Moritz Seibert - kultur 91 - Dezember 2012

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Moritz Seibert: Intendant des Jungen Theaters Bonn

„Auf der Bühne fühle ich mich äußerst unwohl“, gesteht Moritz Seibert, der seit mehr als zehn Jahren das Junge Theater Bonn leitet. „Schon als Schüler hatte ich mehr Spaß am Inszenieren und an allen Arbeiten hinter der Bühne. Nachdem wir beim Festival in Els­pe Pierre Brice als Winnetou gesehen hatten, wagte ich mich mit Freunden an die großen Karl-May-Stoffe. Mit klassischem Schultheater hatte das wenig zu tun, und Hauptrollen übernahm ich nicht. Theater als Beruf lag mir ziemlich fern, obwohl ich schon als Kind gern in Vorstellungen ging.“
Geboren wurde Seibert 1967 in Berlin. „Der Sohn von Volker Ludwig, dem Gründer des Grips-Theaters, war in derselben Kinderladen-Gruppe wie ich.“ Am Grips wurde das moderne Kindertheater mit eigens für junge Menschen geschriebenen aktuellen Stü­cken quasi erfunden. Seit seinem neunten Lebensjahr wohnt Seibert in Bonn und ging häufig ins Theater der Jugend, das Helmut Tromm († 2007) hier 1969 zusammen mit seiner Frau Heidi Scholz-Tromm († 2005) gegründet hatte. Die Tromms brachten in Bonn zum ersten Mal Grips-Stücke auf die Bühne. „Ich habe noch ein paar Aufführungen in der provisorischen Spielstätte im Rheinischen Landesmuseum gesehen, bevor das Theater sich 1979 in seinem heutigen Beueler Domizil etablierte.“
Nach dem Abitur am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium, das inzwischen mit dem Friedrich-Ebert-Gymnasium zusammengelegt wurde, begann er ein Jura-Studium an der Uni Bonn. Nebenbei schrieb er Artikel für das Magazin „Schnüss“, lernte dabei die Tromms und das zu seinem 25. Jubiläum in „Junges Theater Bonn“ umbenannte Haus näher kennen und übernahm 1990 für eineinhalb Jahre die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des JTB. 1991 kam hier seine neue Bühnenfassung von Auf Wiedersehen Kinder nach dem gleichnamigen Film von Louis Malle heraus. „Damals reifte meine Entscheidung, doch eher eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen.“ Nach dem Abschluss des rechtswissenschaftlichen Grundstudiums („übrigens sehr nützlich für Vertrags- und Urheberrechts-Verhandlungen“) wechselte er 1992 an die neu gegründete Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigshafen und studierte u. a. Drehbuch, Filmgestaltung und vor allem Regie. Nach Produktionsassistenzen (u. a. bei Peter Greenaway) und diversen eigenen TV-Projekten erschien 1997 bei dem Sender ARTE sein erster abendfüllender Spielfilm David im Wunderland, der danach in mehreren ARD-Programmen lief. Es geht um einen Jungen, der aus der hermetischen Gesellschaft einer Sekte ausbricht und sich neu orientieren muss. Die Titelrolle spielte übrigens David Winter, Sohn der JTB-Ausstattungsleiterin Brigitte Winter, und als Schauspieler längst in vielen Fernsehrollen zu sehen.
Sein erster großer Film blieb auch Seiberts letzter, denn noch vor seinem Examen holte das JTB ihn Anfang 1999 als Dramaturg zurück. „Die Situation war stressig, denn der Spielplan und die Angebote für die auswärtigen Gastspiele mussten ganz schnell fertig werden. Zwei projektierte Stücke waren noch gar nicht geschrieben.“ Zusammen mit dem Schauspieler Marco Dott verfasste Seibert Koka, weißes Gold nach dem Grips-Stück Banana und Jan mein Freund nach dem Roman von Peter Pohl, die beide in der Spielzeit 1999/2000 herauskamen.
Nachdem Helmut Tromm sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Theaterleitung zurückziehen musste, übernahm Moritz Seibert 2002 den Chefposten. Und stand vor einem Schuldenberg, der ihn zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens zwang. „Obwohl die Tromms wahnsinnig viel Engagement inves­tiert hatten, waren das von der Stadt gemietete alte Kino und die Technik in einem desolaten Zustand. Nach der neuen Versammlungsstättenverordnung hätten wir eigentlich gar nicht mehr spielen dürfen. Sehr geholfen hat uns damals die große Solidarität des Bonner Publikums, ganz besonders auch deine und die der Theatergemeinde Bonn.“ 2003 wurden die Bühnen- und Sicherheitstechnik umfassend erneuert. 2004 folgte mit Hilfe des für die Sache sehr begeisterten Insolvenzverwalters Dr. Ludger Westrick die Entschuldung des als eingetragener Verein organisierten Privattheaters.
