Birger Frehse - kultur 84 - März 2012

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Birger Frehse – Nick Carraway in "Der große Gatsby" und der Sohn in "Der Wind macht das Fähnchen"

Nick Carraway ist der junge Erzähler in Fitzgeralds Roman Der große Gatsby. Eher ein Beobachter als ein Mitspieler bei der flüchtigen Bezauberung durch Reichtum und Schönheit. Er darf am Ende der Inszenierung von Matthias Fontheim die Windmaschine bedienen für „die rauschende Zukunft, die Jahr für Jahr vor uns zurückweicht“. Eine faszinierende Rolle für einen jungen Schauspieler wie Birger Frehse, der gern nachdenkt über die vielschichtigen Verstrickungen von Theaterfiguren. „Wir haben versucht, die Geschichte zu verdichten und die Figuren auf das Spiel mit dem Schein zu konzentrieren. Für solche Präzisierungen braucht man paradoxerweise ziemlich viel Zeit, weil sich die Personen ja trotzdem dem Zuschauer erschließen müssen und das möglichst gehaltvoll in einer komplizierten Geschichte.“
Großen Spaß gemacht hat ihm die Uraufführung von Philipp Löhles Der Wind macht das Fähnchen (s. Kritik kultur-S. 6). „Das war eine tolle Arbeit! Ein kleines Ensemble von vier Leuten mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen. Jeder auf der Bühne und im Publikum bringt seine eigenen Kontexte ein in diesem ‚Einfamilienstück’. Die Situation ist aktueller denn je. Ständig zerbrechen Familien aus wirtschaftlichen Gründen. Die Eltern trennen sich und stellen die Kinder vor die Entscheidung, zu wem sie ‚gehören’ wollen; sie entziehen sich der eigenen Verantwortung. Meine Eltern sind glücklicherweise noch zusammen.“
Birger Frehse kam 1983 in Köln-Porz zur Welt. Aufgewachsen ist er in Grevenbroich, wo sein Vater als evangelischer Pfarrer arbeitete. Musik spielte eine große Rolle in der Familie: Der Vater spielte Trompete, der ältere Bruder Klavier, beide Eltern sangen in Amateurchören. Birger lernte mit 7 Jahren Gitarre und bekam mit 12 Jahren regelmäßigen Klavierunterricht. Am Gymnasium war er Mitgründer einer Schulband und spielte in der Region in diversen Rock-, Pop- und Jazzbands, sang in einem Gospelchor und beschloss nach dem Abitur, Musiker zu werden. Am Conservatorium van Amsterdam begann er ein Studium der Fächer Jazz-Gitarre und Jazz-Gesang. „Amsterdam hat eine wahnsinnig lebendige Musik- und Kunstszene. Ich hab dort tolle Leute kennengelernt und fahr immer mal wieder hin. Das Studium fand ich aber sehr verschult mit zu wenig Freiräumen für die Entwicklung der eigenen Musik, bei der man sich sowieso viel selbst erarbeiten muss.“
Sein elftes Schuljahr hatte er als Austauschschüler in den USA verbracht, in Tupelo/Mississippi, der Geburtsstadt von Elvis Presley. Dort spielte er Gitarre und Klavier in der Musical Band der High School, mit der er nach Orlando, Florida und Memphis, Tennessee zu nationalen Wettbewerben reis­te. Jahre später flog er nach New York und lernte in der stundenlangen Einreise-Warteschleife einen Pakistani kennen, Asif. „Der gab mir seine Mail-Adresse, so dass ich nach einer Nacht in einem ziemlich öden Youth-Hostel bei seiner WG in Queens Unterschlupf fand. Dieser Stadtteil ist ein Multikultidorf. Es gibt keinen einzigen Wolkenkratzer, aber es liegt genau wie in Manhattan Kreativität in der Luft. Ich habe mich gleich wohlgefühlt.“ Während seines Aufenthaltes belegte er Workshops im „Black Nexxus Acting Studio New York“. In der Bonner Brotfabrik machte er einige Jahre zuvor Schauspielkurse und nahm am Bochumer Off-Theater-Projekt „Theater Total“ teil. „Man macht da unter professioneller Anleitung einfach alles, organisiert sogar eine Tournee durch Deutschland selbst, verhandelt die Gage, plant die Technik für die jeweiligen Spielorte etc.“
