Schostakowitsch, Dmitrij (1906-1975)

aus kultur Nr. 7 - 5/2004

Beschäftigt man sich mit dem Leben eines der bedeutendsten russischen Komponisten des letzten Jahrhunderts, wird man bald mit den zwei Welten, in denen der Künstler sich entschloss, zu leben, konfrontiert. Die eine war die öffentliche, reale Welt der ehemaligen Sowjetunion mit den Repressalien - vor allem unter der Herrschaft Stalins - des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Damit verbunden waren eine ständige Angst um das eigene Leben und das Misstrauen gegenüber Freunden und sogar Verwandten. Schostakowitsch selbst erlebte die Verhaftung, Abschiebung oder Ermordung eigener, auch sehr enger Freunde mit. Am eigenen Leib musste er erfahren, was es hieß, von der herrschenden Staatsmacht in seinem künstlerischen Schaffen kritisiert zu werden. In den Jahren 1936 und 1948 wurde ihm "Formalismus" und "Entfernung vom sozialistischen Realismus" in einigen seiner Kompositionen vorgeworfen. Seine Freunde wendeten sich daraufhin von ihm ab und er verlor zeitweilig seine Lehrämter am Konservatorium. Unter dieser äußeren, für ihn als Patrioten sehr bedrückenden Situation begannen sich die zwei Gesichter des Komponisten zu offenbaren. Gegenüber der Staatsmacht setzte er eine Maske auf, verlas öffentlich Lippenbekenntnisse, gelobte "Besserung", komponierte immer wieder so genannte Partei- und Kompromissmusik. Erst unter dem Regime Chruschtschows wagte Schostakowitsch es, verstärkt für seine eigenen Ansichten einzutreten - eine gewisse Angst und Unsicherheit blieb jedoch zeit seines Lebens bestehen.
Vor diesem Hintergrund spielte sich die zweite Welt des Komponisten ab, das unter Verschluss gehaltene Innere Schostakowitschs, das sich gegen die äußere Unterdrückung und offensichtliche Ungerechtigkeit wehrte. Dieses zweite Gesicht kommt in seinen bedeutenden Werken zum Ausdruck; wie man überhaupt diesen Zwiespalt seines gesamten Lebens in den Kompositionen nachvollziehen kann. Schostakowitsch blieb ein "Kompromissler": Er erhielt viele Auszeichnungen und Preise und wurde als Aushängeschild zu Kongressen in andere Länder gesandt. Wohl aus Liebe zu seinem Heimatland nutzte er diese Reisen niemals dazu - wie später sein Sohn und sein Enkel - um sich abzusetzen.
Schostakowitsch war ein äußerst nervöser und unruhiger Typ Mensch; man hat das Gefühl, dass eine nach innen gekehrte Energie ihn beherrschte. Diese Energie teilt sich in einigen seiner Kompositionen mit; sie überträgt sich auf den Zuhörer und lässt ihn zuweilen wie elektrisiert zurück. Schostakowitschs Arbeitseifer war ihm ein inneres Bedürfnis, auch in seinen von langer Krankheit gekennzeichneten letzten Jahren komponierte er unermüdlich. Neben 15 Sinfonien und ebenso vielen Streichquartetten schrieb er zwei vollendete Opern, viele Klavierwerke, da er selbst ein hervorragender Pianist war, Ballette, Suiten, Instrumentalkonzerte, Kammermusik, Lieder und unzählige Filmmusiken.
Schostakowitsch ist heute ein international anerkannter Komponist; die Komposition der 7. Sinfonie machte ihn seinerzeit schlagartig berühmt: Sie entstand zur Zeit der Belagerung Leningrads und wurde als Symbol des Widerstands in der ganzen Welt gespielt.
Im Jahr 2006 wird der 100. Geburtstag des Komponisten gefeiert. Das Bonner Beethovenorchester will unter der Leitung Roman Kofmans bis dahin alle 15 Sinfonien auf CD eingespielt haben - ein großes Projekt, das mit der Aufnahme der 10. Sinfonie bereits begonnen wurde. E.H.

Schostakowitsch zum Nachlesen:
Krzysztof Meyer, Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Atlantis Musikbuch.
Lothar Seehaus, Dmitrij Schostakowitsch, Florian Noetzel Verlag.

Schostakowitsch zum Hören:
- Cellokonzert Nr. 1 op. 107, inklusive Britten: Symphonie für Cello und Orchester, Cellosuite Nr. 2 op. 80, Rostropovich, Moskau PO, Britten, Roshdestvensky, EMI.
- Complete Concertos, Viktoria Mullova - Gidon Kremer - Heinrich Schiff - Peter Jablonski - Cristina Ortiz, 3 CDs, Naxos.
- Die Sinfonien, Kölner Rundfunkorchester, Rudolf Barshai, 11 CDs, Brilliant Classics.

Dienstag, 25.02.2014

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 24.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn