Rafaële Giovanola - kultur 57 - 5/2009

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Rafaële Giovanola - Orlandos Ritt zum Mond und Tanz im Kokon

Andreas Etienne ist „Imi-Bonner“, wie es das Springmaus-Programm zur nächsten „@rheinkabarett“-Produktion „Es geht auch ohne Dom!“ unmissverständlich ausweist. In die damalige Bundeshauptstadt immigriert ist er aus dem hessischen Rheingau. Geboren wurde er am 8. März 1955 („am Weltfrauentag, deshalb bekomme ich auch immer viele weibliche Geburtstagsglückwünsche“) in Oestrich-Winkel zwischen Eltville und Rüdesheim und wuchs auf einem Weingut auf. „Ganz in der Nähe des Brentano-Hauses, wo die große Familie des romantischen Dichters ihren Sommersitz hatte und viele prominente Gäste empfing; Goethe war zu Besuch in Winkel, und Bettines Freundin Karoline von Günderode brachte sich dort um. Die naive Lebenslust und die bodenständige Art habe ich wohl von meiner katholischen Großmutter geerbt. Die war eine begeisterte Karnevalistin und trat regelmäßig auf der Dorfbühne auf“, erzählt Andreas beim Morgenkaffee in der Bonner Südstadt. „Von ihr bekamen wir Kinder vor dem Schlafengehen immer ein Schlückchen Wein, was meine Mutter, eine protestantische Apothekerin, irgendwann wutentbrannt entdeckte: ‚Wein macht dumm!’ Meine Oma ließ sich nicht beirren: ‚Mit Wein leben wir hier seit Jahrhunderten. Wein ist gesund, und wer ist hier der Dumme?’ Meine Großmutter würde wahrscheinlich weinen vor Freude, wenn sie mich jetzt als Kabarettisten auf der Bühne sähe.“
Nach dem Abitur in Bad Kreuznach meldete sich Etienne freiwillig zur Bundeswehr – „einfach weil alle Jungs aus unserer Klasse von zu Hause weg, aber zusammen bleiben wollten“. Lorch am Rhein war ihr Wunsch-Standort. Etienne wurde nach der Musterung wegen einer geringfügigen Fehlsichtigkeit unter „Ausschluss Sonderanforderung Auge“ eingestuft und prompt eingesetzt als Luftraum-Beobachter. „Das schärfte meinen Blick für bürokratische Absurditäten und für den Himmel über dem Rheinland.“
Eher zufällig luden ihn Freunde aus Endenich nach Bonn ein. Er stand vor dem kurfürstlichen Schloss, das jetzt Uni-Hauptgebäude ist, und beschloss spontan („Ich hatte schon immer einen Hang zum Barock“): Dort will ich studieren! An der Bonner Alma Mater absolvierte er sein Lehramtsstudium in Geschichte und Germanistik, arbeitete am liebsten bei den Kunstgeschichtlern und schrieb seine Erste Staatsarbeit bei dem aus Luxemburg stammenden Rheinischen Landeskundler Jean Schoos († 2005).
Während seines Studiums jobbte Etienne am Euro Theater Central. Bei Goethes Urfaust spielte er sogar in einer Nebenrolle mit und sprach dabei in „Auerbachs Keller“ so überzeugend dem Wein zu, dass der Getränkeumsatz in der Pause Rekordhöhen erreichte. „Da habe ich den Zusammenhang zwischen Kunst und Genuss hautnah begriffen.“ Am Euro Theater lernte er Bill Mockridge und dessen damalige Frau Margit Rogall kennen, die beide in Peter Eschbergs Schauspiel-Ensemble engagiert waren. Margit Rogall debütierte nebenbei 1984 als Regisseurin in dem Zimmertheater am Mauspfad. Mockridge lud Etienne zu seinen Improvisations-Workshops ein, was nach zwei ziemlich chaotischen Wochenenden zur Geburt von sechs munteren „Frühstücksmäusen“ (Auftritt regelmäßig zum Sonntagsfrühstück um 12), die 1983 in der Kneipe „Anno Tubac“ ihre Premiere feierten. Ein halbes Jahr später hießen sie „Springmaus“ und zogen 1985 in den Tischtenniskeller der Katholischen Jugend an der Oxfordstraße um, wo die Erfolgsgeschichte dieses Kabaretts begann, das inzwischen zu den bekanntesten in ganz Deutschland gehört. Eines Abends fragte Bill Andreas: „Willst du das Haus machen?“ Nach kurzer Bedenkzeit entschied sich Etienne, der gerade in Düsseldorf seine Referendarzeit abgeschlossen hatte, gegen die sichere Lehrerlaufbahn. Er übernahm also die künstlerische Leitung; Anka Zink, die neben Michael Müller und ­­­ Moc­k­­­­­rid­ges heutiger Gattin Margie Kinsky zu den Gründungsmitgliedern der „Springmäuse“ gehörte, leitete das Management und die Gastronomie. Der erste Gast war Konrad Beikircher, mit dem Etienne den Vertrag noch auf einem Bierdeckel notierte. Quasi ‚gesellschaftsfähig’ wurde die „Springmaus“ durch die regelmäßigen Auftritte von Hanns Dieter Hüsch. „Er ist mein großes Vorbild geblieben. Seine Menschlichkeit und sein sanfter Humor haben mich beruflich geprägt.“