Nach monatelangem Pendeln zwischen Amsterdam und Bonn brach er 2004 das Musikstudium in den Niederlanden schließlich ab. „Ich habe nachts bei meinen Eltern, die inzwischen in Bornheim wohnten, im Fernsehen viele Filme angeschaut und irgendwann den Entschluss gefasst, Schauspieler zu werden. Wahrscheinlich hat das auch etwas mit dem Beruf meines Vaters zu tun, denn die Kirche hat mit all ihren Riten und Festen etwas Theatrales an sich, das ich schon früher sehr mochte.“ Frehse bekam nach den üblichen Bewerbungen an verschiedenen Schauspielschulen rasch einen der heiß begehrten Studienplätze an der Theaterakademie der Hamburger Hochschule für Musik und Theater und machte dort nach 8 Semes­tern sein Abschluss-Diplom.
Während des Studiums wirkte er 2008 am Thalia Theater in der Regie von Dimiter Gotscheff in Leonce und Lena mit und in mehreren Inszenierungen seines Hamburger Studienkollegen Alexander Riemenschneider, der in Bonn zuletzt mit Handkes Kaspar Aufsehen erregte. Zurzeit probt Frehse mit ihm die Uraufführung von Mathilde Bäumler. Ein Dschungelstück (Premiere am 23.03. in der Halle Beuel). „Ein spannendes Projekt, auch wenn wir jetzt noch gar nicht wissen, wie’s am Ende aussehen wird.“ Riemenschneider, der längst in der deutschen Theaterszene als hervorragendes Nachwuchstalent gilt, fiel 2007 schon als Regie-Student auf mit seiner Inszenierung Der Schaum der Tage nach Boris Vian, in der Frehse mitspielte. „Wir wurden zu vielen internationalen Festivals eingeladen und waren damit u. a. in Paris, Moskau, Salzburg und Bratislava. In Straßburg wurde die Aufführung von Arte aufgezeichnet. Es war toll, mit einer Arbeit in halb Europa herumzukommen.“ Frehse wirkte 2009 auch mit in Riemenschneiders höchst erfolgreicher Diplom­inszenierung von Camus’ Caligula, die sogar im Deutschen Schauspielhaus Hamburg gas­tierte.
Ein Stückvertrag führte Frehse nach dem Diplom nach Münster, wo er kurzfristig kleine Rollen in Dürrenmatts Besuch der alten Dame über­nahm. Sein ers­tes festes Engagement folgte in Bonn. Seit der Spielzeit 2010/11 gehört er hier zum Schauspiel-Ensemble. In Klaus Weises Inszenierung von Das Ende des Regens spielte er den jungen Andrew und komponierte neben der darstellerischen Arbeit auch die Musik zum Stück. In Geschichten aus dem Wiener Wald (Regie ebenfalls Klaus Weise) verkörperte er den schneidigen Studenten Erich. Richtig gut konnte er sich dem Bonner Publikum dann vorstellen als Happy Loman in Tod eines Handlungsreisenden (Regie wie beim Großen Gatsby: Matthias Fontheim). Die erfolgreiche Inszenierung kam im Februar 2011 heraus und steht in den Kammerspielen weiterhin auf dem Spielplan. In der Werkstatt ist er regelmäßig in Mutters Courage von George Tabori an der Seite von Birte Schrein in der Hauptrolle des Sohnes und Erzählers zu erleben.
Wie es nach dieser Saison weitergeht, ist noch völlig offen. „Die meisten im Schauspiel-Ensemble müssen ja mit ihrer Kündigung zum Ende der Spielzeit 2012/13 rechnen. Das ist aber ein ganz normales Risiko, das man mit der Entscheidung für diesen Beruf bewusst eingeht. Dafür hat man das Privileg, meistens unter Gleichgesinnten zu sein und vieles ausprobieren zu können. Man darf in die verschiedensten Rollen schlüpfen und seinen Spieltrieb ausleben. Das Tolle an der Bühne ist vor allem, dass man dort am Stück präsent ist und Geschichten und Figuren in einem festen Zeitraum kontinuierlich entwi­ckeln muss. Vor der Kamera hat man nur Minutentakes und auch viel Warterei. Das Ergebnis ist nicht so direkt wie im Theater, wo man unmittelbare Reaktionen spürt. Trotzdem mag ich Film sehr.“ Frehse, der bereits in einigen Kurzfilmen und TV-Produktionen Erfahrungen gesammelt hat, will dieses Metier weiter im Blick behalten. In der kommenden Saison möchte er am Theater etwas kürzer treten, um Zeit für Fernsehdrehs zu haben und wieder mehr Musik zu machen.

Montag, 05.11.2012

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