Falilou Seck - kultur 82- Januar 2012

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Falilou Seck: Ein Volksfeind und Der große Gatsby

Seit dieser Spielzeit ist Falilou Seck Mitglied des Bonner Schauspiel-Ensembles und damit auch in seine rheinische Heimatstadt zurück­gekehrt. Als Gast war er hier schon mehrfach engagiert, seit er 2004/05 in der Halle Beuel die Titelrolle in Roberto Zucco von Bernard Marie Koltès in der großartigen Inszenierung von Johann Kresnik spielte. Seck, der zweisprachig aufgewachsen ist, schätzt die kraftvolle Poesie des 1989 mit 41 Jahren gestorbenen französischen Autors außerordentlich. Am Münchner Volkstheater spielte er 2005 den Schwarzen Alboury in Koltès’ Kampf des Negers und der Hunde.
Zum größeren Teil waren die vielen Rollen, die er bisher an zahlreichen deutschen Theatern verkörperte, aber nicht nach seiner Hautfarbe besetzt. Obwohl Darsteller mit sichtbar afrikanischer Abstammung an deutschen Stadt- und Staatstheatern immer noch Seltenheitswert haben. Bei Oper, Tanz und Musik sind Künstler mit ‚Migrationshintergrund’ oder einfach nicht-deutscher Herkunft die Regel. In freien Theatergruppen ist die multikulturelle Gesellschaft längst angekommen. Dass Schwarze Teil dieser Gesellschaft sind, sich das an den großen Theatern jedoch nicht widerspiegelt, hat Falilou Seck schon 2006 in einem Interview der Zeitung „Der Freitag“ kritisch betont.
Seck wurde 1966 in Chelles in der Nähe von Paris geboren. Sein Vater stammt aus dem Senegal, seine Mutter ist Deutsche. Die Familie zog nach Bonn, als die Mutter eine Anstellung an der dortigen senegalesischen Botschaft bekam. Als Kind spielte Seck Fußball beim 1.FC Ringsdorff in Mehlem. „Meine Begeisterung wurde leider gebremst durch die häufige Diskriminierung wegen meiner Hautfarbe. Vor allem bei Spielen in den Dörfern der Umgebung bekam ich von den Zuschauern Sätze zu hören, die mir den Spaß gründlich verdarben. Heute sind solche Probleme bei Sportvereinen glücklicherweise die Ausnahme.“
Sein Abitur machte Seck am Nicolaus-Cusanus-Gymnasium in Bad Godesberg und wirkte dort in der Theater-AG mit. Während des Zivildienstes bei der Abeiterwohlfahrt in Friesdorf engagierte er sich bei freien Theaterprojekten. Sein Wunsch, Schauspieler zu werden, verfestigte sich, als er 1987 Nachtasyl von Maxim Gorki in der Regie von David Mouchtar-Samorai in den Kammerspielen sah. „Günter Lampe in der Rolle des Schauspielers beeindruckte mich zutiefst. Sich auf diese Weise mit Menschen zu beschäftigen, erschien mir ungeheuer reizvoll. Aber ein bisschen Angst vor der nicht ganz ungefährlichen Theaterwelt blieb.“ Deshalb begann er ein Studium der Romanistik und Philosophie in Bonn. 1989 wechselte er an die Freie Universität Berlin und studierte dort bis zum Vordiplom Publizistik, Politologie und Theaterwissenschaft („besonders gefielen mir die Vorlesungen und Seminare von Henning Rischbieter“) und wagte schließlich doch das Vorsprechen an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, wo er von 1991 bis 1995 seine Ausbildung absolvierte.
Schon während des Studiums sammelte er professionelle Bühnenerfahrungen am Hans-Otto-Theater Potsdam, wo er direkt nach dem Examen bis 2000 fest engagiert war. Er spielte sich hier quer durchs klassische Repertoire: z.B. Wurm in Kabale und Liebe, Hohenzollern in Prinz von Homburg und den Derwisch im Nathan. „Den naheliegenden Othello habe ich zwar an der Schauspielschule einstudiert, würde ihn aber nur spielen, wenn das Konzept wirklich etwas mit mir als Person zu tun hat“, erklärt er lächelnd. Sehr gemocht hat er den Monolog Dreck von Robert Schneider, wo er in der Regie von Alexander Havemann den irakischen Rosenverkäufer verkörperte. „Es ist eine berührende Geschichte von Entwurzelung, Selbstverleugnung und Sehnsucht nach Teilhabe, also mit mir sehr vertrauten Gefühlen.“ Nach fünf Jahren kündigte er in Potsdam und arbeitete mehrere Jahre lang als Gast an etlichen großen Theatern mit vielen bekannten Regisseuren.
