Giselheid Hönsch - kultur 30 - Oktober 2006

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Giselheid Hönsch - Tante Elinor im Tintenherz und bald unglaubliche 70 Jahre jung

Vor ein paar Wochen wurde im SWR zum 80.Geburtstag von Christa Reinig noch einmal deren Hörspiel Das Aquarium gesendet, eine Produktion des Süddeutschen Rundfunks, die 1967 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet wurde. Giselheid sprach den Schwarzen Engel, genannt Bruno. „Ich habe gerade das Wiederholungshonorar bekommen“, sagt sie fröhlich bei Tee und Pflaumenkuchen. In zahllosen Radiosendungen hat sie mitgewirkt und z.B. literarisch akustische Experimente wie Gerhard Rühms Ophelia und die Wörter mit aus der Taufe gehoben. Ihre Stimme ist in Hörbüchern zu erleben, sie war in mehreren Filmen zu sehen und stand natürlich 2005 auch vor der Kamera bei dem von ihren jungen Kollegen vom JTB produzierten Low-Budget-Projekt Rolltreppe abwärts, das inzwischen gegen jede Wahrscheinlichkeit ein bundesweiter Kinoerfolg geworden ist.
Am 9.Oktober wird Giselheid Hönsch 70 Jahre alt, was ihr außer unverbesserlichen Tintenklecksern sowieso niemand glaubt. Sie selbst gibt unumwunden zu, dass sie zu Zahlen kein Verhältnis hat, grundsätzlich lieber nach vorn als zurück schaut und das Theater trotz aller Zwänge immer als ein Stück kostbarer Freiheit begreifen wird.
„Meine Energie ist immer gewachsen, und meine Freude fordere ich jeden Tag neu ein“, sagt sie. Und diesem gerade mal 158 cm großen Energiebündel mit den unverschämt pfiffigen braunen Augen glaubt man sofort, dass es immer Glück zu verschenken hat und die Bühne ewig als einen Ort erleben wird, wo man sein darf - „Unterstreich das bitte!“ - und nie bloß seine Pflicht tut.
Geboren wurde Giselheid Hönsch 1936 in der oberschlesischen Industriestadt Hindenburg, die heute wieder ihren alten Namen Zabrze trägt und zu Polen gehört. Genau an Giselheids 9.Geburtstag machte sich die Familie - der Vater war noch in russischer Gefangenschaft, von der er sich nie wieder ganz erholte - auf den Weg nach Westen und fand nach diversen Umwegen durch Ostdeutschland schließlich eine neue Bleibe in Berlin. Der Großvater verhungerte in einem thüringischen Flüchtlingslager. „Es ist schrecklich, aber Hitlers Verbrechen haben mich plötzlich erwachsen gemacht, weil ich in so kurzer Zeit unendlich viel Zerstörung und Verzweiflung gesehen habe. Das Gute ist: Ich habe sehr früh gelernt, mit absolut nichts - auf der Flucht hatte ich gerade mal meine Schultasche dabei - immer wieder von vorne anzufangen. Als ich in Berlin endlich wieder ganz normal zur Schule ging, sächselte ich zur Erheiterung aller Klassenkameraden ganz fürchterlich und musste erst mal richtiges Hochdeutsch lernen.“
Und dann kam das erste große Theatererlebnis: „Helene Weigel als Mutter Courage im Theater am Schiffbauerdamm. Ich bin zu Fuß nach Hause gegangen. Die Linden dufteten, als wäre nichts geschehen. Für mich hatte sich die Welt gedreht. Ich wollte tiefer atmen und in anderen Welten zu Hause sein dürfen.“ Giselheid bewarb sich ohne jede andere Voraussetzung als dem festen Willen zum Theater an der berühmten Max-Reinhardt-Schule und wurde prompt genommen. Die große Schauspielerin Hilde Körber, die das 1951 neu gegründete Institut bis 1969 leitete, rechnet sie zu den wichtigsten Personen in ihrem Leben. Körber erlaubte ihr ausnahmsweise schon während des Schauspielstudiums in den Sommerferien Ausflüge ins wirkliche Theaterleben. Giselheids erste große Rolle war Anne Frank in Cuxhaven.
