Wilson, James: Der Bastard

kultur Nr. 19 - Juli 2005

Geht es Ihnen auch so? Manchmal möchte man fort aus unserer krisengeschüttelten Gegenwart, irgendwohin, wo es zwar auch nicht so beschaulich zugeht (oder nicht nur), wo man sich aber durchaus nicht mehr engagieren muss, weil es so lange her ist, dass es einen nur noch peripher erreicht.
Ist das Jahr 1774 weit genug? Da bricht ein junger Mann aus Bristol auf, um dem todkranken Bruder den Erben in Amerika zu suchen, einen unehelichen Sohn, den dieser dort als junger Soldat gezeugt und zurückgelassen hat.
1774 war eine Reise nach Amerika an sich schon ein Abenteuer. Sie dauerte wochenlang per Schiff, und ob man heil ankam, war keineswegs sicher. Man reiste weiter per Pferd oder Kutsche, man war vielen Gefahren ausgesetzt, von Indianern, Tieren, unwegsamem Gelände, kaum bewohnten Gegenden und keinerlei Luxus oder Hygiene. Man musste schon ein Gentleman ohne Furcht und Tadel sein, und vielleicht auch ein klein bisschen naiv, man brauchte natürlich Zeit und Geld und Charme, um sich immer wieder durchzukämpfen.
Der junge Ned ist kein Held, eher ein Antiheld, ihm dreht sich der Magen um bei diversen Gemetzeln und Toten, er kann weinen und tut es, er verliert nie sein Ziel aus den Augen, den unbekannten Neffen zu finden - und er wird erst gestoppt, als er dem Tode nahe ist und so verwundet und verletzt, dass er kaum überlebt und aufgeben muss - ohne Erfolg, ohne den Bastard seines Bruders gefunden zu haben. Als er heimkommt, ist der Bruder gestorben und niemand erkennt ihn. Seine Frau hat einen anderen geheiratet, denn er galt als tot. Keiner glaubt ihm, wer er ist, und er wird wieder betäubt und verschleppt. Als er erwacht, weiß er nicht, wo er ist, aber er wird gepflegt und versorgt, eingesperrt in einen Raum und mit dem Auftrag eines unbekannten geheimnisvollen ”Herrn”, seine Geschichte aufzuschreiben, von der Abfahrt in Bristol bis zu diesem Aufenthalt in der Kammer, die er nicht kennt.
Diese Geschichte ist es, die wir lesen, atemlos und weit weg von unserem Alltag und seinen Nöten. Ein Märchen muss natürlich gut ausgehen, die zauberhafte Liebesgeschichte und ihr glückliches Ende gehören auch dazu, und ich werde sie nicht verraten. Aber ich verrate Ihnen, dass das Buch sehr gut geschrieben ist, und dass Sie, vielleicht ein wenig müde, unlustig oder indisponiert, aufs Beste unterhalten werden von Ned und seiner abenteuerlichen Geschichte.

James Wilson:
Der Bastard,
Insel,
gebunden,
Februar 2005,
523 S.,
24,90 €.

Mittwoch, 05.01.2011

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