„Das Problem bei der an sich höchst spannenden Lebensweise als freier Schauspieler ist, dass man schnell auf einen bestimmten Typ festgelegt wird. Gerade als Schwarzer muss man sich gegen ein Image-Klischee behaupten und gelegentlich gute Angebote ablehnen, um nicht in einer falschen Nische zu landen.“ Ein großer Erfolg wurde 2000 am Staatsschauspiel Dresden die erste Theateradaption von Thomas Vinterbergs Film Das Fest. Die Inszenierung von Michael Thalheimer, in der Seck den Afrikaner Gbatokai spielte, wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. In Dresden wirkte Seck auch an dem „Hans-Henny-Jahnn-Projekt“ von Johann Kresnik mit, der ihn danach gleich für die Rolle des Jedermann in seinem Essener Everyman engagierte und als Roberto Zucco nach Bonn holte.
2005 spielte Seck in Frankfurt/Main in der Regie von Armin Petras den Karl in Hebbels Maria Magdalena und war von 2006 bis 2009 fes­tes Ensemblemitglied des Frankfurter Schauspiels. Sehr begeistert ist er immer noch von Sebastian Baumgartens Inszenierung Der Fremde nach Camus, wo er u. a. den Araber spielte; Wolfram Koch verkörperte den Meursault. „Natürlich hat Wolfram mir erzählt, dass seine Karriere am Jungen Theater Bonn begann. Ich hab’s leider noch nicht geschafft, dort eine Vorstellung zu besuchen, obwohl ich’s toll finde, wie selbstverständlich hier Schauspieler mit afrikanischen Wurzeln mitwirken.“
2006 holte Generalintendant Klaus Weise Falilou Seck für die deutschsprachige Erst­aufführung von Neil LaButes Wie es so läuft an sein Haus. Weises Inszenierung wurde ein Publikumsrenner. 2010 spielte Seck – ebenfalls in der Regie von Klaus Weise – den Ben in Marina Carrs In Marmor und am Ende der Saison 2010/11 Casti Piani und Kungu Poti in Wedekinds Lulu.
Aktuell zu sehen ist er in der Titelrolle von Ibsens Volksfeind, wo er am Anfang als Spaßmacher wie in einer Ethno-Comedy auftritt und die Klischees vom naiven Schwarzen grotesk bedient, um sie dann mit Texten von Heiner Müller zu brechen und als Außenseiter und einsamer Held die Politshow seiner spießbürgerlichen Gegner ad absurdum zu führen. Im Großen Gatsby (s. Kritik S. 4) spielt er den neureichen Tom, der Gefühle schlicht kauft und seine innere Leere als Kollateralschaden hinnimmt. Demnächst gastiert er wieder in Dresden. Am 17. März 2012 hat dort die deutschsprachige Erstaufführung von David Mamets Justizkrimi Race Premiere. In der Regie von Burkhard C. Kosminski spielt Seck den schwarzen Anwalt Brown, der die Verteidigung eines wegen Vergewaltigung angeklagten prominenten Weißen übernommen hat.
Am Schauspielerberuf fasziniert ihn die Möglichkeit, in der Begegnung mit Menschen Lebenszusammenhänge zu untersuchen und konstruktive geistige Reibungen zu erzeugen. „Es ist eine Art Osmose, bei der die gespielte Figur zu einer Membran wird, die Eigenes und Fremdes durchlässt mit der unglaublichen Freiheit, über viele Farbnuancen selbst zu entscheiden. Manchmal gibt’s aber auch pure Glücksmomente wie unsere Frankfurter Ores­tie in der Regie von Karin Neuhäuser, mit der wir 2007 zum Theaterfestival in Epidaurus eingeladen waren. Mit einem zweieinhalb Jahrtausende alten Stück an einem der Ur­sprungs­orte des europäischen Theaters aufzutreten, hat mich fast andächtig gemacht.“ Ansonsten sieht Falilou Seck seine Position eher nüchtern, mag sprachliche Präzision und pointierten Witz, der ohne langweiliges Zeigefinger-Pathos die feinen Risse im sozialen Gefüge sichtbar macht.

Dienstag, 21.02.2012

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