Thilo Beu - kultur 58 - 6/2009

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft den Theaterfotografen Thilo Beu - Szenen in Bildern verdichten

„Das Schönste ist, wenn man mich in der Kantine nach einer Probe fragt: ‚Warst Du eigentlich da?’ Ich gehe zum Fotografieren nicht gern auf die Bühne, mein Ort ist der Zuschauerraum: ‚Denn die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht…’ Ich mag den Kollegen bei der Arbeit nicht im Weg stehen, sondern versuche, so weit wie möglich unsichtbar zu bleiben.“ Dabei kann man den Zwei-Meter-Mann eigentlich kaum übersehen. Und sein Name ist wahrscheinlich der in unserem Magazin am häufigsten genannte. Die meis­ten Fotos des Theaters Bonn stammen von Thilo Beu.
Geboren wurde er 1957 in Minden/Westfalen. Als er vier Jahre alt war, zog die Familie nach Staufen im Breisgau, wo der historische Doktor Faustus starb. Nach dem Abitur am „Faust-Gymnasium“ absolvierte Thilo seinen Zivildienst bei der Caritas in Freiburg. „Die Sozialarbeit gefiel mir zwar, erschien mir aber nicht als meine Lebensperspektive. Als Schüler hatte ich viel gezeichnet, gemalt, gebastelt und auch fotografiert. Nicht weil ich Bilder haben, sondern weil ich mich Situationen aussetzen wollte; so bin ich mit der Kamera z.B. über Schrottplätze oder früh morgens durch die Stadt gezogen. Ich habe mir sogar ein billiges Labor gekauft und die Filme entwickelt, aber nicht mal Kontaktabzüge gemacht. Die Negative genügten mir, um mich an das Erlebte zu erinnern. Ein Architekt aus dem Bekanntenkreis empfahl mir, einfach mit etwas Handwerklichem zu beginnen.“
Thilo studierte also von 1979 bis 1985 an der Fachhochschule Dortmund Foto-Design. „Ins Ruhrgebiet wollte ich ganz bewusst, weil ich mir sicher war, es müsse noch was anderes geben als die vertraute Schwarzwald-Idylle. Zur Bewerbung brachte ich ein wildes Sammelsurium von Aquarellen, Fotografien und Holzskulpturen mit und sah mich angesichts der professionellen Mappen meiner Konkurrenten schon durchgefallen. Wahrscheinlich bekam ich den Studienplatz, weil ich mit meinen langen Haaren und meinen vielfältigen Machwerken irgendwie verrückt und außergewöhnlich wirkte.“ Dass die klassischen Genres wie Porträtfotografie, Bildjournalismus oder Werbung ihn wenig reizten, merkte er schnell. Mit seinen Dortmunder Kommilitonen fuhr er oft in Peymanns Bochumer Schauspiel. Eher zufällig sah er dort Theaterfotos und war fasziniert. Als er 1981 hörte, dass Manfred Beilharz, damals Intendant der städtischen Bühnen Freiburg, ein buntes Theaterfestival in der ganzen Stadt veranstaltete, fuhr Thilo hin und machte Fotos, die prompt zur Saisoneröffnung im Theater ausgestellt wurden. „Ich hatte Blut geleckt, machte öfter Fotos von Vorstellungen, wollte aber mehr: Eine Produktion komplett begleiten und herausfinden, wie Theater funktioniert.“
Am Kinder- und Jugendtheater Dortmund klappte es endlich. Thilo ging mit den Bildern zu Peymann nach Bochum und durfte – allerdings ohne Bezahlung – dort die Urauf­führungsinszenierung von Franz Xaver Kroetz’ Furcht und Elend der BRD, die Anfang 1984 herauskam, fotografieren. Zwischendurch hatte er Roberto Ciulli kennengelernt, der ihn an sein Mülheimer Theater holte. Dort fotografierte er von 1983 bis 1985 und machte darüber auch seine Examensarbeit.
Sein Interesse am Dortmunder Schauspiel wurde geweckt, als er 1983 zufällig im Fernsehen eine Inszenierung von Pavel Mikuláštik sah. „Ich war begeistert, stellte mich dort vor und schrieb eine Semesterarbeit über die Fotografie und Öffentlichkeitsarbeit des Dortmunder Theaters, stellte diese der Theaterleitung vor und wurde nach dem Abschluss des Studiums sofort vom Dortmunder Schauspieldirektor Guido Huonder als ‚Schauspieler mit Fotografierverpflichtung’ engagiert. Auf der Bühne mitgewirkt habe ich allerdings selten. Hauptsächlich arbeitete ich mit der Öffentlichkeitsreferentin zusammen:
Kirsten Harms, die 2003 an der Bonner Oper Anatevka inszenierte und inzwischen Intendantin der Deutschen Oper Berlin ist.“ In Dortmund blieb Thilo bis 1991 und wurde dann von dem neuen Bonner Schauspielintendanten Beilharz nach Bonn engagiert. Mit ihm 2002 nach Wiesbaden umziehen wollte er nicht – auch weil er in Bonn eine Familie gegründet (seine beiden Töchter sind inzwischen 15 und 13 Jahre alt) hatte.
Mehr als 500 Schauspiel- und über 100 Opernproduktionen hat er seit einem Vierteljahrhundert fotografiert. Neben seinem festen Engagement in Bonn ist er viel unterwegs und arbeitet als Gast regelmäßig in Essen für Schauspiel und Oper, an der Hamburgischen Staatsoper, an der Frankfurter Oper und am Volkstheater Wien. Etliche Aufgaben in Bonn übernimmt seit ein paar Jahren seine Assistentin Lilian Szokody.
„Natürlich gibt es Regisseure, die keine Bilder wollen und mich nur als störenden Eindringling sehen. Mit Blitz oder Stativ arbeitet man heute sowieso nicht mehr, schon ein Kameraklick kann eine sensible Situation kaputt machen. Gestellte Bilder mache ich selten; ich brauche das nervöse, schnelle und präzise ‚Jetzt oder nie’, und den Bruchteil einer Sekunde, in dem sich eine Bewegung zu einem intensiven Moment verdichten lässt. Früher habe ich meistens distanziertere Schwarz-Weiß-Fotos gemacht und zahllose Stunden in der Dunkelkammer verbracht. Heute brauche ich das Labor kaum noch und bearbeite alle Fotos digital. Ich beschäftige mich im Vorfeld mit dem Text oder der Partitur, unterhalte mich mit den Beteiligten, um ein Gefühl für das Wesentliche/den Kern zu bekommen, mach mir aber keinen genauen ‚Fahrplan’ mehr, sondern versuche, mit meinem selektiven, subjektiven Blick Grundsätzliches zu fixieren.“
Für seine Fotoserie Der Stand der Dinge erhielt er 1995 den Kunstpreis der Stadt Bonn. „Ich hatte in den 80er Jahren zu Quai West von Koltès Fotos im Dortmunder Hafen gemacht, die mir und meiner späteren Ehefrau Silvia Stroh alle zu statisch und irgendwie tot vorkamen. Auf einer Reise in die Niederlande wurde uns klar: Ich mache alles noch mal mit extrem lichtun­empfindlichem Material, das kaum Graustufen erlaubt und mit kalkulierten Unschärfen den Raum vibrieren lässt. Mit der Folge-Serie habe ich mich einfach auf eine Ausschreibung hin bei der Bonner Jury beworben, die gar nicht wusste, dass ich hier längst als Theaterfotograf tätig war.“ Seine im Zusammenhang mit dem Theater oder als freie Arbeiten entstandenen Fotos waren in mehreren Kunstausstellungen zu sehen, z.B. 2007 unter dem Titel Die Welt als Bühne / Situationen in der Theatergemeinde BONN.
„Ich brauche den ständigen Dialog mit ‚meinem’ Theater, auch wenn ich gern mal ‚fremdgehe’. Ich habe deshalb überhaupt kein Interesse daran, als ‚rasender Reporter’ rumzureisen oder als Fotojournalist wochenlang an exotischen Schauplätzen als Einzelkämpfer tolle Bilder zu schießen, obwohl man damit viel mehr Geld verdienen kann. Ich brauche meine Fotos auch nicht bei mir zu Haus an der Wand und nicht überall das Dauerrauschen der bunten Bilderflut. Meine Bilder sollen Zuschauer anregen. Deshalb pflege ich die Schaukästen des Theaters Bonn selbst. Im Zweifel bin ich immer Diener dessen, was auf der Bühne passiert und sehr glück­lich, dass ich diesen Job mit sehr viel Gestaltungsfreiheit tun darf.“

Donnerstag, 08.12.2011

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