Bettina Marugg - kultur 52 - 12/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Bettina Marugg - "Zur schönen Aussicht", "Das Treibhaus" und eine "Stimmband-Reizung"

Im Oktober war Bettina Marugg mit dem Bonner „fringe-ensemble“ zu Gast in Dortmund beim Festival „favoriten 08 theaterzwang“. Die neue Bearbeitung von Ödön von Horváths Stück Zur schönen Aussicht war zu dieser ‚Bestenschau’ der freien Thea­ter in NRW eingeladen, was bei dem im Bonner Theater im Ballsaal beheimateten „fringe-ensemble“ allerdings schon die Regel ist. Die Schweizerin, die in der „Schönen Aussicht“ die Diva Ada spielt (wobei es in den fringe-Inszenierungen psychologische Rollenidentifikationen kaum gibt), gehörte von Anfang an zu dieser Truppe, die im nächsten Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiern kann.
Geboren wurde Bettina Marugg 1960 in Basel, wo sie aufwuchs und ihr Abitur machte. Sie spielte Klavier, sang gerne und plante anfangs ein Musikstudium. In ihrer Schule gehörte sie auch zur Theatergruppe. Sie spielte u. a. die Titelrolle in der Antigone von Sophokles – das Interesse an der antiken Dramatik hatte ihr Lateinkurs geweckt – und erinnert sich vergnügt daran: „Wir probten viele Winterwochen lang in einer Ecke des Schulhofs, quasi bei Freilicht im Schnee. Entspricht doch irgendwie allen Schweiz-Klischees…“
Am Baseler Theater, das sie häufig besuchte, sah sie kurz vor dem Abitur eine Aufführung der Scuola teatro Dimitri und war begeistert von der Lebendigkeit und Direktheit dieser Arbeit. Sie bewarb sich also an der berühmten Schule in Verschio im Tessin, die der weltbekannte Clown Dimitri 1975 gegründet hatte. „Die Ausbildung dort ist sehr bewegungsorientiert. Ich war eher eine Außenseiterin, denn ich wollte auf keinen Fall Artistin oder Pantomimin werden, sondern Schauspielerin. Ich war immer sehr auf die Sprache und die Möglichkeiten der Stimme fixiert.“ Die Musik blieb während ihres Studiums ein Schwerpunkt. Nebenbei absolvierte sie eine Ausbildung am Roy Hart Theatre, einer 1967 in London gegründeten Truppe, die sich 1974 in Anduze in den französischen Cevennen niederließ und dort bis heute eine sehr spezielle Stimmarbeit betreibt. Auch nach ihrem Diplom in Verschio blieb Bettina diesem musikalisch eigenwilligen Theater verbunden und trat mit ihm in Genf und an verschiedenen Orten in Frankreich auf.
Es folgte ein Engagement als Schauspielerin am Théâtre Kléber-Méleau in Lausanne. „Wir machten dort eine tolle Mischung aus Klassik und Off-Theater – ein bisschen chaotisch und sehr französisch. Besonders gefallen hat mir eine Inszenierung von Molières Komödie Les fourberies de Scapin, in der der polnische Schauspieler Wojciech Pszoniak, der in Andrzej Wajdas Danton-Film den Robespierre verkörpert hatte, die Hauptrolle spielte.“
Von Lausanne wechselte sie nach eineinhalb Jahren ans Stadttheater St. Gallen, wo eine Gruppe von ehemaligen Dimitri-Schülern zum Teil mit Gastverträgen engagiert war und zum Teil frei arbeitete. Mit einem tschechischen Regisseur erarbeitete sie sich als Solo die grotesken Monologe aus Mistero buffo von Dario Fo in allen vier Schweizer Sprachen. Die erfolgreiche freie Produktion wurde über 200 Mal gezeigt und gastierte auch in Prag, wofür Bettina sich sogar noch eine tschechische Version aneignete.
