Tschaikowsky, Peter Iljitsch (1840 - 1893)

aus kultur Nr. 47 - 5/2008

„Musik ist keine Illusion, sie ist Offenbarung. Und darin besteht ihre sieghafte Kraft, daß sie eine Schönheit offenbart, die uns in keiner anderen Sphäre zugänglich ist und uns mit dem Leben versöhnt.“ (P. I. Tschaikowsky)
Der russische Komponist war der zweite Sohn von Ilja Petrowitsch Tschaikowsky und dessen zweiter Ehefrau Alexandra Andrejewna. Er wurde in Wotkinsk, einer Bergbaustadt westlich des Urals, 1300 km östlich von St. Petersburg geboren. Sein Vater war Chefinspektor der Kamsko-Wotkinsker Berg- und Metallwerke, seine Mutter war eine gebildete Frau, die französisch und deutsch sprechen konnte, Klavier spielte und sang. Tschaikowsky hatte insgesamt sechs Geschwister; von seinen vier Brüdern wurde vor allem Modest zu seinem engsten Vertrauten. Dieser schrieb nach Tschaikowskys Tod auch die erste Biographie über den Komponisten.
Tschaikowsky war ein hochsensibles Kind, das sehr an seiner Mutter hing. Von ihr erhielt er seine ersten musikalischen Anregungen am Klavier. Schon früh offenbarte sich seine Begabung und Passion für die Musik. Ein Musikerberuf war für seine Eltern jedoch undenkbar, daher wurde er auf die Petersburger Schule für Jurisprudenz geschickt. In seiner Freizeit spielte Tschaikowsky weiterhin Klavier und nahm von 1855-58 Unterricht bei dem deutschen Pianisten Rudolf Kündinger. 1859 absolvierte er die Rechtsschule und wurde als Assistent eines Bürovorstehers im Justizministerium angestellt. Durch Zufall erfuhr er, dass Nikolaj Iwanowitsch Saremba, ein aus Polen stammender Komponist, hochinteressante Kurse für Musiktheorie in Anton Rubinsteins Musikschule anbot. Im September 1862 schrieb sich Tschaikowsky in das Petersburger Konservatorium ein und hatte, neben dem Kontrapunktunterricht bei N.I. Saremba, Klavier-, Flöten- und Orgelunterricht. Den stärksten Einfluss auf seine musikalische Ausbildung übte sein Kompositionslehrer Anton Grigorjewitsch Rubinstein aus, der Tschaikowskys große kompositorische Begabung erkannte und ihn zu immer höheren Leistungen anspornte. Im Mai 1863 quittierte Tschaikowsky seinen Dienst im Justizministerium und widmete sich intensiv seinem Studium, das er nach drei Jahren mit einer Silbermedaille abschloss.
Nikolaj Grigorjewitsch Rubinstein, der jüngere Bruder von Anton Rubinstein, ein ausgezeichneter Pianist und berühmter Dirigent, war seit 1866 der Leiter des Moskauer Konservatoriums. Dieser berief Tschaikowsky noch im selben Jahr als Theorielehrer an sein Institut: Hier unterrichtete er zwölf Jahre lang Harmonielehre, Instrumentation und freie Komposition. Tschaikowsky verfasste in dieser Zeit eine Harmonielehre, die 1872 erschien. In seiner Moskauer Zeit entstanden einige Orchesterwerke, die alle von Nikolaj Rubinstein uraufgeführt wurden, unter ihnen die Fantasie-Ouvertüre "Romeo und Julia". Im Jahre 1878 entschloss sich Tschaikows­ky, seine Lehrtätigkeit aufzugeben und sich ausschließlich seinem kompositorischen Schaffen zu widmen. Dies wurde ihm durch die finanzielle Unterstützung seiner Gönnerin Nadesha von Meck ermöglicht. Mit ihr hatte Tschaikowsky für vierzehn Jahre eine einzigartige Beziehung, die in 1204 Briefen festgehalten ist. Dieser Briefwechsel enthält eine solche Fülle an Informationen über die beiden Persönlichkeiten (die sich übrigens nur einmal zufällig begegneten), dass man ihn für die Zeit von 1877-90 als eine Autobiographie Tschaikowskys bezeichnen könnte.
Tschaikowsky verbrachte die folgenden Jahre komponierend in Russland, Italien, Frankreich und in der Schweiz. Erst 1885 verwirklichte er einen lange gehegten Wunsch und pachtete ein Haus auf dem Lande in der Nähe von Moskau. Mit seiner finanziellen Freiheit ging eine eindrucksvolle Produktivität einher. Zwischen 1878 und 1884 entstanden zahlreiche Kompositionen, unter ihnen das "Capriccio italien" (s.u.). In den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gelangte Tschaikowsky durch den großen Erfolg der Premiere seiner Oper "Eugen Onegin" 1879 im Moskauer Maly-Theater. International berühmt wurde der Komponist schließlich durch zwei Konzertreisen, die er als Dirigent seiner eigenen Werke nach Westeuropa unternahm, sowie durch eine weitere Reise in die Vereinigten Staaten anlässlich der Einweihung der Music Hall (der späteren Carnegie Hall) in New York 1891. Die Universität von Cambridge verlieh ihm 1893, zusammen mit Max Bruch, Arrigo Boito, Camille Saint-Saëns und Edvard Grieg, die Ehrenwürde eines „Doctor musicae“.
Tschaikowskys Güte und Bescheidenheit waren sprichwörtlich. Während der hochsensible Komponist nach außen stets liebenswert, gelassen und diszipliniert wirkte, erfährt man dagegen in seinen zahlreichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, dass er innerlich zerrissen und unausgeglichen war. Tschaikowsky litt immer wieder unter schweren Depressionen und neurotischen Anfällen. Der Komponist war ausgesprochen menschenscheu und fühlte sich oft allein. Er selbst begründete dies nicht zuletzt mit seiner homosexuellen Veranlagung. Trotzdem heiratete Tschaikowsky 1877 die 28-jährige Musikstudentin Antonina Iwanowna Miljukowa. Bereits wenige Tage nach der Eheschließung war der Komponist der Verzweiflung nahe und hatte Todesgedanken. Er erlitt damals einen schweren Nervenzusammenbruch und trennte sich für immer räumlich von seiner Frau. Zu einer Scheidung kam es jedoch nicht.
Das kompositorische Schaffen war für Tschaikowsky ein Mittel, aus seiner inneren Zerrissenheit auszubrechen. „Die Arbeit ist meine Retterin.“ schrieb er in sein Tagebuch. Tschaikowsky besaß eine enorme Arbeitsdisziplin; seiner Meinung nach wird Inspiration „nur durch Arbeit und nur beim Arbeiten geboren“.
Tschaikowskys Œuvre umfasst Werke beinahe aller Gattungen: Opern- und Ballettmusik, Orchesterwerke, Konzerte, Kammermusik, Klaviermusik, geistliche Musik und Lieder. Seine besondere Liebe galt der Oper. Von seinen zehn Werken haben sich jedoch nur zwei auf den Spielplänen durchgesetzt: "Eugen Onegin" und "Pique Dame". Tschaikowskys Weltruhm gründet sich nicht zuletzt auf die drei Ballette, zu denen er die Musik komponiert hat: "Schwanensee", "Dornröschen" und "Der Nußknacker". Seine berühmteste Sinfonie ist die sechste mit dem Beinamen „Pathétique“.
Die Musiksprache Tschaikowskys ist intensiv und emotional. Nach Meinung Boris Assafjews resultiert die Popularität von Tschaikowskys Musik wohl daraus, dass sie „von Herzen zu Herzen“ geht.
Über die These, dass der Komponist nach dem Urteil eines „Ehrengerichts“ Selbstmord begangen habe, wurde viel diskutiert und gestritten. Offiziell starb der Komponist an den Folgen einer Cholera-Infektion. Tschaikowskys Totenamt fand als besondere Ehre in der Kasaner Kathedrale in Sankt Petersburg statt. Eine riesige Menschenmenge gab dem Komponisten das letzte Geleit zum Friedhof des Alexander-Newskij-Klos­ters. E.H.

Zum Nachhören:
- Violinkozert D-Dur op. 35 (+Violinkonzert von Korngold), Anne-Sophie Mutter, André Previn, Wiener Philharmoniker, London Symphony Orchestra, DG.
- Der Nußknacker, Kirov Orchestra, Valery Gergiev, Philips.
- Klavierkonzert Nr. 1 (+ Klavierkonzert Nr. 3 von Rachmaninow), Martha Argerich, Philips.

Zum Nachlesen:
Constantin Floros, Peter Tschaikowsky, Rowohlt.
Everett Helm, Tschaikowsky, Rowohlt.
Edward Garden, Tschaikowsky. Leben und Werk, Insel.

Mittwoch, 05.01.2011

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