Emiliya Ivanova - kultur 88 - Juli 2012

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Emiliya Ivanova: La Sonnambula, Jungfer Anna und Gretel

Seit der Spielzeit 2010/11 ist die zierliche junge Sopranistin an der Bonner Oper fest engagiert. „Meine Agentur hatte mir dort ein Vorsingen empfohlen. Ich war vorher noch nie in Bonn, habe die Stadt aber sofort gemocht. Bonn ist nicht zu groß und hat eine wunderschöne Umgebung. Natürlich war es am Anfang etwas schwierig, in ein Land zu ziehen, das ich überhaupt nicht kannte und dessen Sprache ich nicht beherrschte. Aber ich liebe meinen Beruf und wusste von vornherein, dass man als Sängerin mobil bleiben muss. Außerdem haben wir hier ein internationales Ensemble, mit dem ich mich sehr gut verstehe.“
Deutsch hat die polyglotte Bulgarin sehr schnell gelernt – „die Grammatik macht mir aber oft noch Probleme“. Ihre erste große Partie im deutschen Fach ist die Jungfer Anna Reich in Die lustigen Weiber von Windsor, wo sie mit ihrer jugendlich hellen lyrischen Stimme und ihrem mädchenhaften Charme das Publikum begeisterte. Die bezaubernd poetische Inszenierung von Tom Ryser, die leider nur noch bis zum Ende der laufenden Saison auf dem Spielplan steht, hat ihr großen Spaß gemacht. Den Sandmann und das Taumännchen in Hänsel und Gretel hat sie schon im Winter 2010 in Bonn gesungen; bei der Wiederaufnahme der seit vielen Jahren beliebten Familienoper Anfang Oktober 2012 wird sie als Gretel debütieren. In Die Liebe zu den drei Orangen sang sie 2010/11 die Prinzessin Ninetta und 2011/12 in Rusalka die Erste Waldnymphe. „Kleine Partien sind auf der Bühne tatsächlich viel schwerer als große“, erklärt Emiliya Ivanova beim nachmittäglichen Interview in der Hausbar. „Du musst in wenigen Minuten alles perfekt zeigen und kannst gestalterisch kaum was entwickeln. Bei großen Partien hast du Zeit für die Erkundung einer dramatischen Situation und das Wohlfühlen in der Rolle.“
Ihre erste große Bonner Premiere in einer Hauptrolle war im Februar 2011 die Asteria in Händels Tamerlano. Da konnte sie auch ihr schauspielerisches Talent zeigen als junge Frau, die zum Spielball der Männerwelt wird und einsam zugrunde geht. Das war ebenso fabelhaft wie ein wirklich seltenes Opernwunder kurz danach. In Donizettis La Sonnambula sang sie bei der Premiere die raffinierte Lisa, in anderen Aufführungen die unschuldige Schlafwandlerin Amina. „Zwei solch unterschiedliche Charaktere in derselben Inszenierung zu verkörpern, ist eine unglaubliche Herausforderung. Es hat mich sehr viel weiter gebracht, immer die Gegenspielerin in der gleichen Stimmlage musikalisch mitzudenken.“
Singen wollte sie eigentlich immer schon, seit sie 1982 in Charkiw in der Ukraine (die Industriestadt, in der kürzlich das EM-Fußballspiel Deutschland-Niederlande stattfand) zur Welt kam. Ukrainisch und Russisch waren ihre ersten Muttersprachen, bevor sie auf Bulgarisch umschalten musste. Als sie 12 Jahre alt war, zog die Familie in die bulgarische Hafenstadt Varna am Schwarzen Meer. „Familiär künstlerisch vorbelastet war ich nicht, sang aber in mehreren Chören. Eine Lehrerin wurde auf meine Stimme aufmerksam und empfahl mir eine weitere Ausbildung. Ab 15 erhielt ich privaten Gesangsunterricht. Als Kind war ich eher Popmusik-Fan, entdeckte dann aber die Klassik und die Tiefe der Gefühle, die in dieser Tonsprache steckt. Unvergesslich bleibt mir eine ‚Tosca’ in Varna mit Raina Kabaivanska in der Titelrolle. Da habe ich zum ersten Mal verstanden, wie Herzblut zum Klingen kommt. Und natürlich nicht geahnt, dass ich später mal eine Meisterklasse bei der Kabaivanska absolvieren würde.“
