Hendrik Richter - kultur 43 - 1/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Hendrik Richter – Fritz aus Gerolstein, der Männerhort und die Musik

„Wenn ich da wie eine behelmte Soldatenpuppe vor dem roten Samtvorhang hocke, komme ich mir ein bisschen vor wie Heintje, der nach seiner ‚Mama’ greint“, erzählt Hendrik Richter. Aus dem absurden Operettenmanöver der Großherzogin von Gerolstein (inszeniert von Kay Voges, s. S. 3) kommt der kleine Gefreite Fritz trotz seines kometenhaften Aufstiegs nicht gerade unbeschädigt raus, sondern ziemlich blutig angesägt. „Übrigens haben wir bei den Proben zur ‚Großherzogin’ festgestellt, dass keiner aus dem Ensemble beim Militär gedient hat – außer einem Chorsänger, und der stammt aus Kasachstan.“ Für die große Rolle des Fritz hat Hendrik Richter seine Stimme noch mal aufpoliert. Drei Monate lang hat er mit dem Bonner Tenor Mark Rosenthal, der die Partie aus eigener Erfahrung bestens kennt, intensiv gearbeitet: „Mark hat mir gesangstechnisch und musikalisch gestalterisch unglaublich viel geholfen. Es war eine tolle Zeit. Außerdem ist Singen ganz einfach. Man muss nur gerade hören und das dann ein biss­chen schräg wiedergeben.“ Hendrik untertreibt gern, natürlich kann er Noten lesen und kennt sich in diversen musikalischen Genres bestens aus.
Gesungen hat Hendrik – geboren 1971 in Wanne-Eickel – immer schon gern, während der Schulzeit begeisterte er sich vor allem für Rock und Punk. Theater interessierte ihn eigentlich kaum. Nach dem Abitur leistete er 20 Monate lang seinen Zivildienst in einer Behindertenwerkstatt: „Eine wunderbare Arbeit, die ich mir auch als dauerhaften Beruf hätte vorstellen können.“
Hendrik suchte aber erst mal nach neuen Erfahrungen, begann in Freiburg ein Lehramtsstudium (Geschichte, Spanisch, Französisch), fing daheim im Ruhrgebiet eine KFZ-Mechaniker-Lehre an („Meine Eltern arbeiteten in dem Gewerbe, und ich wollte wenigstens wissen, wie das funktioniert.“) und schrieb sich dann an der Uni Dortmund für ein Studium der Sonderpädagogik ein. Dort lernte er den freien Theatermacher, Regisseur, Autor, Maler und Clown Willi Thomczyk kennen, spielte fast vier Jahre lang an dessen „Theater Kohlenpott“ und bewarb sich im ‚fortgeschrittenen’ Alter von 24 Jahren auf Anhieb erfolgreich an der Bochumer Schauspielschule. „Das war ein großes Glück, weil am Bochumer Schauspiel unter Leander Haußmann unheimlich viel passierte. Von ihm und Regisseuren wie Dimiter Gotscheff und Frank Castorf, der damals in der Szene noch neuen Regisseurin Christina Paulhofer sowie dem Dramaturgen Andreas Marber habe ich viel gelernt.“
Zur Ausbildung gehörten Auftritte auf der großen Bühne. Zum wichtigsten für Hendrik wurde der Junge Pig in Disco Pigs von Enda Walsh: Seine damalige Partnerin in der Rolle des schrillen Mädchens Runt ist nämlich inzwischen seine Frau. Das Stück wurde übrigens 1998 bei der Bonner Biennale entdeckt und führte zum internationalen Durchbruch des irischen Autors.
Zu den großen Erlebnissen gehört auch die Zusammenarbeit mit der „Theatergroep Hollandia“ des Niederländers Johan Simons bei dessen legendärer Inszenierung Der Fall der Götter. Hendriks Bochumer Schauspielklasse gestaltete in Rotterdam das Vorprogramm. Im Sommer 2000 gastierten die Nachwuchskünstler zudem mit den Drei Musketieren im Schweriner Schloss. Hendrik spielte den D’Artagnan. „Dass unsere ganze Klasse für diese Festspiel-Produktion engagiert wurde, lag entweder daran, dass wir in Bochum wirklich gut fechten gelernt hatten, oder daran, dass man in Schwerin mit sechs Wochen Regen rechnete. Trotzdem wurde es ein schöner Erfolg.“
Sein erstes festes Engagement hatte Hendrik unmittelbar nach seinem Examen schon in der Tasche. Vorgesprochen hatte er in Oberhausen mit Sosias/Merkur aus Kleists Amphitryon (einstudiert mit seinem Bochumer Lehrer, dem Schauspieler Peter Jordan). „Kleists Sprache ist für mich immer ein Erlebnis. Sein fantastisch genauer Rhythmus erfordert eine Wahnsinnsarbeit, aber dann kann man plötzlich auf seinen Wörtern ‚reiten’, als ob man sich beim ‚Verfertigen der Gedanken’ wie bei seinem ‚Marionettentheater’ selbst zuschaute.“ Den „Prinzen von Homburg“ würde er gern mal spielen: „Weil der so eitel ist. Dass mir eine Uniform gut steht, habe ich ja wohl bewiesen.“ Hendrik lacht, denn Eitelkeit ist ihm eigentlich völlig fremd. Den Johann in Kleists Familie Schroffenstein in den Bonner Kammerspielen hat er sehr gern gespielt. Zumal er die strenge Ästhetik des jungen Regisseurs Ingo Berk mag. In dessen Inszenierung von Sophokles’ Trachinierinnen verkörperte er in der Halle Beuel den Boten Lichas, der nebenbei auch singen durfte. „Ingo entwickelt aus seinem Respekt vor den Texten sehr ernsthaft Figuren, ohne altbacken zu wirken.“ Die nächste gemeinsame Arbeit ist Groß und Klein von Botho Strauß (Premiere am 15. Februar in den Kammerspielen).
Unter seinen vielen Rollen in Oberhausen nennt Hendrik vor allem den Puck in Shakespeares Sommernachtstraum und den Kalil in Schimmelpfennigs Die Arabische Nacht (Regie bei beiden Stücken: Annette Kuss). Das Bonner Publikum hat er im Sturm erobert als Eroll in der Erfolgskomödie Männerhort von Kristof Magnusson, inszeniert von Kay Voges, mit dem Hendrik später auch bei Brechts Arturo Ui zusammenarbeitete und jetzt bei seiner Großherzogin von Gerolstein. Sein Gesangtalent hat er schon in der Revue Call my Number unter Beweis gestellt, ganz besonders jedoch in der Kult-Rockband „Die MannMannMannManns“, die als Seitentrieb des „Männerhorts“ entstand und inzwischen aus Bonn nicht mehr wegzudenken ist. Zu sehen ist er zur Zeit außerdem als Lucentio in Shakespeares Die Zähmung der Widerspenstigen in der Regie von Michael Helle. In dessen Inszenierung von Savyon Liebrechts Stück Sonia Mushkat spielte er psychologisch beklemmend genau den jungen verlotterten Albert. Viel Spaß machen ihm auch seine Rollen als Gerichtsdiener und skurriler Priester in Goldonis Krach in Chiozza (Regie: David Mouchtar-Samorai). Zumal er dort auch wieder als Sänger auftritt. Musik ist in seiner schauspielerischen Arbeit halt fast immer drin.
Besonders gern spielt der dreifache Vater für Kinder und hat in Oberhausen bei den meisten Weihnachtsmärchen mitgewirkt – vom Musical Der Zauberer von Oz bis zu Pippi Langstrumpf. In Bonn ist das in dieser Saison wegen seiner vielen anderen Rollen nicht möglich. Aber für die Vorweihnachtszeit hat er sich zusammen mit der Theaterpädagogin Yvonne Schwartz und zwei jungen Schauspielkollegen doch noch etwas ausgedacht. Sie lesen in Kinderkliniken und Kinderheimen. Vielleicht wird Hendrik auch seine Gitarre mitnehmen und was singen. Als Pädagoge hat er schließlich angefangen und freut sich jetzt darauf, als Schauspieler dem jungen Publikum Geschichten zu schenken.

Dienstag, 25.02.2014

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