Michael Barfuß - kultur 42 - 12/2007

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Michael Barfuß - Offenbach und die Schauspielmusik

Michael Barfuß ist musikalischer Leiter am Schauspiel Bonn. Musiktheater macht doch schon die Oper, wird jetzt mancher denken. Was hat also die Musik im Sprechtheater zu suchen? Fest angestellte Theatermusiker gibt es tatsächlich nur an wenigen Bühnen, und ein Beruf mit klarem akademischem Ausbildungsgang wie Komponist, Dirigent oder Pianist ist diese Position bisher nicht. „Ich mache alles zwischen Klassik, Jazz und Pop und darf ständig zwischen eigener Kreativität, Interpretation, Arrangement und direkter musikalischer Gestaltung auf der Bühne pendeln. Das ist doch wunderbar.“ Michael Barfuß schwärmt von der fast grenzenlosen Vielfalt seiner Arbeit.
Er kommt gerade von einer Probe zu Jacques Offenbachs selten gespielter Opéra-bouffe Die Großherzogin von Gerolstein, die in der Regie von Kay Voges am 23.November in den Kammerspielen Premiere hat. „Offenbach war ein unglaublicher Meister seines Fachs. Er hat ein ganz eigenes musikalisch-theatralisches Genre erfunden und legte den Grundstein für die Gattung Operette. Die ‚Großherzogin’ ist eine glänzende Satire auf den Militarismus diesseits und jenseits des Rheins aus der Sicht eines Kölner Wahlfranzosen. Das ist außerordentlich spannend. Ich frage mich: Wie funktioniert seine geistreiche Musik im Rahmen einer heutigen Inszenierung? Was sagt sie uns 140 Jahre nach der Uraufführung in Paris?“ Dass Barfuß mit singenden Schauspielern arbeitet, ist die Regel, dass er eine fertige Partitur hat, ist eher die Ausnahme. Er findet es jedoch verlockend, bei jeder Vorstellung als Dirigent eines achtköpfigen Orchesters selbst anwesend zu sein und alle Aufführungen auf der Bühne mitzugestalten: „Musizieren ist eine Freude und ein sinnlicher Genuss, der gern auch sichtbar sein darf.“
Geboren wurde Michael Barfuß 1957 in Oldenburg. Seinen ersten Klavierunterricht bekam er mit 6 Jahren und entdeckte mit 12 Jahren, dass man auch selbst komponieren kann. Er musizierte mit diversen Schülerbands, komponierte für sie und ging gern und oft mit großer Faszination ins Theater. „Eine Rolle zu spielen, hat mich nie gereizt; Zuschauen wie andere das machten, fand ich viel interessanter.“ Erst als er an der Universität Oldenburg ein Studium der Musikwissenschaft und Germanistik begonnen hatte, kam die Initialzündung für seine Bühnenkarriere in einem Arrangement-Seminar des Kapellmeisters Hans Hofmann vom Oldenburger Staatstheater. Hofmann fiel das Talent seines Studenten auf. „Er drückte mir die Partitur von ‚Cabaret’ in die Hand und schlug mir vor, die Einstudierung dieses Musicals an der Landesbühne Wilhelmshaven zu übernehmen.“ So kam der gerade mal 20-jährige Barfuß zu seiner ersten musikalischen Leitung. In Wilhelmshaven inszenierte er auch zum ersten Mal eine Show mit eigenen Kompositionen und Songs. „Der ganz große Wurf war das trotz unseres Riesenenthusiasmus nicht, aber der Intendant ermutigte mich, neues Terrain zu erkunden.“
Nach dem Abschluss des Studiums zog Barfuß nach Hamburg. Er komponierte für unterschiedliche Ensembles quer durch alle Gattungen, arbeitete in allen möglichen Musikbereichen und leitete Theaterprojekte mit Kindern und Jugendlichen. Ein Engagement als musikalischer Leiter am Jungen Theater in Göttingen war die nächste Station. 1993 holte der damalige Oberhausener Schauspielintendant Klaus Weise ihn an sein Theater. Neben vielen Bühnenmusiken entstanden dort auch etliche literarisch-musikalische Revuen und originelle Liederabende. Gleichzeitig gastierte Barfuß u. a. am Wiener Burgtheater und am Züricher Schauspielhaus. Seit 2003 ist er für die Musik am Schauspiel Bonn verantwortlich.
