Irina Oknina - kultur 49 - 9/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Irina Oknina - Eine Moskauerin in Bonn

Zum Interview hat Irina Oknina ihren jüngsten Sohn im Kinderwagen mitgebracht und auch ihre charmante Mutter, die aus Moskau angereist ist, um ihre Enkel Vasiliy und Nikolay zu betreuen. Denn kurz vor den Sommerferien hat Irina Oknina diesmal besonders viel zu tun. Vor gut zwei Wochen wurde sie bei der Premiere von Tschaikowskys Pique Dame (s. Kritik S. 3) als Lisa stürmisch gefeiert. Vier weitere Aufführungen dieser Oper standen im Juni auf ihrem Programm, außerdem noch dreimal die Margarethe in Gounods Faust und zum letzten Mal die Gräfin in Mozarts Figaro. Außerdem laufen in Beuel schon die Proben für Verdis Un ballo in maschera (Premiere am 7. September). Irina wird die zwischen der Liebe zu dem mächtigen Politiker Riccardo und der Treue zu ihrem Gatten Renato schwankende Amelia singen: „Das ist eine ganz starke Frau, der Verdi unglaublich viele emotionale Farben in die Stimme komponiert hat.“ Zu ihren größten Bonner Erfolgen zählt die Violetta Valéry in Verdis La Traviata. Die wunderbar klare Inszenierung von Andreas Homoki wird 2009 wieder aufgenommen. Als „Traviata“ ist Irina Oknina deshalb auch auf dem Titelbild des aktuellen Jahresprogramms der Theatergemeinde Bonn zu sehen, was sie natürlich freut. Als sie im Sommer 2007 zutiefst berührend die Desdemona in Verdis Otello (Regie: Dietrich Hilsdorf) verkörperte, war sie bereits sichtlich schwanger und legte danach eine Babypause ein.
Seit der Spielzeit 2004/05 gehört sie zum Ensemble der Oper Bonn, wo sie ihr erstes festes Engagement erhielt und seitdem in etlichen großen Sopranpartien überzeugte. Mit einer der bekanntesten Rollen des russischen Repertoires stellte sie sich im Januar 2005 dem Bonner Publikum vor: Die Tatjana in Silviu Purcaretes vielschichtiger Inszenierung von Tschaikowskys Eugen Onegin unter der musikalischen Leitung von Roman Kofman war ihr erster regulär bezahlter Bühnenauftritt überhaupt. „Die junge Moskauerin Irina Oknina, die in dieser Rolle ihr professionelles Operndebüt gibt, ist ein Ereignis: mädchenhaft zart und hinreißend schön, ein traumhaftes Spieltalent und ein beweglicher lyrischer Sopran, der mühelos und ohne jede stimmliche Schärfe alle dramatischen Herausforderungen der Partie glänzend bewältigt“, hieß es dazu in kultur Nr. 15. Wenige Wochen später folgte gleich die nächste Herausforderung: die Donna Anna in Klaus Weises Inszenierung von Mozarts Don Giovanni. Mit dem Regisseur Purcarete arbeitete sie 2006 erneut zusammen als Helena in Brittens Midsummer ­Night’s Dream, mit Weise als Gräfin Almaviva in Mozarts Le nozze di Figaro.
In Bonn vorgesungen hatte sie im Frühjahr 2004 ganz regulär. Ihr russischer Kollege Andrej Telegin aus dem Bonner Ensemble und dessen Frau Ekaterina Klewitz (inzwischen Leiterin des Kinderchors) hatten sie darauf aufmerksam gemacht, dass hier eine neue Sopranistin gesucht würde. Dass Generalmusikdirektor Kofman unter 20 Bewerberinnen in der jungen Russin die Idealbesetzung für die Tatjana sah und hörte, erwies sich als Glücksfall. Für die Bonner Oper und auch für Irina selbst: „Obwohl ich noch nicht perfekt Deutsch spreche, ist Bonn inzwischen meine zweite Heimat. Es ist eine kleine Stadt; aber wo bekommt man gleich am Anfang schon so viele schöne Partien und Entwicklungsmöglichkeiten?“ Die Sprache (wir unterhalten uns übrigens auf Deutsch, das sie recht gut beherrscht) ist ihr sehr wichtig, weil sie sich mindestens ebenso als Schauspielerin wie als Sängerin versteht. Für Otello z.B. hat sie fünf verschiedene Shakespeare-Übersetzungen gelesen, um möglichst viele Nuancen des Werkes zu begreifen. Im Moment lernt sie intensiv Italienisch, denn schon drei Wochen nach der Maskenball-Premiere folgt die Premiere der konzertanten Aufführung von Francesco Cileas Adriana Lecouvreur, in der sie die Titelrolle singen wird und dabei den Text wirklich präzis beherrschen möchte.
Bereits vor ihrer ersten Bonner Premiere war sie im Oktober 2004 in der Fernsehsendung „Stimmen von morgen“ (Arte/ZDF) zu erleben, in der der weltberühmte Cellist und Dirigent Mstislav Rostropowitsch und seine Frau Galina Wischnewskaja, eine der wichtigsten russischen Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts, hervorragende Absolventen des von ihnen 2002 gegründeten „Galina Wischnewskaja-Zentrums für Operngesang“ vorstellten. Die Begegnung mit diesen beiden großen Künstlerpersönlichkeiten war für Irina entscheidend. Nachdem sie 2002 ihr Studium an der Russischen Akademie der Theaterkünste in Mos­kau abgeschlossen hatte, setzte sie ihre Ausbildung an dem neuen Institut fort, das die begabtesten russischen Nachwuchssängerinnen und –sänger auf den internationalen Opernbetrieb vorbereiten will.
Dass die Oper später Zentrum ihres Lebens werden sollte, war kaum abzusehen, als Irina Oknina 1975 in Moskau zur Welt kam. Beide Eltern sind Ingenieure, und auch sonst dominieren in ihrer Familie die Naturwissenschaften. „Als Kind habe ich zwar immer gesungen, und wir gingen auch regelmäßig in die Oper. Die Musik gefiel mir, aber meistens waren die Sänger keine guten Schauspieler. Ein Besuch des Musicalfilms Cabaret mit Liza Minelli begeisterte mich viel mehr.“
In der Schule war vor allem der Chorgesang ihr Schwerpunkt. Ein Glücksfall war dabei ihr Lehrer Georgij Struve, der berühmte Musikpädagoge und Nestor der russischen Kinder- und Jugendchorbewegung. Sie spielte deshalb auch mit dem Gedanken, selbst Chordirigentin zu werden, entschied sich am Ende aber für ein Schauspielstudium. „Mit 20 sah ich dann einen Film über die Callas und war regelrecht schockiert davon, mit welcher Intensität die Gefühle durch den Gesang weitergegeben werden können.“ Sie wechselte also in den Studiengang Musiktheater und nahm außerdem privaten Unterricht in Konzert- und Liedgesang. Noch während des Studiums gastierte sie in einem Moskauer Musical-Theater für Kinder. Weitere Bühnenerfahrungen sammelte sie im Wischnewskaja-Zentrum, trat regelmäßig mit dem Radio Sinfonie Orchester Moskau auf, sang wichtige Rollen bei konzertanten Opernaufführungen und erarbeitete sich ein umfangreiches Liedrepertoire. Die größte Faszination geht für sie dennoch vom Musiktheater aus. „Man muss eine Rolle zu 100% spielen, damit die Stimme sich ganz von den Gefühlen leiten lassen kann. Jeder große Komponist ist da eine neue, aufregende Aufgabe. Am Anfang ist die Musik für mich so etwas wie eine Dusche mit verschiedenen Strahlen und Temperaturen; dann wird sie zur Nahrung für Kopf und Seele, die sich im Spiel vielleicht streiten, aber im Gesang nicht gegenseitig stören dürfen.“ Mozart mag sie deshalb sehr: „Seine Musik ist raffiniert und keineswegs einfach zu gestalten, aber er liefert solch dankbares Material für singende Schauspieler und lässt sie immer etwas Besonderes auf der Bühne sein.“ Eine Traumrolle wäre auch Cio-Cio-San in Puccinis Madama Butterfly, die sie in Moskau schon einstudiert hat. Oder in ein paar Jahren vielleicht Jekaterina Ismailowa in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk. Die war neben der Tatjana in Eugen Onegin übrigens eine der Glanzrollen von Irina Okninas verehrter Mentorin Galina Wischnewskaja.

Donnerstag, 08.12.2011

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