Seine Dozententätigkeit für Film und Camera-Acting in Mallorca gab Seibert auf, um sich ganz der Intendantentätigkeit zu widmen. Viel Meer braucht er als Autor jedoch immer noch: „Für die konzentrierten Feinarbeiten an dramatischen Dialogen verschwinde ich gern auf die Kanaren.“
Wenn er nicht gerade in England unterwegs ist, um interessante Stücke und Spielformen zu entdecken. Die mit dem Grüffelo begonnene Zusammenarbeit mit der Londoner Truppe „Tall Stories“ wird im Frühjahr 2013 fortgesetzt.
Ein Glücksfall war gewiss die Begegnung mit der Autorin Cornelia Funke, die dem JTB nach der von ihr besichtigten Uraufführung von Drachenreiter (2004) gleich die Rechte für die Musical-Bearbeitungen ihrer „Tintentrilogie“ überließ. Die Zuschauerzahlen des JTB sind inkl. Gastspielen auf großen Bühnen in Berlin, Hamburg und München zwischen kontinuierlich auf jetzt rund 126.500 gestiegen und haben damit alle Besucherrekorde vergleichbarer Häuser gebrochen. Selbst das Grips in Berlin erreichte 2011 ‚nur’ knapp 72.000, erhielt dafür aber ca. 2,7 Millionen Euro an öffentlichen Geldern, während das JTB seit Jahren mit 145.000 von der Stadt Bonn und 35.000 vom Land NRW auskommt und mit 1,43 Euro Subvention pro Besucherplatz mit weitem Abstand das am geringsten aus Steuergeldern finanzierte Kinder- und Jugendtheater und gleichwohl das erfolg­reichs­te Deutschlands ist. Sogar aus Düsseldorf und Frankfurt reisen regelmäßig Schulklassen nach Bonn zum JTB.
„Natürlich hat unsere Arbeit viel mit dem von den Tromms entwickelten Konzept zu tun, Kinder- und Jugendrollen mit gleichaltrigen Darstellern zu besetzen und diese sorgfältig professionell zu betreuen. Mit 20 hauptberuflichen Mitarbeitern (davon acht fest angestellte erwachsene Schauspieler), sowie zahlreichen Honorarkräften, Freiberuflern und Praktikanten sowie der Theaterschule ist das JTB ein Unternehmen geworden, das selbst bei höchstem Einsatz nicht mehr von einer Person allein geführt werden kann. Deshalb hat Seibert im Sommer 2012 den Regisseur Lajos Wenzel als stellvertretenden Intendanten engagiert, der zuvor künstlerischer Leiter der Kammeroper Köln war. Wenzels erfolgreiche Inszenierung des Musicals My Fair Lady gastiert übrigens am 2. Dezember in der Bonner Beethovenhalle.
„Natürlich bin ich ein bisschen stolz auf unseren tollen Erfolg“, sagt Seibert. „Mich interessiert aber vordringlich, gute Geschichten in dramatischer Form so zu erzählen, dass sie das Publikum gut unterhalten. Im Kern geht es dabei immer um grundlegende Fragen der menschlichen Exis­tenz. Wir können und wollen sie zwar nicht beantworten, aber zum Mitdenken anregen. Weil Theater so direkt und jede Vorstellung neu ist, funktioniert das anders als beim Kino. Die Adoleszenz ist nach meiner Erfahrung der entscheidendste Lebensabschnitt. Deshalb machen wir Theater für Kinder und Jugendliche. Inzwischen können wir es wagen, neben bekannten Stoffen auch ganz neue Stücke anzubieten. Sicher wäre es schön, wenn wir uns öfter mal künstlerische Risiken und Projekte leisten könnten, die ihre Kosten möglicherweise nicht einspielen.“
Im Haus neben dem Theater gibt es inzwischen hell eingerichtete Verwaltungsräume. „Die Miete dafür bezahlen wir aus eigenen Mitteln. Theaterferien machen wir praktisch gar nicht mehr. In spielfreien Zeiten laufen ständig Proben.“ Privat wohnt der Intendant zwar noch nicht auf der Bühne, aber direkt dahinter in einem alten Backsteinhäuschen und ist für sein Team fast immer erreichbar.

Donnerstag, 14.02.2013

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