Walter Ullrich - kultur Nr. 24 - Februar 2006

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Walter Ullrich - Deutschlands Rekordhalter als Theaterintendant wird 75 und spielt Heinrich VIII.

Für Shakespeares Lear fühlt er sich eigentlich noch ein bisschen zu jung, zu vital und für dessen Weisheiten noch nicht verrückt genug. Also hat er sich für Heinrich VIII. entschieden. Das Stück (s. S. 6 in diesem Heft) stammt zwar so nicht von Shakespeare, denn Walter Ullrich hat selbst noch mal recherchiert und die Zeit bei einem kurzen Krankenhausaufenthalt genutzt, um auf seiner alten mechanischen Schreibmaschine aus verschiedenen Texten eine eigene Fassung zu erstellen. Natürlich ärgert es ihn, dass er jetzt gleich an zwei Verlage Tantiemen zahlen muss, denn er ist es gewohnt, mit sehr spitzem Bleistift zu rechnen. Immerhin hält er damit seit Jahrzehnten als Intendant gleich zwei Theater in den schwarzen Zahlen, und das noch über Landesgrenzen hinweg. Das Kunststück hat ihm noch keiner nachgemacht, und deshalb reagiert er inzwischen auch mit leichtem Sarkasmus, wenn ihm die Bonner Kulturverwaltung mal wieder die seit 15 Jahren unveränderten Zuschüsse kürzen möchte.
In seinem kleinen, mit Aktenordnern, Büchern, Programmheften und sonstigen Papieren voll gestopften Büro hat er alle Unterlagen und sein großes Buch mit den täglichen handschriftlichen Eintragungen sofort zur Hand. Oft sind es fünf Vorstellungen an vier verschiedenen Orten, die er dort säuberlich notiert mit Terminen, Gagen und logistischen Anmerkungen. „Ich bin ein visueller Mensch, ich muss so was einfach vor mir sehen.“ Deshalb schaut er sich auch, wenn er nicht gerade selbst spielt oder neue Inszenierungen plant, gern Aufführungen anderer Theater an, ist manchmal von einem Detail begeistert, manchmal von der ganzen Konzeption, manchmal auch richtig empört, wenn ihn etwas gar nicht überzeugt.
Natürlich hat ihm auch das Spiel mit dem Bildnis Heinrichs VIII. von Hans Holbein d. J. Spaß gemacht (s. unser Titelbild): „Das ist keine am Computer zusammenmontierte Collage. Selbst die lateinische Altersangabe im Hintergrund des Porträts von 1540 haben wir sorgfältig nachgemalt.“ Heinrich also mit 49 Jahren und Walter Ullrich heute - man muss schon genau hinschauen, um die winzigen Differenzen zu sehen. Ullrich macht jedoch kein Geheimnis daraus, dass er am 29. Januar 75 Jahre alt wird und bereits im September 2005 sein 60-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert hat.
Letzteres stimmt allerdings nicht so ganz, denn der Sohn der Sängerin Margarethe Kohle und des Schauspielers Kurt Ullrich stand schon auf der Bühne, als er gerade eben laufen konnte. Mit drei oder vier Jahren spielte er das Kind in Puccinis Butterfly und weinte so herzzerreißend beim Abschied von Cio-Cio-San, dass die Sängerin sein Mitgefühl kaum fassen konnte. Sein Papa hat den wahren Grund herausbekommen: „Die Tante schreit mich immer so an…“. Ein paar Jahre und etliche Kinderrollen später war er dann in einer Operette das kleine Mädchen Beate. Da hat er sein Engagement schon mit dem Intendanten direkt ausgehandelt und sich ausbedungen, dass seine Klassenkameraden ihn niemals mit blonder Lockenperücke sehen dürften. Er hat aber einen Kritiker in Bad Liebenstein so überzeugt, dass der den auf dem Programmzettel gar nicht genannten Namen des begabten Darstellers herausgefunden und ihm gleich eine große Theaterkarriere prophezeit hat. Ullrichs herrlicher Anekdotenschatz harrt leider immer noch der Verarbeitung zwischen zwei Buchdeckeln…
Geboren wurde er in Mönchengladbach, zur Schule gegangen ist er fast überall in Deutschland, mal in Bayern, mal im hohen Norden, mal in Sachsen. „Damals wechselten die Künstler noch fast alle zwei Jahre in eine andere Stadt. Ich habe dabei immer nur das gelernt, was mich wirklich interessierte: Deutsch, Geschichte, Rechnen machten Spaß, der Rest hat mich gelangweilt. Aus Freiberg sind wir vor allem weggezogen, weil meine Eltern merkten, dass ich anfing zu sächseln, was für die Bühne ziemlich problematisch ist.“