„Bühnenmusik ist ganz anders als Filmmusik, die einen emotionalen Background für die Figuren liefert und eher ein narratives Medium ist. Beim Theater ist die Musik viel zeichenhafter und geht direkter auf unterschiedliche Spielweisen ein. Am Anfang meiner Arbeit steht immer die Ästhetik der Inszenierung, für die ich dann eine Klangfarbe suche. Bei Klaus Weises Medea-Regie z. B. stand die Idee der harten Schnitte schon früh fest und war der Impuls für die sehr unmittelbar und fast brutal eingreifenden elektronischen Töne. Bei Emilia Galotti in der Regie von Kay Voges kam der Impuls vom Bühnenbild. Der leere, kalte Raum brauchte ein Gegengewicht von Sinnlichkeit und Menschlichkeit, für das mir die Klangfarbe einer Geige besonders geeignet erschien. Musik ist ja so etwas wie geronnene Kultur und spricht von gesellschaftlichen Zuständen ihrer Zeit. Jedes Musikzitat verändert den Kontext und öffnet im theatralen Raum eine Zeitdimension. Nicht nur im dramaturgischen Ablauf, sondern auch historisch. Bei Emilia Galotti suchten wir einen Zeitsprung quasi zwischen Bach und Punk. Das Bambi war übrigens schon da, bevor wir auf den Song von den Sex Pistols kamen.“
Der kreative Prozess beginnt für Barfuß immer ganz traditionell am Klavier. Der Computer ist nur ein nützliches Handwerkszeug. Für manche Inszenierungen komponiert und speichert er musikalisches Material, aus dem die Regie sich etwas heraussucht. Bei manchen arrangiert er bekannte Stücke oder erarbeitet während der Proben einen Sound zur Dramaturgie oder spielt – wie z.B. beim gerade wieder aufgenommenen Sommernachtstraum – auf der Bühne mit. „Die Spannbreite der Musikstile ist beim Theater unendlich und bei jeder Produktion neu auszuloten. Unglaublich schön ist es freilich, gleichzeitig mit den Kollegen von der Oper und vom Schauspiel zusammenzuarbeiten wie 2004 bei dem Projekt MännerMachtFrauen oder zuletzt bei der Revue A Night at the Opera zum Saisonauftakt.“
Etliche Liederabende hat er in Bonn bereits mit Schauspielern gestaltet: „Absinth“ aus den Abgründen der Bohème des frühen 20.Jahrhunderts im Lampenlager, das verführerische französische Je femme, neue Blicke auf Hanns Eisler und Rio Reiser in der Werkstatt. Am 15. Dezember lädt der Club der Utopisten übrigens zum Summer of Love in die Werkstatt ein. Michael Barfuß übernimmt die musikalische Leitung bei diesem Rück­blick auf Flowerpower und Friedensdemos.
Wie ein richtig schöner Tag von Michael Barfuß aussieht? „Morgens mit der fetzigen Bonner Schauspielerband ‚MannMannMannManns’ proben, bis mir fast die Ohren abfallen und abends in Düsseldorf den Opernstar Alexandra von der Weth bei der Uraufführung eines von mir komponierten Liedes auf ein Gedicht von Hölderlin am Klavier begleiten.“ Das passierte tatsächlich, denn im April 2006 war das Theater Bonn vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten eingeladen, einen festlichen Abend in der Bezirksregierung zu bestreiten. Barfuß vertonte dafür neben Menons Klage an Diotima auch Texte von Mörike und Zuckmayer. Sein Germanistikstudium ist für solche Grenzgänge zwischen Geschichte, Poesie und den unendlich vielen Sprachen der Musik durchaus hilfreich.
„Ich habe große Lust daran, in den Ensembles unseres Theaters ständig tolle Stimmen zu erleben oder zu entdecken und weiter zu bringen. Wenn das etwas zum emotionalen Wärmehaushalt der Zuschauer beiträgt, freue ich mich.“

Dienstag, 25.02.2014

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