Sussman, Paul: Der Biss des Skorpions

kultur 18 - 6/2005

Vor Jahren, als der Kalte Krieg zu Ende war, verloren die Autoren der Polit-Thriller (à la Le Carré) ihr Feindbild: Ost-West-Konflikte gaben kein Thema mehr. Also musste ein anderes her. Man fand es entweder im ganz fernen Osten oder im Nahen, wo der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ein ”weites Feld” versprach und das drumherum bis nach Amerika reichte sowie natürlich, wenn man zurückgeht in der Geschichte, bis nach Nazi-Deutschland zum Holocaust. Und welche Geschichte, die auch nur entfernt mit Israel und/oder Juden zu tun hätte, ginge nicht zurück bis zum Holocaust?
Das neue Buch von Paul Sussman - es ist das zweite des englischen Journalisten und Autors, der in London lebt und dessen Leidenschaft der Archäologie gilt - ist eins der spannendsten, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Es beginnt in Ägypten mit einem Toten in Karnack. Der ägyptische Inspektor Khalifa, eine der drei Hauptfiguren, beginnt zu ermitteln: Wer ist der alte Mann, scheinbar am Biss eines Skorpions gestorben? Und wo ist eine Verbindung zu einer anderen Toten an gleicher Stelle, deren Tod nie wirklich aufgeklärt wurde und 15 Jahre zurückliegt?
Khalifa ist etwa 40, und er hat keine Ahnung, was die tätowierte Nummer auf dem Unterarm der Frau zu bedeuten hatte. Und was der alte Mann alles in seinem Haus gehortet, gesammelt, versteckt hat, warum so abgeschieden und so gesichert? Khalifa kommt allein nicht weiter, er braucht Hilfe von den israelischen Kollegen. Er trifft auf Inspektor Ben-Roi aus Jerusalem, und die beiden sind sich per Telefon so unsympathisch, dass eine förderliche Zusammenarbeit kaum möglich scheint und erst ganz langsam und fast zum Schluss gelingt - in Deutschland, in einem geheimen Waffenarsenal der Nazis in einem stillgelegten Salzbergwerk bei Berchtesgaden. Bis dahin ist es ein gefahrvoller weiter Weg, der in Tiefen und an Grenzen führt, die den Leser in beinahe unerträgliche Spannung versetzen. 2000 Jahre Geschichte im ”Heiligen Land”, wo es keinen Frieden gibt, aber jeden Tag Tote durch Attentate und abgrundtiefen Hass. Auch die junge Palästinenserin Layla hat ihre Geschichte und spielt eine Rolle, undurchsichtig und nur scheinbar disponiert in diesem Land, der zweigeteilten Stadt Jerusalem, in der sie als Journalistin lebt und arbeitet.
Ich kann Ihnen diese Geschichte nicht erzählen, nur andeutungsweise. Zu voll ist sie vor Schicksalen und Menschen - sie reicht von der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. bis in die Neuzeit, in den winzigen Hoffnungsstrahl, als zwei Menschen aus verschiedenen ”Lagern”, ein Jude und ein Araber, gemeinsam vor der wunderbaren Menara stehen, aber wissen, dass es noch nicht zu Ende ist, nur ein Beginn, ein winziger Hoffnungsstrahl eben.
Ein Buch für ein verregnetes Wochenende, man legt es nicht aus der Hand und möchte am Ende gleich noch mal von vorn beginnen, um sicher zu sein, dass man alles richtig mitbekommen hat...

Paul Sussman:
Der Biss des Skorpions,
Piper,
gebunden,
März 2005,
458 S.,
19,90 €.

Mittwoch, 05.01.2011

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