Thomas Franke - kultur 46 - 4/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Thomas Franke - Schauspieler, Grafiker, Leser

Bis zum Nachmittag hat er geprobt an Strindbergs Totentanz, der in der Regie von Peter Tömöry kurz vor der Premiere im Euro Theater Central steht. Unter Tömöry hat er 2001 dort zum ersten Mal gespielt: den alten Blinden in Alpenglühen von Peter Turrini. Schauspieler wollte Thomas Franke eigentlich nicht werden, obwohl er schon als Kind mit Begeis­terung an Schultheateraufführungen mitwirkte. In der Nähe von Köthen im heutigen Sachsen-Anhalt, wo er 1954 geboren wurde. Beide Eltern waren Lehrer und sehr stolz auf den Sozialismus, der ihnen als Tochter eines Tagelöhners und Sohn eines Schreiners ein Studium ermöglicht hatte.
Nach dem Besuch der Erweiterten Oberschule machte Thomas in Köthen Abitur. Es gab allerdings schon kleine Zusammenstöße mit dem System. Thomas gründete an seiner Schule eine Kabarettgruppe; seine ersten selbst verfassten Texte brachten ihm eine dreiwöchige Suspension vom Unterricht ein, blieben ansonsten jedoch ohne Folgen.
Nach dem unvermeidlichen Militärdienst wurde ihm allerdings wegen seiner ‚politischen Einstellung’ das Studium der Astrophysik („Ich war völlig naiv fasziniert vom Weltall“) verweigert. Er bekam an der Universität in Halle einen Studienplatz für Mathematik und Physik. Als er dort mit der Straßenbahn an der berühmten Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein vorbeifuhr, stieg er aus, ging spontan ins Sekretariat und fragte: „Braucht ihr nicht noch einen Kunststudenten?“ Willi Sitte war damals Rektor dieser Hochschule und erkannte die Begabung des jungen Mannes sofort, machte ihm allerdings klar, dass er als Lehrersohn nur geringe Chancen habe. Thomas gehörte dennoch zu den unter 3000 Bewerbern auserwählten 30 und studierte von 1975 bis 1980 Malerei und Grafik. Sein Hauptinteresse galt schon bald der Buchgestaltung. Er arbeitete noch als Student zunächst für mehrere DDR-Verlage, später auch für Penguin-Books in Großbritannien und Bantam-Books in den USA. Von 1979 bis 1983 gestaltete er für den Suhrkamp-Verlag die „Phantastische Bibliothek“. Devisenträchtige künstlerische West-Kontakte waren ja in der DDR durchaus erwünscht. Für seine Titelvignetten bekam er 1980 und 1981 den „Kurd-Laßwitz-Preis“ (benannt nach dem Breslauer Science-Fiction-Autor) als bester Grafiker für phantastische Literatur. 2007 erhielt er diesen Preis übrigens zum dritten Mal – für die Gestaltung des Buchs „Der Zeiter“ (Shayol Verlag 2006) mit Erzählungen von Wolfgang Jeschke.
Zeit ist für Thomas Franke – nach zwei gescheiterten Ehen, zahllosen Rollen in Film, Fernsehen und Theater, Arbeiten als Sprecher beim Rundfunk und in Hörbüchern, Lesungen zwischen dem Haus der Sprache und Literatur in Bonn und dem Günter-Grass-Haus in Lübeck – gegenwärtig eine Raumfiktion, die er als unermüdlicher Arbeiter am Universum widerspenstiger Texte gern mit makabren oder fremdartigen literarischen Fundstücken füllt und illustriert. Wobei ihm bei seinen grafisch ungemein präzisen grotesken Collagen oft Max Ernst über die Schulter zu schauen scheint.
