Lee Poulis - kultur 59 - 10/2009

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Lee Poulis: Wolfram von Eschenbach, Papageno, Marcello und graduierter Politologe

Sein Wagner-Debüt gibt der amerikanische Bariton in der ersten Bonner Opernpremiere dieser Saison. Generalintendant Klaus Weise (Regie) und Generalmusikdirektor Stefan Blunier (musikalische Leitung) – mit beiden arbeitet Lee Poulis zum ersten Mal zusammen – haben ihm die Partie des Wolfram von Eschenbach in Richard Wagners Tannhäuser anvertraut. „Das ist eine große Herausforderung“, gesteht der junge Sänger gut zwei Wochen vor der Premiere völlig entspannt. „Ich liebe die Rolle sehr, die Proben laufen toll. Seit wir von der Beueler Probebühne ins große Haus umgezogen sind, wo alles besser klingt, macht mir das Singen richtig Freude.“
Seit Beginn der Spielzeit 2008/09 ist Lee Poulis Mitglied des Ensembles der Bonner Oper. Es ist sein erstes festes Engagement. „Meine Lehrerin Marilyn Horne, die ja selbst Ende der 50er Jahre ihre internationale Karriere in Gelsenkirchen begann, hat mir dringend empfohlen, mich in Deutschland an einem nicht zu großen Haus zu bewerben. In einem Ensemble habe man die besten Möglichkeiten, seine Stimme zu entwickeln und vielfältige Bühnenerfahrungen zu sammeln.“
Dem Bonner Publikum stellte er sich als Silvano in Verdis Maskenball vor und übernahm in mehreren Vorstellungen auch die Rolle des Renato, den er 2008 schon – kurzfristig eingesprungen – mit großem Erfolg in Santiago de Chile verkörperte. Er sang in seiner ersten Bonner Spielzeit außerdem den Fürsten Jeletzky in Tschaikowskys Pique Dame, den Giorgio Germont bei der Wiederaufnahme von Verdis La Traviata, den Papageno in Mozarts Zauberflöte, eroberte die Herzen als treuer Inspizient Michonnet in der konzertanten Aufführung von Cileas Adriana Lecouvreur und begeisterte als sympathischer Astolfo in Vivaldis Orlando furioso. Im vergangenen Frühjahr gastierte er als von Presse und Publikum gefeierter Valentin in Gounods Faust in Chemnitz. „Das war möglich, weil ich in Bonn gerade kaum Proben hatte und mir deshalb die zweimonatige Probenzeit mit dem Ensemble in Chemnitz leisten konnte.“
Bei der kürzlich veröffentlichten Kritikerumfrage der Zeitung „Die Welt“ erhielt Poulis zwei Nennungen als bester Nachwuchssänger der Saison 2008/09. Zahlreiche Preise hat der privat eher bescheiden auftretende, blendend aussehende Künstler ohnehin schon eingeheimst. Er war u. a. Semifinalist beim Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ in Gütersloh und erster Preisträger des „Chester Ludgin Verdi Bariton“-Wettbewerbs in New York. 2008 gewann er den zweiten Preis des internationalen Gesangswettbewerbs „Francisco Vinas“ in Barcelona und den ersten Preis der „Liederkranz Foundation Voice Competition“ in seiner Heimatstadt New York.
Dort kam Lee Poulis 1980 zur Welt. Schon als Teenager wurde er zum absoluten Opernfan, nachdem er mit 12 Jahren in der Metropolitan Opera Les Contes d’Hoffmann mit Placido Domingo erlebt hatte. „Meine Eltern interessierten sich nicht speziell für Musik, unterstützten aber meine Begeisterung. Ich hörte im Radio ständig Opernsendungen, lieh mir in Büchereien Platten, CDs, Videos und Libretti aus – einfach alles, was ich kriegen konnte. In unserer Schule durfte jeder ein Instrument lernen. Ich entschied mich für die Trompete, deren Klang ich faszinierend fand. Noch mehr Spaß machte mir aber das Singen (heimlich zu Hause und ohne Noten nur nach Gehör...). Schließlich nahm ich allen Mut zusammen und sang dem Leiter unseres Schulchores eine Arie vor – es war das erste Mal, dass ich außerhalb der eigenen vier Wände überhaupt meine Stimme präsentierte. Von seinem Vater, der Opernsänger war, bekam ich mit 15 Jahren meinen ersten professionellen Gesangsunterricht. Auf der Highschool wirkte ich dann bei mehreren Musical-Aufführungen mit. Jazz und Pop haben mich nie interessiert, aber Musicals mag ich immer noch gern.