Dagmar von Kurmin - kultur 79 - Oktober 2011

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Dagmar von Kurmin: Von der Fernsehansagerin zum „Besuch der alten Dame“

„Sie gehörten zu meinen ersten TV-Erlebnissen: eine wunderschöne junge Frau, die das Programm so eindrucksvoll präsentierte, dass ihr Name sich mir fest einprägte“, gestehe ich Dagmar von Kurmin, in deren strahlend blauen Augen wieder dasselbe unwiderstehliche Lächeln aufscheint wie vor 50 Jahren. An diesem sonnigen Samstagnachmittag kommt sie gerade von den Proben zu Dürrenmatts Tragikomödie Der Besuch der alten Dame. Sie spielt die Titelrolle; am 16. September ist Premiere im Kleinen Theater Bad Godesberg, wo sie seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßig zu Gast ist. Zuletzt spielte sie hier die Gräfin Terzky in Schillers Wallenstein mit einer emotionalen Distinktion und sprachlichen Eleganz, wie man sie nur noch selten erlebt. Regie führte Hans Thoenies, der jetzt auch die „Alte Dame“ inszeniert. „Mich interessiert die Zwiespältigkeit dieser Figur, die als junge Frau zutiefst verletzt wurde und den Verrat an ihrer großen Liebe nie verwunden hat.“ Die gemeinsame Arbeit macht Daggi, wie sie von ihren Kollegen meistens liebevoll genannt wird, große Freude.
„Ein adeliges Mädchen kann doch keine Schauspielerin werden“, hatte ihr Großvater einst gemeint, als es die junge Dagmar zum Theater zog. Später ermahnte er ihre Mutter nur noch: „Sorg dafür, dass sie eine Dame bleibt!“ Sie ist es bis heute geblieben: mit einem leichten Schuss Selbstironie und einem deutlichen Willen zur Ehrlichkeit, weil Lügen und Intrigen für sie schlicht kunstfeindlich sind. Oder inzwischen nur noch Material für komische Anekdoten, bei denen sie auf dem Markt der Eitelkeiten und Intendanten-/Dramaturgengelüste immer ihrem hohen Anspruch an sich selbst folgte.
Ihre Kindheit verbrachte sie in Riga, wo sie 1933 als Tochter einer kunstliebenden, kosmopolitischen Familie zur Welt kam und dreisprachig aufwuchs. Neben dem Deutsch der Bildungsschicht waren Lettisch und Russisch die Umgangssprachen, die sie heute noch ebenso wie Englisch und Französisch fließend spricht. Ihr Vater stammte aus altem polnischem Adel, stand als zaristischer Rittmeister in russischen Diens­ten und züchtete auf dem elterlichen Landgut Trab­­er­rennpferde. Ihre lettische Mutter, deren Vater den großen Dichter Lew Tolstoi persönlich gekannt hatte, war der russischen Kultur tief verbunden und stand vor einer vielversprechenden Karriere als Schriftstellerin und Theaterregisseurin. Als die Russen das Baltikum besetzt hatten, bekam sie Angebote, für den russischen Film zu arbeiten. Sie lehnte ab, weil viele Angehörige dem Bolschewismus zum Opfer gefallen waren. 1944 floh die Familie schließlich auf dem überfüllten letzten Schiff nach Deutschland und fand in Hamburg ihr neues Zuhause.
Schon vor dem Abitur bestand Dagmar die Schauspielschul-Aufnahmeprüfung, machte bereits nach einem Jahr ihr Abschluss-Examen und spielte noch während ihrer Ausbildung 1955 ihre erste Hauptrolle am Jungen Theater Hamburg. 1956 debütierte sie am Hamburger Schauspielhaus unter der Leitung von Gustaf Gründgens als „Junges Mädchen“ in Thomas Wolfes Herrenhaus, wobei Will Quadflieg auf sie aufmerksam wurde und ihr viele nützliche Hinweise gab. Bei ihren ersten festen Engagements in Bamberg und Koblenz erarbeitete sie sich die großen klassischen Rollen ihres Fachs.
Danach zog sie nach Hamburg zurück und arbeitete von 1960 bis 1962 bei der ARD als Fernsehansagerin, einem Beruf, den es heute so nicht mehr gibt. Diverse Auftritte in TV-Filmen folgten. Sie suchte jedoch den lebendigen Kontakt zum Publikum und nahm 1964 ein Engagement in Baden-Baden an, wo sie drei Jahre lang blieb. 1968 spielte sie bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen die Andromache in Shakespeares Troilus und Cressida (die Aufführung wurde für das ZDF verfilmt), 1969 in Hamburg die Maggie in Tennessee Williams’ Katze auf dem heißen Blechdach, um dann der Bühne für mehr als ein Jahrzehnt den Rücken zu kehren. Ab 1970 wirkte sie in zahlreichen Spielfilmen des ZDF mit. Von den Dreharbeiten in Ungarn zu Hermann Sudermanns Miks Bumbullis an der Seite von Siegfried Wischnewski schwärmt sie immer noch ebenso wie von dem Historienfilm Der Polizeiminister, in dem sie an der Seite von Paul Hoffmann die unbeirrbare Herzogin von Angoulème verkörperte. In Fernsehserien und Spielfilmen verschiedener Sender ist sie seit den 1990er Jahren oft zu erleben.
Außerdem zählt sie zu den Pionierinnen des Hörspiels. Gemeinsam mit ihrer Mutter verfasste sie seit Anfang der 1970er Jahre eigene Hörspiele und brachte bei der „Deutschen Grammophon“ mehrere Jules-Verne-Hörspiele heraus. Beim Label „Europa“ erschien eine legendär gewordene Karl-May-Serie. Dagmar schrieb die Textfassungen, führte Regie und stellte die hervorragenden Sprecher-Ensembles zusammen. Außerdem lieh sie ihre unverwechselbare Stimme zahlreichen Kinderstücken und Krimis.
1979 heiratete sie in Braunschweig den aus Schlesien stammenden Rechtsanwalt Henning Freiherr von Bernewitz und legte eine ‚Kunstpause’ ein. Ihr Mann machte später sein Zeichentalent zum Hauptberuf. In der großen Tradition der Kartenmacher des 17./18. Jahrhunderts gestaltet er Regions- und Stadtpläne, in denen er kulturgeschichtliche Orte und historische Ereignisse festhält und gelegentlich mit dem Witz von Comic-Strips kommentiert. Dagmar managt den Verlag dieser ungewöhnlichen Kunstwerke bis heute.
„Mein Henning“, wie sie ihn zärtlich nennt, wollte „sein Täubchen“, wie er sie gern anspricht, unbedingt wieder auf der Bühne sehen. 1981 holte Walter Ullrich sie als Einspringerin für die erkrankte Ilse Werner an sein Kleines Theater Bad Godesberg, dem sie nun seit 30 Jahren freundschaftlich verbunden ist. 36 Stunden, nachdem sie die Rolle übernommen hatte, stand sie schon als „Chefin“ auf der Bühne.
Mit der Blanche in Williams’ Endstation Sehnsucht gelang ihr 1982 am Schleswig-Holsteinischen Landestheater einer ihrer größten Erfolge. Nach diversen Zwischenstationen kehrte sie 1998 in der Komödie Einmal die Wahrheit ans Kleine Theater zurück. Sie glänzte hier u. a. auch in den Titelrollen von Frau Warrens Gewerbe (2002/03) und Miss Daisy und ihr Chauffeur (2004/05).
Womit gleich wieder etwas Neues begann: Zwei junge Produzenten, die in den 1970er Jahren Dagmars ‚kleine Fans“ gewesen waren, wollten das Hörspiel wieder beleben, sahen sie und waren sich sicher: Ihre Stimme gehört sofort wieder ans Mikrofon. Mit der CD Das indische Tuch von Edgar Wallace begann 2003 die Erfolgsgeschichte des neuen Labels „Titania-Medien“. Klassische Krimis, Gruselerzählungen und die Anne in einer unter Kennern hochgeschätzten Serie hat sie mittlerweile eingesprochen. 2010 verlieh ihr der „Ohrkanus“-Verein im Berliner Babylon-Kino für ihr Lebenswerk seinen Ehrenpreis „Vom Ohr ins Herz“. Wobei sie in ihrer Dankesrede natürlich versicherte, dass ihre künstlerische Arbeit noch längst nicht beendet sei.
Nach vorne schauen ist das Lebensprinzip der Dagmar von Kurmin, die immer eine unverschämt kluge Lady mit einer schelmischen Freude an durchtriebenen, irgendwie geheimnisvollen Figuren geblieben ist. Im Kölner „Horizont-Theater“ war sie kürzlich in dem Stück Nächte mit Joan als alter Filmstar Joan Crawford zu sehen. Und in einer Produktion des jüdischen Theaters „Tacheles“ als Holocaust-Überlebende in dem sehr berührenden Dialog Liebe in dunklen Zeiten.
Ansonsten reist sie gern mit ihrem Rezitationsprogramm „In den Klangfarben der Sprachen Europas“ und Schillertexten durch die Welt. Wenn irgendwo mal der Strom ausfällt, stört sie das gar nicht, weil sie alles auswendig spricht wie damals im Fernsehen. Ihren jungen Kollegen macht sie gern Mut: „Ein ‚Ich kann nicht’ ist grundsätzlich falsch. Du musst davon überzeugt sein, etwas zu wollen und an dich glauben. Den Rest erledigt das Können von selbst.“ Typisch Daggi, die sich auf einen ihrer seltenen freien Sonntage mit ihrem geliebten Gatten freut, der nach einem Schlaganfall vor zwei Jahren zwar noch im Rollstuhl sitzt, aber in der neuen barrierefreien Wohnung in Rolandseck mit Blick auf den Rhein wieder voller Energie zeichne

Samstag, 04.02.2012

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