Jürgen Becker - kultur 81- Dezember 2011

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Jürgen Becker und Sigrid Limprecht: Leitungsteam des Kulturzentrums Brotfabrik

Kürzlich feierte die Brotfabrik ihr 25-jähriges Bestehen. Sie ist ein ‚klassisches’ soziokulturelles Zentrum mit Trägerverein, Theater, Programmkino, Kneipe, Ateliers und Probenräumen, regelmäßig dort arbeitenden Künstlergruppen, Residenzen und Initiativen. Die Brotfabrik genießt überregional einen exzellenten Ruf und ist aus der regionalen freien Szene nicht wegzudenken. Der Stadtteil Beuel hat sich ohnehin rasant entwickelt, nachdem in den 1980er Jahren die Kultur dort Einzug hielt. 1984 etablierte der damalige Schauspielintendant Peter Eschberg die ehemalige Jutespinnerei an der Siegburger Straße als Spielstätte „Halle Beuel“. Bereits 1979 hatte das private Junge Theater Bonn nach diversen Provisorien eine Heimstatt gefunden im ehemaligen „Rheingold-Kino“ an der Beueler Hermannstraße.
Jürgen Becker (*1962), heute Leiter der Bühne in der Brotfabrik, entdeckte dort als Schüler seine Liebe zum Film, studierte an der Uni Bonn Neuere Geschichte (mit vielen in der Prä-Bachelor-Zeit noch möglichen Querverbindungen zur Literatur- und Kunstgeschichte), schrieb seine Magisterarbeit über die Filmpropaganda im Ersten Weltkrieg und landete bei der studentischen Initiative mit dem liebevoll mafiosen Namen „Cosa Nostra“, die ein Zentrum für die freie Theaterszene mit Proben- und Aufführungsräumen suchte. Ca. 30 freie Bonner Kulturgruppen kämpften unter der Leitung von Martin Schmidt-Roßleben, später Kulturamtsleiter in Potsdam und mittlerweile Manager bei einer Berliner Kultur-Consulting-Firma, für einen neuen Möglichkeitsort. Der Traum von der ehemaligen Wundpflasterfabrik Traumaplast an der Endenicher Straße platzte. Der gemeinnützige Verein „Traumpalast“ besteht jedoch mit dem aktuellen Sprecherteam Sigrid Limprecht und Jürgen Becker bis heute.
Nur vorübergehend sollte der Traumpalast nach dem Willen der Kulturverwaltung 1985 in der leer stehenden Beueler Germania-Brotfabrik unterkommen. Mit viel Idealismus, Wahnsinnsarbeit und wenig Geld wurde daraus 1986 eine ‚Casa nostra’, also die Brotfabrik, die ein Vierteljahrhundert später mit jährlich über 900 Veranstaltungen mit rund 150.000 Teilnehmern das städtische Kulturangebot entscheidend bereichert. Der Nutzungsvertrag zwischen der Stadt Bonn und dem Verein Traumpalast läuft noch bis 2017. Die Stadt übernimmt die Mietkos­ten und zahlt einen Betriebskostenzuschuss von ca. 260.000 Euro, was rund 50 % des Etats entspricht. Die andere Hälfte erwirtschaftet das Unternehmen selbst, wobei seit 2005 Bildungswerk und Bühne als selbstständige gemeinnützige GmbHs arbeiten. Professionelle Strukturen und ein klares künstlerisches Profil gab der Brotfabrik in den 1990er Jahren die ausgebildete Politikwissenschaftlerin Gisela Mengelberg, inzwischen Kultursprecherin der Grünen im Rat der Stadt Bonn. Sie etablierte hier den modernen Tanz, organisierte internationale Kinder- und Jugendtheater-Netzwerke und Festivals und war gut anderthalb Jahrzehnte lang die unermüdliche Seele der Brotfabrik, die sich von einem Haufen kreativer Enthusiasten zu einem klar organisierten Kulturanbieter entwickelte.
Sehr gut organisiert war von Anfang an das Kino unter der Leitung von Stefan Drößler, der 1985 das Bonner Sommerkino im Innenhof des Poppelsdorfer Schlosses gründete, von 1986 bis 1998 die Bonner Kinemathek in der Brotfabrik leitete, dort ein deutschlandweit einmaliges Filmarchiv aufbaute und nun Direktor des Münchner Filmmuseums ist. In seine Fußstapfen trat Sigrid Limprecht (*1964 in Südschwaben) und gelernte KFZ-Mechanikerin. Als Filmvorführerin hatte sie viele Erfahrungen gesammelt und schließlich ihre Kino-Leidenschaft zum Beruf gemacht. „Solide technische Kenntnisse und Vertrautheit mit der Lichtmechanik sind sehr nützlich bei meiner Arbeit. Man glaubt kaum, wie schnell Filme verloren gehen und welche Mühe es macht, das Bild- und Tonmaterial zu rekonstruieren und zu sichern. Die Recherche ist mit der Digitalisierung und Internet-Verwertung jedes Star-Rülpsers noch aufwändiger geworden“, erklärt