Thomas’ künstlerische Diplomarbeit in Halle war 1980 ein Bühnenbild zu Brechts Herr Puntila und sein Knecht Matti. Als das aufgebaut wurde, gab’s einen Riesenkrach, weil die Bühnenarbeiter die Seiten vertauscht hatten. Thomas brüllte wütend auf der Bühne herum, bis man ihm sagte: „In der Kantine wartet jemand auf dich.“ – „Es war ein kleiner, mir völlig fremder Mann mit Brille und beneidenswert schönem Mantel.“ Heiner Müller bestand also da­rauf, dass Thomas Franke Theater spielen müsse. Ohne Aufnahmeprüfung studierte er wenige Wochen später Schauspielkunst an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin und danach als Austauschstudent am Staatlichen Ins­titut für Theater und Schauspielkunst (GITIS Lunatscharskij) in Moskau.
Ende 1982 kehrte Thomas als diplomierter Schauspieler nach Halle zurück. Seine erste Rolle am dortigen Theater war – wirklich rein zufällig – Brechts „Matti“. Im Hintergrund schwelten schon politische Streitigkeiten: „Ich nahm sie nicht sonderlich ernst; wahrscheinlich hatten sie etwas mit meiner ausufernden Kreativität zu tun. Die Lektüre meiner Stasi-Akte habe ich abgebrochen, weil sie mich zu sehr anwiderte.“ Ausgerechnet während der Proben zu Arturo Ui wurde er 1984 aus der DDR ausgebürgert und in einen Zug nach München (das Ziel war eher zufällig) gesetzt.
Sein Engagement an den Münchner Kammerspielen löste er schnell auf und bewarb sich bei Peter Eschberg in Bonn, um gleich nach den ersten Proben wieder zu kündigen. „Stadttheater war damals einfach nicht mein Ding“. Um sich finanziell über Wasser zu halten, jobbte er (Kulturabteilung beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, Journalist, Werbegrafiker etc.) und war schließlich 1991 Mitgründer des kultigen „Sovjetlokals Gum“ an der Sterntorbrücke, von dem er sich 1997 verabschiedete.
Inzwischen hatte er in der Bonner freien Szene gearbeitet (u.a. mit dem Regisseur Ulrich Harz beim „Théâtre Bohémien“) und als Gast am Bonner Schauspiel. Einen Monolog hatte er schon lange im Hinterkopf, denn mit der phantastischen Erzählung Pickmans Modell des Amerikaners H.P. Lovecraft hatte er sich bereits an der Schauspielschule beschäftigt. Thomas lernte Reinar Ortmann kennen, der damals noch Theater in Gießen studierte und jetzt „Die Pathologie“ leitet. Die Idee eines Theaterstücks für einen Spieler und einen Zuschauer (also die Grundsituation der Bühne überhaupt) wurde 1995 einsam frierend im Keller hinter der Tiefgarage der Brotfabrik ins Werk gesetzt. Das Modell wurde wider Erwarten ein Renner. Von der „Süddeutschen Zeitung“ bis zum „Spiegel“ berichteten die Medien über das Ereignis. Mehr als 600 Mal hat Thomas die nebenbei auch verfilmte Inszenierung seitdem an vielen Orten gespielt (ab April kann man sich übrigens wieder mit ihm für dieses in jeder Hinsicht besondere Theatererlebnis verabreden). „Ich habe dabei unglaublich viel über das Funktionieren von Thea­ter gelernt.“
Ein weiterer Riesenerfolg war 1999 in der Brotfabrik Störwerk – Monolog für einen Shakespeare-König unter einer Nebenwirkung von Martin Rubin, das zum „New York International Fringe Festival 2000“ eingeladen wurde und Thomas dort den „Fringe Overall Award for the best male Performance“ einbrachte.
Neben anderen Verpflichtungen überall in Deutschland ist er ständig zu sehen im Deutsch-Griechischen Theater Köln (derzeit z.B. in Aias 21 nach Sophokles), in der Bonner „Pathologie“ (derzeit z.B. in Poes Geist des Bösen) oder im Euro Theater Central (nach dem Monolog des alten Goethe in Schiller, Tod und Teufel derzeit z.B. als Outcast Davies in Pinters Hausmeister). Wenn er nicht gerade als Vorleser oder Schauspieler unterwegs ist, schreibt der Mann, der zu seinem kahlen Dickschädel privat immer sehr elegantes Schwarz trägt, selbst ziemlich mörderische Geschichten.

Donnerstag, 08.12.2011

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