Bis 1991 spielte Etienne im Springmaus-Ensemble. Danach machte er sich auf die Suche nach anderen Theaterformen. Und nach einem neuen, größeren Domizil. „Der Umzug 1992 ins ‚Haus der Springmaus’ in Endenich war ein unglaublicher Kraftakt, der mich fast zwei Jahre in Atem hielt.“ Nach dem erfolgreichen Start an der Frongasse lockte wieder die Bühne. Er spielte in mehreren Inszenierungen des Regisseurs Kalle Kubik und zusammen mit Bill Mockridge die legendäre Groteske Das Geheimnis der Irma Vep, wo die beiden in rasantem Tempo die Rollen wechselten. 1997 entstand mit Michael Müller die Idee zu den Nachbarn, die sich jetzt seit zehn Jahren ihre liebevoll bösen Wortgefechte liefern. Im März feiert das Duo mit Kronjuwelen sein silbernes Theaterjubiläum. Seit 25 Jahren stehen die beiden gemeinsam auf den Brettern und werden die „versunkenen Schätze“ ihrer rekordverdächtigen Bühnenehe präsentieren. Seit Ende der 90er Jahre gibt’s Etienne aber auch solo. Der geliftete Mann heißt seine aktuelle satirische „Schönheitsstudie“, die so manches maskuline Geheimnis lüftet.
Mit Endenich verbindet ihn neben dem jährlichen Kulturfestival „Endenicher Herbst“, das er zusammen mit dem CDU-Kultursprecher Markus Schuck ins Leben rief, auch das rheinische Brauchtum. „Kurz nach dem Umzug der Springmaus stand Marlies Stockhorst vor meiner Tür, die stellvertretende Vorsitzende des Festausschusses Bonner Karneval und Präsidentin des Damenkomitees ‚Lustige Bucheckern’. Sie ist inzwischen Vorsitzende unseres Fördervereins, hat unsere Arbeit mit ihrer wunderbaren rheinisch-bodenständigen Solidarität tatkräftig unterstützt und ist auch schuld daran, dass ich 1999 Karnevals­prinz wurde.“ Die Bucheckern durften damals den Prinzen stellen, hatten jedoch als Damenkomitee keinen Mann. Das korrekte „Alaaf“ musste er in ­Stock­­horts Wohnzimmer üben, den restlichen Schliff brachte ihm seine Bonna Marion Leyer bei. „Ich habe in der Prinzenzeit menschlich unglaublich viel gelernt. Man nimmt die Stadt aus einer völlig anderen Perspektive wahr. Man kommt in alle sozialen Milieus und muss ganz nah bei den Leuten sein. Die Karnevalsvereine schaffen ein lokales Selbstbewusstsein und eine soziale Bindung, deren Wert man kaum überschätzen kann.“
Einer ganz anderen Bühne gehört seit frühen Kinderzeiten seine Leidenschaft: den Weih­nachtskrippen. „Ich stand staunend vor den Gipsfigürchen unserer kleinen Krippe, fütterte und pflegte die Schäfchen – bis halt alles ziemlich ramponiert aussah. Mein Vater versprach mir für gute Schulleistungen jeweils eine neue Holzfigur, was ihn teuer zu stehen kam, weil ich in kurzer Zeit meine Noten deutlich verbesserte. Ein Aufenthalt im weihnachtlichen Rom ließ den Krippenvirus endgültig ausbrechen. Krippen sind gefrorenes Theater.“ Ca.120 sorgfältig gehütete Krippen-Kunstwerke aus aller Welt füllen jetzt einen Raum in seinem Keller. Einen Teil davon hat er zu Weihnachten 2006/07 im Bonner Stadtmuseum ausgestellt. Zurzeit baut er Krippen in alte Weinkisten.
Ein neues Projekt des Springmaus-Theaters beschäftigt dessen Geschäftsführer Andreas Etienne außerdem: die Reihe „NeunMalKlug“ in Zusammenarbeit mit der Uni Bonn, bei der Kabarett und Wissenschaft sich zu dem verbinden, was man neumodisch ‚Infotainment’ nennt. Unterhaltung, die schlau macht – das wünscht sich Etienne für die Zukunft und lässt keinen Zweifel daran, dass Wein (in Maßen genossen) zur Kultur gehört und keineswegs dumm macht.

Donnerstag, 08.12.2011

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