Tamás Tarjányi - kultur 93 - Februar 2013

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Tamás Tarjányi: Jephtha und Almaviva

Der junge Tenor kommt an diesem dunkelgrauen Januar-Nieselregen-Nachmittag gerade von einer Bühnenprobe zu Rossinis hellem Il Barbiere di Siviglia. In der Regie von Philipp Himmelmann und unter der musikalischen Leitung von Robin Engelen singt er den Conte di Almaviva und freut sich natürlich sehr, dass ihm eine solch große Partie anvertraut wurde. „Im Moment nutze ich jede freie Stunde zum Üben,“ gesteht er. „Weil meine Frau momentan nicht in Bonn ist, kann ich ja fast den ganzen Tag in der Oper verbringen. Außerdem ist Rossini gar nicht so einfach zu singen, weil es eine Menge Ensemble-Nummern gibt und wir vieles gemeinsam ausprobieren müssen. Es macht aber großen Spaß, hier mit wunderbaren Kollegen zu arbeiten und von der Leitung des Hauses sorgfältige Unterstützung zu bekommen.“
Seit Beginn dieser Spielzeit ist Tamás Tarjányi mit einem Zweijahres-Vertrag festes Mitglied des Bonner Opern-Ensembles und wird deshalb auch in der kommenden Saison hier bleiben. Vorgestellt hat er sich in der eher kleinen Rolle des Flavio in Bellinis Norma. Er singt allerdings nicht in allen Vorstellungen, weil die Theaterleitung die junge Stimme schonen möchte und ihm noch eine große Aufgabe zugefallen ist. Weil der erfahrene österreichische Barocksänger Daniel Johannsen erkrankt war, übernahm er die Titelrolle bei der Wiederbegegnungs-Premiere von Händels Jephtha (s. Kritik S. 4). „Als Alternativ-Besetzung war ich sowieso vorgesehen und hatte die Partie schon gründlich einstudiert. Klar: Jephtha ist kein junger Mann mehr und hat eine heiratsfähige Tochter. Um ihn glaubwürdig darzustellen, muss man sich ganz in seine zwiespältige Persönlichkeit hineinversetzen. Dabei hilft übrigens die fabelhafte Regie von Dietrich Hilsdorf ungemein. Er hat jede Figur extrem genau inszeniert. Außerdem ist die Musik hoch dramatisch und trägt die Aktionen. Sicher ist es ein bisschen seltsam, wenn man in der Maske vor dem Spiegel sitzt und sich beim Altern zuschaut. Aber bei den Vorstellungen ist das völlig vergessen.“
Zumal Tamás Tarjányi gelernter Schauspieler ist. Geboren wurde er 1985 in der zentralungarischen Stadt Kecskemét. „Musik und Theater spielten in meiner Familie keine große Rolle, Singen machte mir einfach nur Vergnügen. Am Gymnasium hatten wir einen großartigen Musiklehrer, mit dem ich immer noch befreundet bin. Er kümmerte sich um meine Stimme, gab mir privaten Gesangsunterricht und ermutigte mich zum Musiktheater-Studium.“ An der Universität für Schauspielkunst in Budapest belegte er den Studiengang für Schauspiel mit musikalischer Zusatzausbildung und machte 2007 sein Masterexamen. Den Tamino in der Zauberflöte verkörperte er schon im letzten Studienjahr in einer musikalischen Schauspiel-Produktion und wirkte am Budapester Operettentheater u. a. mit in der Operette Baroness Lili des in Deutschland ziemlich unbekannten ungarischen Komponisten Jenö Huszka. Den Oskar in Horváths Geschichten aus dem Wienerwald, den Eilif in Brechts Mutter Courage und den Lysander in Shakespeares Sommernachtstraum hat er als Schauspielstudent bereits gespielt und liebt die europäische Literatur. Deutsch spricht er neben seiner ungarischen Muttersprache perfekt mit einem charmanten österreichischen Tonfall, Englisch fließend, Opernitalienisch tadellos.
