Sibylle Wagner - kultur Nr. 23 - Januar 2006

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Sibylle Wagner, Direktorin des Bonner Opernchores

„Ich habe gleich zu Anfang unseren Chormitgliedern gesagt, dass sie sich die Herzen des Publikums erobern müssen. Die Menschen im Zuschauerraum sollen sich wiederfinden in dem, was wir auf der Bühne zu gestalten versuchen. Jeder Einzelne hat ein Recht darauf, von uns erreicht zu werden. Das geht nur durch hohe künstlerische Qualität, durch sprachliche und sängerische Genauigkeit und durch die Bilder, die wir gemeinsam erschaffen.“ Sibylle Wagner liebt den Dialog mit dem Publikum und freut sich natürlich, dass die Bonner ihren Opernchor inzwischen nachdrücklich ins Herz geschlossen haben. Dass er unter ihrer Leitung zu einem der besten Opernchöre in Deutschland geworden ist, bestätigen ihr viele Kritiken. Geboren wurde Sibylle Wagner 1964 in München. Schon ab 1969 lernte sie Klavierspielen, später folgten als weitere Instrumente Orgel, Violoncello und Querflöte. Nach dem Abitur 1983 studierte sie an der Hochschule für Musik in München Kirchenmusik, Orgel, Cembalo und Dirigieren und hatte nebenbei eine Kantorenstelle. Von 1988 bis 1991 setzte sie ihr Studium am Mozarteum in Salzburg fort, wo Nikolaus Harnoncourt ihr Lehrer für historische Aufführungspraxis war und Michael Gielen ihr Lehrer für Dirigieren. Gleichzeitig sammelte sie Erfahrungen als Solorepetitorin am Stadttheater Augsburg und am Salzburger Landestheater und schwankte noch zwischen einer Karriere als Dirigentin oder Pianistin, als Walter Hagen-Groll, legendärer Chorchef der Deutschen Oper Berlin, sie zu einem parallelen Studium der Chorleitung überredete. Sie schwärmt immer noch von seinen Vorlesungen, die ihr neben dem musikalischen Wissen auch eine Menge Zeitgeschichte und kritisches Bewusstsein vermittelten. Von 1991 bis 1997 war sie Zweite Chordirektorin an der Hamburgischen Staatsoper, bis Manfred Beilharz sie zu Beginn seiner Generalintendanz nach Bonn holte. Mit "Die Hochzeit des Figaro" in der Regie von Andras Fricsay gab sie im September 1997 ihr Debüt als neue Chorleiterin. Geblieben ist sie am Bonner Opernhaus gern, obwohl sich mehrfach andere Häuser um sie bemüht haben. „Es ist einfach schön, die Früchte der gemeinsamen Arbeit zu sehen. Das wird im Lauf der Jahre immer reichhaltiger - auch wenn es selbstverständlich nicht nur sonnige Phasen gibt. Es ist einfach wunderbar, die ganz verschiedenen Charaktere in einem Chor zu erleben, die Klangfarben, die jeder neue Sänger einbringt, und die Spielfreude, die sich in der Zusammenarbeit mit den Regisseuren entwickelt. Manchmal sind es wenige Sekunden, die einen szenischen Vorgang entscheidend verändern. Unser Chor ist nie eine amorphe Masse; jeder erzählt auf der Bühne immer eine kleine ganz eigene Geschichte. Das ist unser Geschenk ans Publikum.“
Der fest angestellte Hauschor umfasst 42 Sängerinnen und Sänger. Bei den 22 Herren sind es 11 Bässe und 11 Tenöre, bei den 20 Damen gibt es 12 Soprane und 8 Altistinnen. „Dieses Verhältnis ist kein festes Gesetz, sondern eher eine Tradition: Wir haben viele kräftige tiefere weibliche Stimmen und eine große Bandbreite in der höheren Stimmgruppe. Homogenität erreicht man durch Differenzierung. Bei den Vorsingen neuer Kandidaten bin ich ganz offen. Die meisten Sänger aus dem Chor, zumindest die jeweilige Stimmgruppe, sind immer dabei und haben bei der endgültigen Auswahl ein Mitspracherecht. Ihre hohe Kompetenz gibt mir eine zusätzliche Sicherheit - auch wenn ich am Ende verantwortlich entscheiden muss.“ Die ca. 50 Mitglieder des Extrachors werden variabel eingesetzt, aber auch hier ist die Auswahl streng, denn in einem Punkt kennt die Direktorin keine Kompromisse: „Die Qualität muss stimmen.“ Um die auch in einem sehr dichten Spielplan zu halten, muss sie bei dessen Gestaltung mitwirken. Bei den drei Händel-Oratorien "Saul", "Belsazar" und "Jephtha" z.B. hat der Chor jeweils etwa eine Stunde reinen Gesang - das ist eine physische Herausforderung, die nicht so einfach zu leisten und bei der Disposition zu bedenken ist.
