Julia Goldberg - kultur 92 - Januar 2013

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Julia Goldberg: Sarah Regan, Anja und Amanda

Ihren ersten Auftritt als neues Mitglied des Bonner Schauspiel-Ensembles hatte sie in der Oper. In Sancta Susanna, dem Mittelteil des Hindemith-Triptychons, spielte Julia Goldberg in einer kurzen Sprechszene die junge Magd, die es mit dem Knecht im nächtlichen Gebüsch treibt und von den keuschen Nonnen ans Licht zitiert wird. Ihre ersten großen Rollen in Bonn folgten dann in Harper Regan von Simon Stephens. In den Kammerspielen verkörpert sie außer der Krankenschwester Justine, die Harper den Tod ihres Vaters verkündet, die siebzehnjährige Sarah, die die Vergletscherung der elterlichen Ehe erlebt und selbstbewusst ihren eigenen Weg sucht. „Schon bei ‚Romeo und Julia‘ hat mich – natürlich ganz anders – das immer wieder auftauchende Thema beschäftigt: Kann Liebe noch etwas Beständiges sein, wenn man dauernd funktionieren muss? Wie erhält man sich den Mut zum Absoluten?“, fragt die nachdenkliche Schauspielerin, die 2012 ihre Ausbildung an der Theaterakademie der Hochschule für Musik und Theater in ihrer Heimatstadt Hamburg abschloss.
Julia Goldberg kam im Dezember 1986 in der Hansestadt zur Welt und ist seit dieser Spielzeit fest in Bonn engagiert. Wie ihre jungen Kollegen Grégoire Gros, Dennis Pörtner und Johanna Wieking hat sie einen Vertrag nur für die Saison 2012/13, die letzte unter der Generalintendanz von Klaus Weise. In dessen Inszenierung von Tschechows Kirschgarten hat sie inzwischen auch die Rolle der Anja übernommen. „Es ist toll, wenn man – gestützt von einem erfahrenen Ensemble – vieles ausprobieren kann. Im Moment versuche ich, mir noch kaum Gedanken darüber zu machen, wie es nach meinem ersten Engagement weitergeht. Wechsel und Wartezeiten sind im Schauspielerberuf ganz normal. Es gehört immer auch eine Menge Glück dazu, dass man einen Job bekommt, in dem man sich wohl fühlt und seine Träume verwirklichen kann.“
Vom Theatervirus infiziert wurde Julia schon an der Waldorf-Schule in Hamburg-Nienstedten. Außerdem spielte sie Geige (Klavier und Klarinette beherrscht sie auch) im Schulorchester und sang im Schulchor mit. „Das war wirklich fantastisch. 2002 haben wir Mendelssohns Elias mit Franz Grundheber als Solist aufgeführt. 2004 war unsere Musik-AG mit Mozarts Zauberflöte sogar in Ägypten zu Gast. Ich sang die dritte Dame“, berichtet Julia. „Durch die Musik ist man schauspielerisch gebunden, lernt aber auch sehr viel über Gestaltungsformen. Ich war als Schülerin beim Ausdruck von Gefühlen eigentlich eher zurückhaltend, aber durch die Musiktheater-Arbeit reifte mein Wunsch, die Bühne weiter zu erkunden.“ Zwischen 2005 und 2008 wirkte sie schon in drei Produktionen am Jungen Schauspielhaus Hamburg mit.
Nach dem Abitur hat sie trotzdem erst mal in Hamburg ein Medizinstudium begonnen. „Es gefiel mir sehr; besonders die Anatomie und das Hineinschauen in den menschlichen Körper haben mich fasziniert“. Dennoch brach sie diese Ausbildung ab, als sie einen der begehrten Studienplätze (von ca. 800 Bewerbungen jährlich sind knapp zehn erfolgreich) an der Hochschule für Musik und Theater erhielt. „Besonders gut gefiel mir, dass man dort eng mit den Regiestudenten zusammenarbeitet und in deren Projekten eine Menge Erfahrungen sammeln kann. Außerdem bekommt man früh Chancen, an großen Häusern mit berühmten Regisseuren zu arbeiten.“ Bereits 2009 wirkte sie z.B. am Thalia Theater bei Dimiter Gotscheffs Ödipus-Inszenierung mit. 2010 spielte sie die Marie in Büchners Woyzeck (Regie: Ivna Zic) auf Kampnagel und die Miranda in Sturm auf St. Pauli frei nach Shakespeare (Regie: Felix Meyer-Christian) im St-Pauli-Theater. „Es ging um Freiheit, Schönheit, Kunst und auch wieder um junge Großstadt-Liebende.