Kurz vor Kriegsende wurde der 14-Jährige noch zum Volkssturm eingezogen, fand das leere Pathos seiner Ausbilder ziemlich lächerlich und den Umgang mit den kaum noch funktionstüchtigen Waffen grotesk. Geholfen hat ihm seine rhetorische Begabung. „Ich durfte in feiner Uniform morgens das Führerwort zum Tage sprechen, und allein die Suche in der Feldbibliothek und das Umkleiden dauerten so lange, dass ich danach kaum noch zum regulären Dienst erscheinen konnte…“.
Walter Ullrichs ganz offizielle Bühnenlaufbahn begann im Herbst 1945 als Volontär in Halberstadt. „Ich konnte bei einer Bekannten wohnen, die einige Theaterleute beherbergte. Das Theater war ein Trümmerhaufen, aber der russische Kommandant hat uns sofort die Erlaubnis zur Neueröffnung gegeben. Außerdem durften wir an der Werksverpflegung einer Würstchenfabrik teilnehmen. Für einen hochaufgeschossenen, hungrigen Jungen wie mich war das ein Segen, auch wenn ich danach 20 Jahre lang keine Würstchen mehr sehen konnte. Aber aus den Würstchendosen haben wir unsere ersten Scheinwerfer gebastelt.“
Im Sommer 1946 zog die Familie nach Bad Godesberg, wo Max Wendeler in einem ehemaligen Kino in der Burgstraße das Stadttheater leitete. Dort lernte er 1947 auch den späteren Contra-Kreis-Chef Kurt Hoffmann kennen und arbeitete mehrfach unter dessen Regie. Allein das Land des Lächelns wurde über 100-mal gezeigt. „Wie wir da mit fünf Leuten und schnellen Kostümwechseln unter der Bühne einen Hochzeitszug hingekriegt haben, der wie 50 Statisten aussah“, amüsiert ihn immer noch. Ein Jahr später ging er nach Lüdenscheid, wo er seine ersten großen Rollen spielte. Als nach der Währungsreform die meisten neu gegründeten Theater wieder schließen mussten, gastierte er in vielen Städten im Rheinland und im Ruhrgebiet, machte Deutschlandtourneen mit Stücken zur gesundheitlichen Volksaufklärung (Kampf dem Krebs oder Gift im Blut - manchmal fünf Vorstellungen am Tag), arbeitete als Synchronsprecher und als Reiseleiter für ein damals neues Studienreiseunternehmen. „Mit der ersten Gruppe nach Teneriffa brauchten wir mit einer kleiner Propellermaschine, Zwischenlandungen und Übernachtungen in Barcelona und Agadir allein zweieinhalb Tage für die Hinfahrt. Der Süden der Insel war noch völlig unbebaut, und richtige Straßen gab es auch nicht.“ Der Mittelmeerraum und Mittelamerika waren seine Spezialgebiete. Viel in der Welt herumgekommen ist er später auch bei den Dreharbeiten zu den zahlreichen Filmen, in denen er an der Seite berühmter Stars zu sehen war. Er genießt es auch heute noch, bei Fernsehserien nur Schauspieler sein zu dürfen und sonst nichts organisieren zu müssen.
1958 gründete er endlich mit wenig Geld und viel Enthusiasmus in einem Keller an der Ubierstaße in Bad Godesberg das Kleine Theater und spielte dort zusammen mit seinem Vater und seiner damaligen Frau, der blutjungen Heidi Scholz-Konert. Seine Mutter half oft als begabte Kostümbildnerin aus. Ullrich inszenierte vieles selbst, holte aber auch berühmte Regisseure an sein Haus und durch seine guten Kontakte zu Film und Fernsehen auch zahllose bekannte Schauspieler. Man kann die Namen der Stars gar nicht aufzählen, die am Kleinen Theater aufgetreten sind. Ullrichs zweite Frau, die kapriziöse Christine Uhde, wurde bald zum Publikumsliebling und spielte noch im vergangenen Winter mit ihm den zauberhaften Dialog Geliebter Lügner.
1969 überließ ihm die Stadt Bad Godesberg das durch die Eingemeindung nach Bonn frei gewordene Bürgermeisterhaus am Kurpark. Der Vertrag sah zwar eine 50-jährige Mietfreiheit (symbolisch eine DM pro Monat) vor, aber die gesamten Umbaukosten von einer halben Million DM musste Ullrich allein aufbringen. Die Gagen von mehr als 100 Filmen und Fernsehspielen gingen dabei drauf. Das Land NRW leistete einen Zuschuss von einem Drittel der Baukosten, die Stadt Bonn berechnete einige 10.000 DM an Genehmigungsgebühren und tat zu den Kosten nichts hinzu. Im September 1970 wurde das Kleine Theater an seinem heutigen Ort neu eröffnet. 1979 übernahm Ullrich zusätzlich die Intendanz der Landesbühne Rheinland-Pfalz und des maroden Schlosstheaters Neuwied, das er mit seinem Organisatio

Dienstag, 25.02.2014

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