Ende November/Anfang Dezember steht auf ihrem ganz normalen Probenplan: Montag und Dienstag morgens Arbeit mit den einzelnen Stimmgruppen zu "Cardillac" von Paul Hindemith, am Mittwoch und Donnerstag Zusammenführung der weiblichen und männlichen Stimmen und danach in den Gesamtchor (Premiere in der Regie von Klaus Weise am 5. März), abends Arbeit mit den neuen Chormitgliedern zur Vorbereitung der Wiederaufnahme von "Satyagraha" bei der Biennale im Mai und dann die bereits weit fortgeschrittenen Proben zu Verdis "La Traviata" (Premiere in der Regie von Andreas Homoki am 15. Januar).
Der Vorlauf für neue Produktionen ist ohnehin lang und beginnt oft schon mehr als ein Jahr vor der Premiere. „Wenn wir in der nächsten Saison z.B. eine Wagner-Oper planen, muss das musikalische und geistige Fundament jetzt schon gelegt sein.“ Viel Aufwand und Sorgfalt erfordern auch die regelmäßigen großen Chorkonzerte, bei denen ihr Ensemble selbst im Rampenlicht steht und das Programm auswählt. Auf diese Präsentationsform mit einem ganz unmittelbaren Kontakt zum Publikum legt sie besonderen Wert.
In Sibylle Wagners Bonner Vertrag steht außerdem eine Dirigierverpflichtung. In der Reihe "Bonn Chance" hat sie 1999 Purcells "Dido und Aeneas" und Dusapins "Medeamaterial" (Regie: Paul Esterhazy) geleitet. Bei Rameaus "Castor et Pollux" und vor allem bei Händels "Saul" und "Belsazar" hat sie etliche Vorstellungen dirigiert. „Es ist schön, am Pult die Treue zu einer Inszenierung zu halten - die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dietrich Hilsdorf ist sehr inspirierend - und trotzdem neue Akzente zu setzen.“ Bei "Carmen" ist sie einmal ganz kurzfristig eingesprungen, weil sie immer alle Partituren der Werke auf dem Spielplan auch für sich persönlich studiert und einrichtet.
Ihr besonderes Engagement gilt der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, für die sie gern ihre knappe Freizeit opfert. Sie war 2002 Mitbegründerin des Fördervereins Musikalisches Kindertheater "MusiKi". Die Kinderoper in Bonn ist unter ihrer Leitung eine bundesweit einmalige Institution geworden. Brittens "Der kleine Schornsteinfeger / Let's Make an Opera", Henzes "Pollicino" und Glanerts "Die drei Rätsel" hat sie mit Kindern einstudiert und dabei auch ein Jugendorchester aufgebaut. „Es ist toll, wenn wie jetzt bei dem Projekt ‚Piccolo, Sax und Co' Profimusiker mit jungen Leuten zusammenarbeiten. Wir müssen die jungen Menschen an unsere Traditionen heranführen, damit die Kultur eine Zukunft hat.“ Mit ihrem "Jungen Klang Ensemble Bonn" arbeitet sie gerade an der Uraufführung des Stückes "Der rote Spiegel" des zeitgenössischen österreichischen Komponisten Klaus Lang. Premiere ist am 3. März in der Bundeskunsthalle im Begleitprogramm zur Ausstellung "Barock im Vatikan".
Die Spiritualität der Musik beschäftigt sie sehr und führt sie immer wieder zu ihren Wurzeln in der Kirchenmusik zurück. Im Mai 2004 hat sie bei einer Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland zur Religion im Werk von Beethoven und Schumann einen Vortrag gehalten, der jetzt gerade gedruckt und kurz vor Weihnachten erscheinen wird. „Es ist spannend zu schreiben, was man aus den Noten liest.“
Sibylle Wagner versteht sich immer als Vermittlerin. Und sie liebt Bonn nicht zuletzt deshalb, weil es hier eine so lebendige Jugendmusikkultur gibt.

Dienstag, 25.02.2014

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