Limprecht, die inzwischen das Programm der bundesweit zur Spitzenklasse gezählten und regelmäßig mit renommierten Preisen ausgezeichneten Kinemathek in der Brotfabrik leitet, die zudem über ein riesiges, weltweit gefragtes Archiv verfügt, für das zusätzlich Lagerräume angemietet werden mussten. Als Expertin ist Limprecht viel unterwegs; die Berlinale gehört ebenso zu ihrem Pflichtprogramm wie das Filmfestival in Cannes, das sie als den weltweit wichtigsten Markt sieht. Sie schaut aber gern auch an Orten abseits des Mainstreams vorbei und sucht nach exquisiten Kinoschätzen. Neben in der Originalsprache gezeigten Highlights gibt es Filmreihen aus so ziemlich allen europäischen Ländern und eigenwillige Specials. Das eher kleine Kino in der Brotfabrik ist das Stammhaus, die beliebten Stummfilmtage im Innenhof des Unihauptgebäudes gehören zu den jährlichen Bonner Highlights und schrammten gerade noch mal an den städtischen Sparfantasien vorbei. Inzwischen gastiert die Kinemathek aber auch regelmäßig im LVR Landesmuseum Bonn, im Haus der Geschichte und in der Bundeskunsthalle.
Auf Entdeckungsreisen begibt sich Limprechts Kollege Becker ebenfalls häufig als bundesweit bekannter Spezialist für Kinder- und Jugendtheater. Er installierte das Kinderkino in der Kinemathek und übernahm vor knapp 20 Jahren hauptamtlich die Verwaltung der Brotfabrik-Finanzen. Becker organisiert Gastspiele renommierter Kinder- und Jugendtheater-Produktionen aus dem In- und Ausland, die das Angebot für junge Menschen in Bonn und der Region durch neue Ästhetiken erweitern. Das 1993 gegründete Theater Marabu, das bei so ziemlich allen deutschen Festivals ständig Preise abräumt und 2009 sogar für den „Faust“ des Deutschen Bühnenvereins nominiert wurde, quasi den Oscar des deutschen Theaters, residiert als selbstständige Bühne mit eigenem internationalem Netzwerk im Hinterhof der Brotfabrik und würde den Porträt-Platz in dieser kultur sprengen.
Zumal Becker nicht nur eine Weltmusik-Reihe (mehrere Gruppen wie z.B. „Fanfare Cioc?rlia“, die beim diesjährigen Beethovenfest Furore machte, konnte man in der Brotfabrik entdecken, bevor sie auf dem Konzertmarkt reüssierten und fürs schmale Budget des Hauses unerschwinglich wurden) mit dauerhaft hier lebenden Exil-Künstlern ins Leben gerufen hat, sondern auch gern anspruchsvolles Figurentheater nach Bonn holt. „Möglicherweise hat das mit meiner Vorliebe für den ständig unterschätzen Kasper als originärer Theaterfigur zu tun“, gesteht Becker beim Tee in dem hübschen Fachwerkhaus in Limperich, das er mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Petra Kalkutschke, seit gut einem Jahr bewohnt. Deren Tochter Selma ist übrigens eine hochbegabte Nachwuchspianistin und wirkt bei Jugend-Musiktheaterprojekten des städtischen Theaters mit.
„Wir operieren nicht mehr am Rand des Kulturbetriebs, sondern in der gesellschaftlichen Mitte und spiegeln die Bedürfnisse eines Publikums aller Generationen und Herkünfte“, erklären Becker und Limprecht. Das studentische Milieu, das vor 25 Jahren die Basis der Brotfabrik war, füllt heute allerdings nur noch die Produktionen seiner Kommilitonen wie der ‚Bonn University Shakespeare Company’, der spanischsprachigen Truppe ‚La ClinicA’ und der Schauspielschule Siegburg. Kino, Theater und Tanz erreichen eher die Generation 35+, was aber im Durchschnitt noch jenseits des ‚Silbersees’ der Rad- und Kreuzfahrer liegt. Brücken zu schlagen zwischen künstlerischer Professionalität, semiprofessionellen Projekten, eigenwilligen ästhetischen Impulsen und einem neugierigen Publikum, ist die zentrale Aufgabe der Brotfabrik. Dass mehrere aus dem knappen Dutzend knapp bezahlter Mitarbeiter auch „Becker“ heißen (Markus Becker und Frithjof Becker betreuen ideenreich die Bühnen-Technik und sind begehrte Licht- und Tongestalter) hat mit der ursprünglichen Brotbäckerei nichts zu tun und ist purer Zufall. Wobei der Chefironiker Jürgen Becker als Bäcker kluger Ideen lieber an Bühnenkasper-Fiktionen glaubt als an den fa

Donnerstag, 16.02.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 28.03.2024 20:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn