Anastasia Gubareva - kultur 72- 2/2011

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Anastasia Gubareva - Recha, Gabrielle und Lulu

Einen gültigen russischen Pass hat die junge Schauspielerin immer noch und liebt ihre Heimatstadt Moskau sehr, obwohl sie seit ihrem Engagement in Bonn nicht mehr so oft dorthin reisen kann wie in ihrer Teenagerzeit in Hamburg. Anastasia Gubareva kam am 24. Mai 1982 in der russischen Hauptstadt zur Welt. Beide Eltern waren hauptberufliche Sänger; Anastasia wuchs quasi im Theater auf und war schon mit sechs Jahren, als sie in Moskau eine kleine Kinderrolle in einer Rockoper spielte, ganz sicher, dass sie ihre Zukunft auf der Bühne finden würde.
Nach Deutschland verschlug es sie 1993, weil ihre Mutter, eigentlich eine ausgebildete Opernsängerin, ein Engagement im Musical Cats am Hamburger Operettenhaus bekam und dort mehrere Jahre lang die Hauptrolle der Grizabella sang und tanzte. Anastasia wollte in Hamburg bleiben und zog in eine WG, während ihre Mutter mit Cats in diversen deutschen Städten gas­tierte. Sie wirkte in zwei Produktionen des Jugendclubs am Deutschen Schauspielhaus mit, machte ihr Abitur und begann ein Studium der Slawistik und Anglistik an der Hamburger Universität. Bis sie nach drei Semestern einen der begehrten Studienplätze an der Essener Folkwang-Hochschule erhielt, wo sie das Studium 2009 mit einem Diplom abschloss.
Zu ihren Kommilitoninnen gehörten ihre heutige Bonner Ensemble-Kollegin Philine Bührer und Simin Soraya, die derzeit als Fräulein Andacht in den Kammerspielen gastiert. Zusammen gearbeitet hatten die drei Nachwuchsdarstellerinnen bereits bei der erfolgreichen Regie-Diplomarbeit von Franziska Marie Gramss: Ibsens Hedda Gabler. Anas­tasia spielte die Thea Elvsted und ist jetzt in der Werkstatt die naiv überdrehte Recha bei Gramss’ Bonner Regiedebüt mit Nathan der Weise.
„Die Recha habe ich schon in der Schauspielschule studiert und mir bei Lessings Sprache fast die Zunge gebrochen“, erzählt Anastasia beim Kaffee in der Hausbar der Oper. „Die Szene, die ich damals erarbeitet hatte, wurde hier glücklicherweise gestrichen. Die abstrakte und dennoch sehr sinnliche Spielform in Franziskas Inszenierung gefällt mir sehr. Vieles ist im Arbeitsprozess entstanden und bedient den Text, der ja ein Monument der deutschen Theaterliteratur ist, gegen die vertrauten Gewohnheiten und lässt ihn an ganz anderen Stellen aufblühen.“
Die umstrittene Aufführung ist jedenfalls immer ausverkauft.
Die große Rolle der Christine hatte Anastasia schon gespielt in Franziska Marie Gramss’ Regie-Vordiplomarbeit Liebelei von Arthur Schnitzler. Als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde sie in Brünn beim internationalen Schauspielschultreffen für ihre Rollengestaltung in Bier für Frauen von Felicia Zeller, einem verdammt nüchternen Blick ins heutige Verstörungsarsenal.
Sie sprach nach ihrem Examen wie üblich an mehreren Theatern vor, wurde von Generalintendant Klaus Weise sofort engagiert und stellte sich dem Bonner Publikum im Frühjahr 2009 als brave Mariane in Molières Der Geizige vor. Sie war das freche Girlie Izzy in der deutschsprachigen Erst­aufführung von That Face der jungen Engländerin Polly Stenham (die erfolgreiche Werkstattinszenierung von Jens Kerbel ist am 16.Januar wieder zu sehen!), die muntere Gretel in der fabelhaften Christmas-Panto Being Haensel & Gretel in der Halle Beuel und im Frühjahr 2010 Das Maedchen in der Uraufführung der gleichnamigen Auftragsarbeit des New Yorker Off-Stars Richard Maxwell. „Ich war noch nie in den USA, fand’s aber spannend, mit Richard und seinem Team eine besondere Ausdrucksform zu erforschen, die zwischen Verschriftlichung von Erlebtem und Bühnengegenwart liegt, also zwischen der Fixierung auf einen sichtbaren Text und darstellerischer Freiheit in körperlichen Aktionen, die bei jeder Aufführung anders sind und reagieren im imaginären Kontext von Raum und Zeit. Als ‚postdramatisches’ Experiment war das eine wichtige Erfahrung, aber lieber spiele ich Rollen, in denen sich Leben dramatisch konzentriert.“
Wie die junge Nico in To All Tomorrow’s Parties, wo Anastasia auch stimmlich begeisterte. „Es ist wirklich wahr: Ein paar Tage, bevor ich erfuhr, dass ich das deutsche Mädchen spielen sollte, das kurz Andy Warhols Muse wurde, entdeckte ich zufällig die Musik von Velvet Underground wieder und war fasziniert von einer weiblichen dunklen Stimme, die eigentlich nicht singen konnte, aber sich sehr eigenwillig behauptete.“ Anastasia hat eine hervorragende Gesangsstimme („Trotz einiger Privatstunden nicht wirklich ausgebildet“, sagt sie bescheiden), mit der sie bei Cross-Over-Shows wie A Night at the Opera locker von Klassik zu Popsongs wechselt.
Viel Musik wird es auch geben bei der deutschsprachigen Erstaufführung von Andrew Bovells Stück Das Ende des Regens, in der Halle Beuel inszeniert von Generalintendant Klaus Weise, unter dessen Regie Anastasia Gubareva jetzt zum ersten Mal spielt. Sie ist die junge Gabrielle, die nach dem Tod ihrer Eltern sehr einsam lebt und einen kurzen, unvergesslichen Moment des Glücks erfährt, der sie noch einsamer macht. „Sie hat eine extreme emotionale Fallhöhe, die psychologisch sehr knapp und brutal motiviert ist. Sie taucht aus dem Nichts auf, liebt einen Fremden, gebiert nach dessen Tod sein Kind und zieht sich zurück in eine hoffnungslose Einsamkeit. Sie ist radikal in ihrem Anspruch ans Leben, das leider nie so sein kann, wie man es möchte.“
Anastasia steckt gerade in den Endproben zu diesem neuen Stück und muss sich vor der Premiere am 10. Dezember auch noch konzentrieren auf Kaspar von Peter Handke (Regie: Alexander Riemenschneider), in dem sie eine penetrant fröhliche Einsagerin mimt und virtuos den Sprachsinn ad absurdum führt. Freie Abende haben Seltenheitswert, seit sie mit dem üblichen bescheidenen Anfängergehalt am Theater Bonn beschäftigt ist und natürlich auch noch für tendenziell null Gage in diversen Werkstatt-Reihen mitwirkt. „Nachtwerk“ z.B. präsentiert am 22. Dezember um 22.00 Uhr sein vorweihnachtliches „Schmachtwerk“. Überbesinnlich mit leichten Schlagern auf den Hinterkopf. Anastasia Gubareva wird garantiert russisch sein, weil die Mos­kwa mindes­tens so schön ist wie der Rhein, an dessen romantischen Ufern die junge Künstlerin gern verweilt. Für die Szene in Bonn hatte sie bisher keine Zeit, fragt mich aber noch schnell nach persönlichen Theater-Tipps, bevor sie sich auf den Weg macht, um sich mit Wedekinds Lulu zu beschäftigen.
Dieses Kindweib aus der Werkstatt der Männerphantasien wird sie ab Ende Mai 2011 in den Kammerspielen in der Regie von Markus Dietz verkörpern und freut sich sehr auf diese schauspielerische Herausforderung. „Was da passieren wird, weiß ich überhaupt noch nicht. Das Faszinierende am Theater ist für mich sehr schwer zu greifen. Ich kann mich sehr gut über Theater ärgern und auch immer beschreiben, warum. Wenn ich fasziniert bin, habe ich eine Gänsehaut und bin zutiefst traurig oder wahnsinnig froh, ohne eine Erklärung dafür zu haben. Das passiert mir sowohl beim Proben und Spielen als auch beim Zuschauen. Das sind dann die magischen Momente, in denen man die eigene Liebe und die der anderen spürt. In denen man Menschen dabei zusieht, wie sie verschwinden in dem, was sie auf der Bühne tun, und daraus plötzlich etwas Größeres entsteht. Dieses ‚Größere’ kann man nicht allgemein definieren, und es stellt sich auch nicht jeden Tag her. Aber daran zu arbeiten, reizt mich immer aufs Neue.“

Dienstag, 25.02.2014

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