“ Noch vor dem Highschool-Abschluss tourte er mit der meistens in öffentlichen Bibliotheken auftretenden Amateurtruppe „Island Lyric Opera“ durchs Land und sang dort seine ersten großen Opernpartien.
Trotzdem entschloss Poulis sich für ein Studium der Politikwissenschaft an der Harvard University: „Das Fach hat mich sowieso sehr interessiert, außerdem wollte ich nicht nur auf die Musik fixiert sein.“ Daneben bildete er seine Stimme ständig weiter und studierte von 1999 bis 2001 regelmäßig an der Music Academy of the West in Kalifornien. An dieser renommierten Sommerakademie leitet Marilyn Horne das begehrte „Voice Pogram“ für hochbegabte Nachwuchssänger.
Nach seinem „Bachelor of Government“ 2002 wurde Poulis Mitglied des Merola Opernstudios in San Francisco, wo die Mezzosopranistin Dolora Zajick seine Stimme intensiv betreute und er sich ein umfangreiches Repertoire erarbeitete. Als Mitglied des „Domingo-Cafritz Young Artists Program“ an der Washington National Opera unter der Direktion von Placido Domingo debütierte er auf der großen Bühne als Masetto in Mozarts Don Giovanni, als Papageno in der Zauberflöte und als Dandini in Rossinis Cenerentola. 2005 sang er in Washington den Senator Raitcliffe in der Uraufführung von Scott Wheelers Oper Democracy, womit sich ein Bogen zu seinem Politikstudium spannt.
Im selben Jahr folgte sein Europa-Debüt mit dem Masetto an der Staatsoper unter den Linden in Berlin und in Bilbao. Als Marquis in La Traviata war er 2006 an der Los Angeles Opera zu Gast, als Starveling in Brittens Sommernachtstraum am Teatro Real Madrid. 2007 spielte er den Marcello in Puccinis La Bohème an der Deutschen Oper am Rhein. Die Partie wird er in Bonn auch bei der Wiederaufnahme von Dietrich Hilsdorfs fantastischer Inszenierung singen.
Als Lied- und Konzertsänger war er in den USA, in Europa und sogar in China unterwegs. Beim Beethovenfest Bonn 2008 wirkte er als Solist in Hanns Eislers Deutscher Sinfonie mit. „Das viele Reisen um den halben Globus hat mir eine Menge wichtiger Erfahrungen gebracht. Ich hatte aber den Eindruck, dass ich dabei substanziell nur wenig lernte und dass es mich sängerisch nicht weiterbrachte“, erzählt Poulis, der deshalb jetzt in Bonn sesshaft geworden ist. Hier stehen in dieser Spielzeit noch der Vater in Hänsel und Gretel, der Pantalon in Prokofjews Die Liebe zu den drei Orangen und der Belcore in Donizettis L’Elisir d’Amore auf seinem Programm. Vorher freilich Wolfram: „Musikalisch ist das wunderbar, obwohl ich kein totaler Wagnerfan bin. Für den Text habe ich mir selbst eine englische Übersetzung angefertigt, was bei einigen alten Wörtern nicht leicht war. Ich hoffe, dass ich die Figur jetzt bis in alle psychologischen Details hinein begriffen habe. Mein Deutsch reicht inzwischen so weit, dass ich fast alles verstehe und die Aussprache einigermaßen beherrsche. Spontan in dieser Sprache reden kann ich leider noch nicht. Thank you for making our interview in English!“
In seiner Freizeit entdeckt er gern von Bonn aus die europäischen ­Städte. Im Oktober fliegt er nach Brasilien. Lee Poulis ist eingeladen, als Solist bei einer Konzerttournee der Oper São Paulo mitzuwirken.

Donnerstag, 08.12.2011

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