1990 zog sie nach Köln und spielte dort bis 1994 an verschiedenen freien und privaten Theatern. In der Nachbarstadt Bonn fiel ihr das damals von dem Regisseur Frank Heuel geleitete Theater im Ballsaal auf. Heuel, der Ende der 80er Jahre als Schauspieler unter der Direktion von Hansgün­ther Heyme in Essen engagiert war, hatte 1986 in Bonn das „Jubiläums­ensemble“ gegründet, das vom Beueler Kulturzentrum Brotfabrik über die Tapetenfabrik 1992 in den Endenicher Ballsaal gewandert war. Bettina sprach beim „Jubiläumsensemble“ vor und spielte dort zum ersten Mal mit in Grimms Märchen, einer grimmig frechen Adaption der bekannten Geschichten. „Die Arbeit gefiel mir sehr, auch weil sie so musikalisch war.“
Dantons Tod von Georg Büchner, Die Bakchen von Euripides (Regie: der australische Tänzer und Choreograph Rhys Martin) und ein großes Solo als Kleists Penthesilea folgten. 1996 heirateten Bettina Marugg und Frank Heuel; 1997 kam ihr Sohn Leon zu Welt, 1998 folgte Ivo. Die junge Mutter nahm sich deshalb eine kurze Pause vom Theater. 1999 wurde aus dem „Jubiläumsensemble“ das „fringe-ensemble“. Bei dessen erfolgreichen Produktionen wie z.B. Gespräch in Sizilien von Elio Vittorini (nach etlichen Jahren immer noch im Repertoire!) wirkte sie wieder regelmäßig mit. Man kann nicht alle Inszenierungen aufzählen, in denen sie seitdem zu erleben war. Im Ballsaal war sie in diesem Jahr u. a. die leicht hysterische, zumeist nur als Spiegelung zu sehende Diplomatengattin in Hotel Kairo von Lothar Kittstein. Die szenische Lesung Wir Unvollendeten, die dieser Autor nach Texten von älteren Bonnerinnen zusammengestellt hat, probt sie gerade für die neuen Vorstellungen Mitte November.
In Das Treibhaus nach dem Roman von Wolfgang Koeppen (s. kultur 51) steht sie derzeit in der Werkstatt auf der Bühne. Nach dem Projekt Geschichten getürkt zur letzten Biennale, in dem Bettina auch mitwirkte, ist es wieder eine erfolgreiche Koproduktion von „fringe-ensemble“ und Thea­ter Bonn in der Regie von Frank Heuel. „Es ist schön, wie viel Luft Frank immer zwischen dem Text, den Figuren und den Schauspielerpersönlichkeiten lässt. Man kann da narrative Zwischenräume spielerisch mit einem ganz eigenen Rhythmus ausloten. Außerdem ist das Älterwerden im Beruf (viele Kolleginnen leiden darunter, dass es für Frauen über 40 nach der klassischen jugendlichen Liebhaberin eng wird zwischen braver oder schrecklicher Mama und bösem oder durchgeknalltem Gespenst) bei der Arbeitsweise von Fringe total interessant.“
Parallel zu ihrer schauspielerischen Tätigkeit hat die polyglotte Künstlerin immer auch musikalisch gearbeitet. Sie hat Strawinskys Geschichte vom Soldaten ebenso interpretiert wie temperamentvolle Tangos. Auf ihrem aktuellen Programm stehen in der neuen Werkstattreihe Vorhang auf: Musik (s. S. 11) unter dem Motto Stimmband-Reizung am 2. Dezember die Récitations pour voix seule des griechischen Komponisten Georges Aperghis. Gemeinsam mit der Schweizer Sopranistin Eva Nievergelt singt sie eine Fassung für zwei Darstellerinnen. „Das ist sehr thea­tral und witzig – eine überraschende Musik, die richtig gut klingt und niemanden gleich in die Flucht schlägt. Ich wünsche mir viele junge Zuhörer.“ Sagt Bettina Marugg, bevor sie in ihrer Wohnung in der Bonner Südstadt das Mittagessen für ihre beiden Kinder vorbereitet und danach ihre Kehle für die reizvolle Stimmakrobatik trainieren wird.

Donnerstag, 08.12.2011

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