Emiliya Ivanova studierte Gesang an der Musikakademie in Sofia und debütierte an einer Nebenspielstätte der dortigen Oper 2006 mit ihrer Examensrolle als Pamina in Mozarts Zauberflöte. Frisch diplomiert gewann sie im selben Jahr den 1. Preis des „Hristo Brambarov“-Wettbewerbs in Sofia, 2008 den 2. Preis beim internationalen Opernwettbewerb
„A. Belli“ in Spoleto und wurde 2009 zum renommierten BBC-Gesangswettbewerb in Cardiff eingeladen. „Ok, ich schaffte es dort nicht ins Finale – man muss nicht immer unter den Ersten sein und profitiert sowieso ungeheuer von den vielen Treffen mit Gleichgesinnten aus aller Welt – , lernte aber viel bei dem Dirigenten Richard Bonynge und war sehr stolz, als dessen Gattin Joan Sutherland meine Stimme lobte.“ Die 2010 gestorbene Sopranistin ist Emiliyas großes Vorbild. „Ihre Lucia di Lammermoor war überall ein irre bewegendes Ereignis. Irgendwann möchte ich diese Partie, die ich schon einstudiert habe, gern auf der Bühne singen. Im Moment ist es noch zu früh, aber die Figur fasziniert mich.“
Um Geld zu verdienen, hatte Emiliya nach dem Examen drei Jahre lang als Solistin im bulgarischen Nationalchor gearbeitet. „Ich liebe mein Heimatland sehr und verbringe regelmäßig die Ferien dort. Aber die ökonomische Krise und die folgenden Theaterschließungen machen das Überleben für Künstler schwierig. In Deutschland mit seiner weltweit einmaligen, vielfältigen Musiktheaterszene sind die Chancen so gut wie nirgendwo sonst. Ihr müsst dafür sorgen, dass das so bleibt.“
Wirklich entscheidend fand Emiliya ihre Arbeitsaufenthalte beim Teatro Lirico Sperimentale di Spoleto. „Nicht nur weil ich da gründlich Italienisch lernte. Man kriegt von erfahrenen Kollegen wertvolle Tipps und kann richtig einsteigen ins große Repertoire.“ Sie glänzte 2009 in Spoleto als Gilda im Rigoletto und als Adina in L’elisir d’amore und besuchte Meisterklassen u. a. bei Renato Bruson, Bernadette Manca di Nissa und Sonia Ganassi.
2010 erfüllte sich ein Traum: Sie wurde Finalistin des berühmten Operalia-Wettbewerbs von Placido Domingo und sang beim Abschlusskonzert in der Mailänder Scala. „Es ist der Wahnsinn, wenn du auf diesen quasi heiligen Bretten stehst und alles in dir vor Glück vibriert. Klar muss man da wieder runter und in den Alltag zurück.“ Ein halbes Jahr war sie Ensemble-Mitglied an der Oper in Varna, dann zog sie nach Bonn. „In anderen Städten bin ich ein paar Mal eingesprungen oder habe bei Konzerten gas­tiert. Grundsätzlich ist es mir wichtiger, an einem Ort in Ruhe Erfahrungen zu sammeln und kontinuierlich an meiner Stimme zu arbeiten.“ 2011 hat sie die Zerlina in der Don Giovanni-Inszenierung des Generalintendanten Klaus Weise gesungen und bereitet sich auf die Susanna in dessen Wiederaufnahme von Le Nozze di Figaro vor. „Mozart tut meiner Stimme gut, seine Musik ist so klar und berührt jedes Herz.“ Vorher steht aber noch die Clothilde in Bellinis Norma auf ihrem Programm. „Ich mag diese Frau, die ein Herz hat für die Kinder, die in Normas offiziellem Leben ein Störfaktor sind. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das in der Regie von Florian Lutz aufgeht“. In dessen Carmen-Inszenierung sang sie übrigens die Frasquita.
„Oper hat für mich ganz viel mit dem Herzen zu tun“, sagt Emiliya noch schnell, bevor sie sich auf ihr Fahrrad schwingt. „Technik und ständiges Üben sind Voraussetzung. Aber ich muss das Besondere fühlen, was nur durch Gesang zu sagen ist.“


Dienstag, 06.11.2012

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