“ Die Produktion wurde ebenso zu einem Nachwuchstheatertreffen nach Moskau eingeladen wie bereits 2009 das Regie-Projekt Der Fremde von Gernot Grünewald nach Camus, bei dem Julia den Meursault spielte. Bei einem Studienprojekt hat sie auch schon mit der zukünftigen Bonner Schauspieldirektorin Nikola Bramkamp zusammengearbeitet. 2011 spielte sie in einem Regieprojekt der jungen Grete Pagan am Hamburger Schauspielhaus die Prothoe in Kleists Penthesilea.
Besonders begeistert ist sie immer noch von Brechts wildem Baal, den der Schauspieler und Regisseur Samuel Weiss 2010 mit Mitgliedern der Hamburger Theaterakademie erarbeitete und im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses herausbrachte. „Viel Glitzer und Musik. Es hat großen Spaß gemacht.“ Am Thalia Theater spielte sie dann, wieder in einer Koproduktion mit der Theaterakademie, die Julia in Shakespeares Romeo und Julia (Regie: Alexander Simon) und erhielt für ihre herausragende darstellerische Leistung 2011 den mit einem Jahresstipendium von monatlich 400 Euro verbundenen Förderpreis der Studio Hamburg FilmProduktion. Ebenso übrigens wie ihr ehemaliger Hochschul-Kommilitone und neuer Bonner Kollege Dennis Pörtner, der hier jetzt u.a. den Laertes im Hamlet spielt. Inzwischen suchen und fördern auch Film- und TV-Firmen den gut ausgebildeten Schauspielnachwuchs. Julia Goldberg schätzt zwar den direkten Kontakt zum Publikum im Theater, sagt aber klar: „Ich habe auch große Lust, zu drehen“.
Mit Dennis Pörtner hat sie kürzlich in der „Nachtwerk“-Reihe in der Werkstatt das ziemlich verrückte Zweipersonenstück Sauerstoff von Iwan Wyrypajew aufgeführt. „Es ist eine Halt- oder Sinnsuche anhand von zehn biblischen Geboten“. Derzeit ist sie dort auch zu erleben als mörderische Köchin Amanda Castle in der schrägen Krimifarce Genie und Verbrechen (s. Kritik S. 7). Mitte Dezember haben auch schon die Proben zu Sommer und Rauch von Tennessee Williams begonnen (Premiere ist am 26.Januar in den Kammerspielen), wo sie zum ersten Mal unter der Regie von David Mouchtar-Samorai arbeiten wird. Julia spielt die junge Nellie.
„Theater ist eine sensible Arbeit mit Menschen, bei der man sich gegenseitig immer aufs Neue vertrauen muss. Es ist gewiss auch ein Privileg, ganz verschiedene Menschen zu treffen und sich gemeinsam mit Inhalten auseinanderzusetzen. Aus den verschiedenen Menschenkonstellationen ergibt sich oft etwas ganz Unerwartetes. Toll ist es, wenn man dabei genau das Intensive schaffen kann, wonach man stets gesucht hat.“ Als Traumrolle nennt sie überraschend Caligula von Albert Camus. Der Autor war etwa in ihrem heutigen Alter, als er 1930 die Figur dieses jungen römischen Kaisers erfand, der radikal die Sinnlosigkeit der Exis­tenz reflektiert und brutal seine Freiheit zum Absurden auslebt. Für ihr Abschlussexamen hat Julia sich aus Camus‘ Drama selbst einen Monolog zusammengebaut. Mit einer Aufsehen erregenden „Caligula“-Inszenierung machte übrigens 2009 an der Theaterakademie Hamburg Alexander Riemenschneider sein Regiediplom, dessen „Kaspar“ von Peter Handke 2011 als beste Inszenierung beim NRW-Theatertreffen ausgezeichnet wurde und gerade in der Werkstatt wiederaufgenommen wurde.
„Die Widersprüchlichkeit von Charakteren, deren Schutzschichten zu erforschen, ist faszinierend an meinem Beruf“, resümiert Julia Goldberg: „Ich bin gespannt, was noch kommt“.

Donnerstag, 28.02.2013

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