Nach dem Abschluss der Ausbildung kam das erste feste Engagement am Stadttheater Hildesheim, dem nach zwei Jahren gleich elf Jahre am Schauspielhaus Bochum unter der Intendanz von Hans Schalla folgten, der von 1949 bis 1972 eine Ära prägte und Theater als „aktive geistige Waffe“ verstand. Giselheid Hönsch, inzwischen zu einer kapriziösen jungen Dame herangereift und für das Fach der klassischen jugendlichen Liebhaberin geradezu prädestiniert, spielte in Bochum fast alle entsprechenden Shakespeare-Figuren, zahlreiche jugendliche Charakterrollen, und erarbeitete sich in den 60er Jahren ein breites Repertoire von Albee bis Tschechow. Mit Schallas damaligem Assistenten Niels-Peter Rudolph, der später zur deutschen Regie-Elite avancierte, hat sie besonders gern zusammengearbeitet. Auch Hans-Joachim Heyse, der 1970 Generalintendant in Bonn wurde, kannte sie aus Bochum.
Geheiratet hat sie 1970 jedoch keinen Theatermenschen, sondern einen inzwischen verstorbenen Arzt. „Der Regisseur Rudolf Noelte hatte mich genau an meinem Hochzeitstag um 9.00 Uhr zu einem Vorstellungsgespräch auf dem Köln-Bonner Flughafen bestellt. Ich saß auf heißen Kohlen, weil ich doch um 11.00 Uhr im Bonner Standesamt sein musste.“ Die von Noelte geplante Inszenierung kam zwar nicht zustande, aber Giselheid arbeitete noch zwei Jahre als Gastschauspielerin am Bonner Stadttheater. Als Tochter Saskia (inzwischen nach glänzenden Uni-Examina im Medienbereich tätig) sich anmeldete und sieben Jahre später Frederik (inzwischen ein Computerfachmann) zur Welt kam, legte Giselheid eine längere Familienpause ein.
1989 holte sie der damalige Bonner Generalintendant Peter Eschberg in kleinen Gastrollen (z.B. India Song von Marguerite Duras in der Regie von Hans Hollmann und Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte von Elfriede Jelinek in der Regie von Nikolaus Büchel) ans Stadttheater zurück. Als Helmut Tromm, der Gründer des Jungen Theaters Bonn, 1990 jemanden für die Rolle der Frau van Daan in Das Tagebuch der Anne Frank suchte, hat sie spontan zugesagt. „Mit Anne Frank habe ich schließlich angefangen.“ Seit 15 Jahren gehört Giselheid Hönsch jetzt zum festen Ensemble des JTB und hat die Entscheidung für die Arbeit mit jungen Menschen und für ein junges Publikum noch keine Sekunde lang bereut. Als Amme in Shakespeares Romeo und Julia (Regie: Peter Tömöry) war sie zu sehen, als hinreißende Maude in Harold & Maude von Colin Higgins (Regie: Andreas Lachnit), als wunderbar skurrile Tyrannja Vamperl in Michael Endes Wunschpunsch (Regie: Uwe Vogel), als elegante Ida Spavento in Herr der Diebe von Cornelia Funke (Regie: Marco Dott). Die tapfere Tante Elinor im neuen Tintenherz-Musical (s.S.6) ist der Bücherliebhaberin Giselheid Hönsch geradezu auf den Leib geschrieben. In Jim Knopf von Michael Ende (Regie: Uwe Vogel) spielt sie derzeit auch noch die mütterliche Frau Waas. „Und zwischendurch immer wieder Drachen, Gänse, Esel, verschiedene Obstsorten und frisches Gemüse…“. Und als ob das bei den vielen Gastspielreisen des JTB noch nicht genug wäre, hat sie unter der Intendanz von Hans-Joachim Heyse mehrfach bei den Burgfestspielen in Mayen mitgewirkt, zuletzt 2002 in dessen Inszenierung von Arthur Millers Hexenjagd.
Ganz besonders hängt ihr Herz an der Arbeit mit den jugendlichen Darstellern: „Wie wunderschön kann das Erlebnis gemeinsamer Proben sein! Die Wachheit der Kinder überrascht mich immer wieder. Es ist einfach phantastisch, was unser tüchtiger Intendant Moritz Seibert möglich macht.“ Ihre eigenen Möglichkeiten entdeckt Giselheid Hönsch sowieso jeden Tag neu und denkt auch nach fast 70 Jahren am liebsten in die Zukunft.

Dienstag, 25.02.2014

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