistenkollegen Leoncavallo und Mascagni auch nur mit jeweils einem Stück in die Musikthea­tergeschichte eingingen (I Pagliacci und Cavalleria rusticana gehören freilich zum unverwüstlichen internationalen Repertoire), blieb Cilea ein Außenseiter, der dem unsteten Komponistendasein in seiner zweiten Lebenshälfte den Lehrberuf vorzog. Nach professoraler Trockenheit klingen die feinen musikalischen Charakterstudien und großartigen melodischen Bögen in Adriana Lecouvreur jedoch keineswegs. Cilea steht am Ende der Epoche des italienischen Verismo und kann in seiner subtilen Klangsprache durchaus mithalten mit seinem ungleich erfolgreicheren Zeitgenossen Puccini.
Außerdem verlangt seine Oper geradezu nach der Bühne: Nicht nur weil sie im Theatermilieu angesiedelt, sondern weil sie ein dramatisches Meis­terstück ist. Was sicher auch an dem zugrunde liegenden Schauspiel Adrienne Lecouvreur (uraufgeführt 1849) des französischen Erfolgsautors Eugène Scribe liegt, von dessen ca. 350 Theaterstü­cken heute außerhalb Frankreichs allenfalls noch die Komödie Das Glas Wasser gelegentlich zu sehen ist. Cilea hat den Text zusammen mit seinem Librettisten Arturo Colautti auf eine tragische Dreiecksintrige eingeschmolzen, bei der hinter der sentimentalen Liebesgeschichte die soziale Brüchigkeit der Hofgesellschaft im frühen 18.Jahrhundert deutlich aufscheint. Die historische Adrienne Lecouvreur (1692 – 1730) war der umjubelte Star der Comédie Française und hatte tatsächlich eine fast zehnjährige Liaison mit dem Grafen Moritz von Sachsen (1696 – 1750), einem natürlichen Sohn Augusts des Starken und brillanten Feldherrn. Das unstandesgemäße Verhältnis führte zu einem Eklat mit der Duchesse de Bouillon, der einflussreichen Gönnerin des Grafen. Möglicherweise war sie nicht unschuldig am plötzlichen Tod der Schauspielerin, die – für ihre Zeit ungewöhnlich – großes gesellschaftliches Ansehen genoss und u. a. befreundet war mit dem Philosophen Voltaire.
Der fatale Veilchenstrauß, den Adriana am Anfang ihrem geliebten jungen Fähnrich Maurizio schenkt (dass es der Graf selbst ist, erfährt sie erst später) und der ihr am Ende in verwelktem und vergiftetem Zustand den Tod bringt, ist das durchgängige Requisit auf dem Podium, wo die Akteure ihre sängerischen Auftritte erwarten. Und wo das Beethoven Orchester Bonn unter der straffen Leitung von Lukas Beikircher (Neffe von Konrad Beikircher und Erster Kapellmeister in Darmstadt, wo der neue Bonner Generalmusikdirektor Stefan Blunier derzeit noch engagiert ist) ein schillerndes Feuerwerk mit funkelnden melodischen Glanzlichtern, solistischen Leuchtkörpern und emotionsgeladenen Passagen abbrennt, gegen das selbst „Rhein in Flammen“ ziemlich alt aussieht.
Irina Oknina (gerade zur diesjährigen Preisträgerin der Bonner Opernfreunde gekürt) singt die Titelrolle mit fabelhaft berührender Intensität; ihr heller warmer Sopran leuchtet die verletzliche Künstlerseele ebenso klar aus wie die zärtlich Liebende und die Kämpferin um ein brutal bedrohtes Glück. Unwiderstehlich schön ist sie ohnehin – vor allem die Sängerinnen haben für die Aufführung den Kostümfundus verschmäht und in ihren eigenen Kleiderschrank gegriffen. Hinter den Kulissen der Comédie Française machen Julia Kamenik (Mlle. Jouvenot) und Anjara I. Bartz (Mlle. Dangeville) damit glänzende Figur, assistiert von den etwas unauffälligeren Herren Egbert Herold (M. Quinault) und Aram Mikayelyan (M. Poisson), beide Solisten des famosen Opernchors, der unter der Leitung von Sibylle Wagner kurz und effektvoll auftaucht.
George Oniani glänzt mit tenoralem Schmelz und standfester Höhensicherheit als Maurizio, der im Damenkampf kapituliert. Daniela Denschlag mit ihrem tiefgründigen Mezzosopran ist als Fürstin von Bouillon unschlagbar; ihr Gatte (Ramaz Chikviladze als Fürst von Bouillon) verfolgt seine eigenen erotischen Interessen und damit nur am Rande die höfischen Liebes­kabalen. In der Rolle des frommen Abbé von Chazeuil mischt dabei der begnadete Spieltenor Mark Rosenthal hinterhältig lustvoll mit. Wirklich in die Herzen aller Zuschauer/-hörer singt sich der junge Bariton Lee Poulis als Theaterinspizient und Adrianas unbestechlicher, frustrationsresistenter Freund Michonnet.
Zu den deutschen Übertiteln mit geschickt eingebauten narrativen Kommentaren aus der Dramaturgie (Heribert Germeshausen) läuft die unsichtbare Geschichte mit wie spannendes Kino im Kopf. Allerdings live und musikalisch durchaus inszeniert. Ein sinnliches Experiment, das gespitzte Ohren und offene Augen verdient. Heißer, solide gewürzter Operngenuss pur, aber deshalb beileibe noch kein gedankenloses Format aus der kalten Küche der messerwetzenden Regietheater-Schlächter. Nur ein Beweis dafür, dass Musik manchmal vorsichtig mehr erzählen kann als vorlautes ­Theatergeschrei.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., inkl. Pause
Im Programm bis: 21.03.09
Nächste Vorstellung: 31.10.08

Dienstag, 17.02.2009

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