„Schon nach dem Schauspiel-Master war mir aber klar, dass ich auf Dauer lieber klassischen Gesang machen wollte. Sehr unterstützt hat mich dabei die ungarische Sopranistin Éva Bátory, die an der Wiener Staatsoper, den Bregenzer Festspielen, der Oper Leipzig und der Kölner Oper große Partien singt. Sie riet mir, meine Stimme weiter zu entwi­ckeln.“ Von 2007 bis 2009 studierte Tarjányi an der Budapester Musikakademie Gesang bei der Professorin Magda Nádor und wechselte dann an die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, um bei der Professorin Margit Klaushofer seine Ausbildung abzuschließen.
Alle Fachprüfungen hat er bereits absolviert und schreibt jetzt – wenn es seine Zeit erlaubt – an seiner Diplomarbeit über den ungarischen Komponisten Ödön Mihalovich (1842 – 1929). „Er war ein Zeitgenosse und Freund von Liszt und Wagner und sehr geprägt von der deutschsprachigen Kultur. Es ist ungeheuer spannend, sich mit seiner Biographie und seinen musikalischen Ideen zu beschäftigen.“ Man merkt Tarjányi an, wie sehr er sich begeistert für sein wissenschaftliches Forschungsobjekt. „Mihalovich hat wunderschöne Lieder zu deutschen Gedichten wie z.B. von Nikolaus Lenau geschrieben, die ich für mein Examen 2013 in Wien einstudiert habe. Vielleicht kann ich Kompositionen meines Landsmanns ja irgendwann sogar hier präsentieren.“
Zufälle gibt es ohnehin nicht, meint er ganz klar. „Was ich singen muss, werde ich spielen. Ich habe keine direkten sängerischen Vorbilder, sondern nur eine Menge toller künstlerischer Anreger, von denen ich dauernd lerne. Wirklich gut kann es aber nur sein, wenn ich als Tamás etwas erfinde, das meinem Wesen entspricht. Klingt jetzt wahrscheinlich pathetisch: Ich weiß, dass ich ein kluges Publikum überzeugen muss und das nur dadurch erreiche, dass ich selbst begreife, was ich in der jeweiligen Rolle mitteilen möchte.“
Dass er noch vor dem Rossini-Almaviva eine große Händel-Rolle mit brillanten Koloraturen singen würde, war so nicht eingeplant. Bestens präpariert auf barocke Tonsprache war er jedoch schon, nachdem er 2012 den Anfimono, einen der Bewerber um Penelopes Gunst, in Monteverdis Il ritorno d’ulisse in patria am Theater an der Wien gesungen hatte. Die Inszenierung von Claus Guth hat ihn wegen ihrer psychologischen Genauigkeit fasziniert und war im Rahmen des Bremer Musikfestes auch am Staatstheater Oldenburg zu Gast.
Im letzten Sommer hat er sich auch mit Purcells Dido and Aeneas beschäftigt, weil seine als Schauspielerin mehrfach ausgezeichnete Gattin Krisztina diese Oper beim renommierten „Crescendo-Summer-Institute“ in der ungarischen Kleinstadt Sárospatak (Geburtsort der heiligen Elisabeth von Thüringen) mit Nachwuchssängern inszenierte. Tamás leitete einen Workshop zu Opernszenen. Krisztina Tarjányi ist als Ungarin im rumänischen Siebenbürgen aufgewachsen, lebt jetzt in Bonn und hat nebenbei noch eine Ausbildung zur Physiotherapeutin gemacht.
In der Planung von Tamás Tarjányi stehen für das Frühjahr 2013 Don Ottavio in Mo­zarts Don Giovanni und der 4. Knappe in Wagners Parsifal an der Budapester Staatsoper. Was er irgendwann gern mal singen würde? „Den Nemorino in Donizettis L’elisir d’amore. Später könnte ich mir den Lenski in Tschaikowskis Eugen Onegin vorstellen. Außerdem interessiert mich das französische Fach. Aber vorläufig nur das, was meine Stimme kann.“
Diese in Bonn weiter entwickeln zu können, empfindet er als echtes Glück. „Das Publikum hier, für das wir ja arbeiten, denkt mit und liebt seine Künstler. Das ist eine solide Basis für die Zukunft des Musiktheaters.“ Blond, nachdenklich und sehr eloquent ist Tamás mit gerade mal 27 Jahren bereits Profi genug, um neugierig mit gesundem Realitätssinn abzuwarten, wohin sein Weg läuft.

Donnerstag, 12.09.2013

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 24.04.2024 18:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn