Helge Tramsen - kultur 53 - 1/2009

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Helge Tramsen - Nick, Jim und Cavaradossi

Gleich am Montag nach der Premiere von Tosca haben die Proben zu Elektra/Orest (Premiere 30. Januar) von Euripides begonnen. Helge Tramsen spielt Orests Freund Pylades. Mit dem Regisseur Christoph Roos hat er bereits bei Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf? zusammengearbeitet. Die ungeheuer dichte Inszenierung wurde wegen des großen Erfolges in diese Spielzeit übernommen. Am 25. Januar ist allerdings die letzte Vorstellung, in der man Helge als brillanten jungen Biologieprofessor Nick bewundern kann. In dieser Saison ist er freilich in so vielen Produktionen zu sehen, dass Freizeit für ihn fast schon wie ein Fremdwort klingt. „Glücklicherweise kann ich mir Texte sehr gut merken und ihren Rhythmus schnell lernen, weil ich immer gern mit Wörtern umgegangen bin.“ In der Glasmenagerie von Tennessee Williams (Regie: David Mouchtar-Samorai) verkörpert er den netten jungen Jim, der mit seinem Optimismus Lauras gläserne Traumwelt zerbricht. In Tasmanien von Fabrice Melquiot ist er in der Regie des Generalintendanten Klaus Weise der undurchsichtige Drogenkoch Pontius Bakery und Schöpfer der künstlichen Paradiese des Politikers Cyninc. Und jetzt in dem Schauspiel Tosca von Victorien Sardou (Regie: Stefan Otteni) der Maler Cavaradossi, der spontan einem verfolgten Republikaner hilft und dafür mit Folter und Tod bestraft wird.
Natürlich handelt das Stück (s. Kritik S. 4) vor allem von großen Gefühlen. „Die beiden Sänger sind einfach toll. Die Überlagerung von Spiel und Gesang war anfangs ziemlich irritierend. Ich hatte große Probleme damit, mit meinem Text – und man muss in der Halle Beuel sehr laut reden – einfach einzubrechen in das, was Fabian Martino gerade singt. Mit der Zeit ist das selbstverständlicher geworden. Trotzdem bleibt immer die Frage: Wer ist der Andere überhaupt? Ein Geist-Ich, das nicht direkt eingreifen kann, aber trotzdem eigenständig mitagiert? Mit der Oper hatte ich mich bis dahin kaum beschäftigt und mir Puccinis Tos­ca erst vor Probenbeginn wirklich bewusst angehört. Das heißt: Ich wollte eigentlich nur mal reinhören und war dann geradezu elektrisiert von der emotionalen Spannung seiner Musik.“
Theater als Beruf lag dem 1973 in Flensburg geborenen, an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste in Kappeln an der Schlei aufgewachsenen Helge Tramsen lange Zeit eher fern. Beide Eltern waren Lehrer, engagierte Katholiken und als Sozialdemokraten kommunalpolitisch aktiv. „Religion und Politik waren in der Familie die zentralen Themen, neben Sport und Rock’ n Roll. Papst oder Präsident waren meine ers­ten Berufswünsche. Später wurden die Beatles und David Bowie meine Helden. Die häusliche Verkleidungskiste nutzte ich als Kind für Auftritte zu Hause regelmäßig, brachte es im Gemeindezentrum bis zum Heiligen Nikolaus, scheiterte aber bei den meisten Schultheaterprojekten daran, dass ich mich entweder in die Spielleiterin oder die Hauptdarstellerin verknallte. Einer Sportlehrerin habe ich einen Beinbruch allerdings so überzeugend vorgemacht, dass sie beinahe den Notarzt gerufen hätte.“ Helge spielte Schlagzeug in diversen Bands, machte sein Abitur in Kappeln und absolvierte dort auch seinen Zivildienst in einer Werkstatt für geistig Behinderte. „Eine Erfahrung, die mir viel bedeutet. Danach wollte ich aber einfach weit weg und reiste mit zwei Freunden ein Jahr lang rund um die Welt.“
An der Reformuniversität Bielefeld schrieb er sich deshalb für Politik, Geschichte und Soziologie ein, weil er den strukturanalytischen gesellschaftswissenschaftlichen Ansatz des dort lehrenden Professors Hans-Ulrich Wehler spannend fand.
Dass Helge, dessen Interesse bis dahin vor allem dem Kino galt, sich schließlich fürs Schauspiel entschied, liegt an Bonn. Eine Bielefelder Studienfreundin wohnte nämlich in Beuel und schleppte ihn regelmäßig mit ins Theater. „Zum letzten Mal war ich in der Jahrgangsstufe 12 im Theater gewesen – zwangsweise, weil die ganze Klasse dazu verdonnert worden war. Gefunkt hat es 1996 bei der Biennale und bei Aufführungen wie den Bakchen nach Euripides in der umstrittenen Inszenierung von Barbara Bilabel, dem Hamlet in der Regie von Andras Fricsay in den Kammerspielen und der Uraufführung Die Blutsbrüder von Christoph Klimke in einem Mausoleum am Rheinufer.“
Kurz nach dem Vordiplom gab er sein erstes Studium auf: „Die Theorie war für mich unbefriedigend geworden. Außerdem hatte ich eingesehen, dass ich in der Politik nicht glücklich würde und dass man die Welt nicht von oben gerechter und menschlicher machen kann.“ Er bewarb sich 1999 an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ („ziemlich unvorbereitet, einfach weil ich gehört hatte, das sei die beste“) und bekam prompt einen der begehrten Studienplätze. 2002 spielte er seine erste große Rolle, den Grafen Wetter vom Strahl in Kleists Käthchen von Heilbronn: „Eine ziemlich poppige Inszenierung meiner Kommilitonin Anna Bergmann aus der Regieklasse.“
Nach dem Diplom folgte 2003 sofort das erste feste Engagement am Theater Oberhausen unter der Intendanz von Johannes Lepper. „Klaus Weise war gerade nach Bonn gezogen. Irgendwie schwebten da noch die Geister seines Ensembles durch die Räume. Kennengelernt habe ich die ehemaligen Oberhausener aber erst in Bonn.“ In drei Jahren erarbeitete Helge sich ein großes Repertoire – „Die gründliche Ausbildung bei ‚Ernst Busch’ habe ich da erst richtig zu schätzen gelernt.“ Bereits 2004 erhielt er den Oberhausener Kritikerpreis als bester Schauspieler. Gerhart Hauptmanns Rose Bernd, in der er den August Keil spielte (Regie: Bernarda Horres), wurde 2004 zum NRW-Theatertreffen eingeladen, 2005 Kleists Hermannsschlacht, in der er den Hermann verkörperte (Regie: Johannes Lepper). In beiden Jahren wurde Helge als bester Nachwuchsschauspieler in NRW nominiert. Zu seinen Lieblingsrollen in Oberhausen zählt er außerdem den Josef K. in Leppers Inszenierung von Kafkas Prozess. „2007 hatte ich jedoch den Eindruck, dort genug gelernt zu haben und kündigte meinen Vertrag.“
Seit der Spielzeit 2007/08 gehört Helge zum Bonner Schauspiel-Ensemble. Vorgestellt hat er sich in der Halle Beuel als skurriler Mullet bei der deutschsprachigen Erst­aufführung von Realismus von Anthony Neilson. Regie führte Patricia Benecke, mit der er demnächst wieder zusammenarbeiten wird bei Molières Komödie Der Geizige. Er spielt Cléante, den Sohn des alten Geizkragens, und freut sich schon darauf, mal wieder in einem heiteren Stück aufzutreten – „obwohl Molières besonderer Humor gar nicht so leicht in unsere Zeit zu transportieren ist.“ Sehr witzig war bereits sein Baron Grog in Offenbachs Operette Die Großherzogin von Gerolstein (Regie: Kay Voges). Und glänzend sein verzweifelter Reverend John Hale in der Hexenjagd von Arthur Miller in der Regie von Michael Helle. Letzteren schätzt er neben David Mouchtar-Samorai ohnehin besonders: „Beide arbeiten sehr intensiv am Wort.“
In einigen Kurzfilmen hat er mitgewirkt, aber die fantasievolle Bühnenwelt ist ihm derzeit wichtiger. Seiner alten Kinoleidenschaft wird er dennoch am 17. Januar in der Werkstatt frönen. There’s a Starman Waiting in the Sky heißt der musikalische Weltraum-Ausflug. Weil David Bowie dann rein zufällig in derselben Galaxis unterwegs ist wie der Club der Utopisten, wird Helge seine Lieder singen. „Irgendwie schließt sich da für mich auch ein Kreis. Aber am tollsten ist, dass ich eigentlich in Bonn das Theater für mich entdeckt habe und ein gutes Jahrzehnt später selbst dort Theater machen darf.“

Donnerstag, 08.12.2011

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