Joyce, Rachel: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

kultur 93 – Febraur 2013

Sie ist wirklich unwahrscheinlich, denn Harold wollte eigentlich nur zum Briefkasten an der nächsten Ecke gehen und einen Brief einwerfen, eine Antwort an eine alte Kollegin, von der er 20 Jahre nichts gehört hatte und die ihm plötzlich schrieb, sie habe Krebs und wolle sich verabschieden.
Was soll man darauf sagen? Harold war nie ein Mann großer Worte, und seit er im Ruhestand ist, spricht er kaum noch, mit seiner Frau schon seit vielen Jahren nur das Allernötigste. Nun also geht er zum Briefkasten, von einem zum nächsten und so immer weiter, er kann den Brief nicht einwerfen, er genügt nicht.
Queenie hat ihm damals, vor 20 Jahren, einen so großen Gefallen getan, nur sie und er wissen davon, nein, ein Brief genügt nicht.
Harold beschließt spontan, sie zu besuchen, aber dazu muss er durch ganz England wandern bis an die schottische Grenze, denn er will zu Fuß gehen. Er hat keine Ahnung, dass er 87 Tage wandern wird und noch weniger, dass sich sein ganzes Leben verändern wird. Er geht also los, ohne Kompass und in Segeltuchschuhen. Er teilt Queenie mit, dass er sie besuchen wird und sie retten will, sie soll leben!
Ein bisschen naiv ist er ja, dieser Harold Fry, aber so ungeheuer liebenswert!
Er wird viel erleben unterwegs, viele Menschen treffen, die ihn sogar teilweise begleiten. Journalisten tauchen auf und das Fernsehen, er wird berühmt, aber das will er doch gar nicht, er will nur ankommen und eine Dankesschuld abtragen, trotz Wind und Wetter und Blasen und Erschöpfung.
Es ist ein leises und rührendes Buch. Harold arbeitet sein Leben auf und wir nehmen daran teil. Er lernt wieder lachen, versöhnt sich mit seiner Frau, verarbeitet endlich das Scheitern seines Sohnes und seine eigenen Fehler, er gibt beinahe auf und kommt endlich doch an mit letzter Kraft, und dann erst stirbt Queenie, sie hat gewartet. Und Maureen, seine Frau, holt ihn ab.
Es ist auch ein ungewöhnliches Buch, von dem seine Autorin sagt, sie habe ihr Herz hinein gelegt, sie wollte das Unwahrscheinliche wahrscheinlich machen. Ob ihr das gelungen ist, muss jeder Leser für sich entscheiden, wenn er Harold begleiten will. 1000 km zu Fuß, um zu danken und sich letzten Endes selbst zu finden und so manches, was verloren schien...

Rachel Joyce
Die unwahrscheinliche Pilgerreise
des Harold Fry
FISCHER Krüger,
2012,
aus dem Englischen von Maria Andreas,
384 Seiten,
gebunden,
18,99 €.

Donnerstag, 12.09.2013

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