Scarlatti, Alessandro (1660 - 1725)

kultur 69 - 10/2010

Heic situs est / eques Alexander Scarlatus / vir moderatione beneficentia / pietate insignia / musices instaurator maximus (Hier ruht der Ritter Alexander Scarlatus, ausgezeichnet durch Selbstbeherrschung, Freigiebigkeit und Güte, großer Erneuerer der Musik). So lautet die Gedenktafel für Alessandro Scarlatti.
Der in Palermo geborene italienische Komponist war der älteste von neun Söhnen des Sängers Pietro Scarlata und Eleonora d’Amatos. Aufgrund einer Hungersnot siedelte die Familie 1672 nach Rom über. Von wem Scarlatti dort musikalischen Unterricht erhielt ist unklar; möglicherweise war er ein Schüler G. Carissimis.
1678 wurde Scarlatti Kapellmeister an S. Giacomo degli Incurabili. Förderung erhielt der junge Komponist von Kardinal Benedetto Pamphilj und Königin Christina von Schweden. Nach dem sensationellen Erfolg seiner ers­ten Oper Gli equivoci nel sembiante (1679) erhielt er Kompositionsaufträge vom römischen Adel. Im November 1682 wechselte Scarlatti als Kapellmeister an die Kirche S. Girolamo della Carità.
Im Jahr darauf erhielt der Komponist von den Impresarii des Teatro S. Bartolomeo in Neapel den Auftrag, mit einer von ihm zusammengestellten römischen Operntruppe nach Neapel zu gehen, um dort die Opernsaison zu gestalten.
Im Frühjahr 1684 wurde Scarlatti zum Kapellmeister des spanischen Vizekönigs von Neapel berufen. In dieser Funktion war er für die Einrichtung oder Neukomposition der im Real Palazzo bzw. am Teatro San Bartolomeo aufgeführten Opern zuständig. Außerdem ließ der Vizekönig im Sommer prunkvoll inszenierte Serenaten (s.u.) und Festmusiken aufführen.
Scarlatti hielt sich trotz dieses Amtes weiterhin mehrmals in Rom auf; ein bedeutender Förderer seiner Musik wurde dort Pietro Ottoboni d.J., der 1690 in den Kardinalsstand erhoben wurde.
1696 wurde Duque de Medinaceli zum spanischen Vizekönig in Neapel berufen. Scarlatti behielt sein Amt als Kapellmeister, sein Anteil an Opernproduktionen reduzierte sich aber, da der Vizekönig Komponisten aus Rom und Oberitalien favorisierte. Nach dem erneuten Wechsel des Vizekönigs (Marques de Villena) im Jahre 1702, der eine Kürzung der Gehälter mit sich brachte, bemühte sich Scarlatti aktiv um eine andere Anstellung.
Durch den Kontakt zu Ferdinando de‘ Medici, Granprincipe der Toskana, erhielt Scarlatti weitere Kompositionsaufträge – bis 1706 komponierte er eine Serie von Opern für dessen Privattheater. Im Jahre 1703 siedelte Scarlatti mit seiner ganzen Familie nach Rom über. Dort wurde er Kirchenkapellmeister erst an S. Maria in Vallicella, dann an S. Maria Maggiore (1707). Zur Bewältigung des Arbeitspensums an S. Maria Maggiore erhielt er Unterstützung von seinem Sohn Domenico, der ebenfalls als berühmter Komponist in die Musikgeschichte eingehen sollte. Im Haushalt von Kardinal Pietro Ottoboni wird Scarlatti als ministro verzeichnet. Der musikbegeisterte Marchese Francesco Maria Ruspoli, der auch den jungen Händel förderte, ermöglichte Scarlatti die Aufführung seines Oratoriums Il giardino di rose und begleitete sein Schaffen. Für die Königin Maria Casimira von Polen, deren offizieller Kapellmeister er 1708 wurde, schrieb Scarlatti kleinere dramatische Werke.
Wahrscheinlich seit 1709 nahm er seine frühere Tätigkeit als vizeköniglicher Kapellmeister, diesmal von Kardinal Grimani, in Neapel wieder auf. Weiterhin hielt er Kontakt zu den Kreisen in Rom. Dort wurde das neu eröffnete Teatre Capranica Schauplatz seines Spätwerks, zu dem die Opern Telemaco und Griselda zählen.
1716 verlieh ihm Papst Clemens XI. den Titel eines cavaliere; Scarlatti bedankte sich dafür mit der Widmung der sog. Missa Clementina. Sein kirchenmusikalisches Vermächtnis entstand während Aufenthalten in den Jahren 1720 und 1721 in Rom mit den Werken Missa di Santa Cecilia und der gleichnamigen Vesper.
In seinen letzten Lebensjahren gewährte der Komponist Joh.A. Hasse und J.J. Quantz Unterweisung. Scarlatti, der inklusive Dienerschaft einen Haushalt von 15 Personen zu versorgen hatte, klagte bis zuletzt über wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Der Komponist wurde in der Kirche S. Maria di Montesanto begraben, eine Gedenkplatte in der Kapelle der hl. Cäcilie, die vermutlich durch Pietro Ottoboni angebracht wurde, feiert seine Persönlichkeit.

Bereits Scarlattis Zeitgenossen sprachen von einer „maniera Scarlatti“ und meinten damit eine ausgeprägte Eigenstilistik des Komponisten. Von seinem gesamten Denken her war Scarlatti in erster Linie Komponist von Vokalmusik. In seinen Werken versuchte er immer wieder, das Charakteristische des Sprachtonfalls musikalisch umzusetzen. Seine Melodien können dabei technisch höchst anspruchsvoll sein. Scarlatti verwirklichte eine differenzierte und einfühlsame Darstellung der Befindlichkeit seiner Protagonisten. In seinen Arien verwendete er verschiedene und abwechslungsreiche Formschemata; die orchesterbegleiteten Arien gewannen dabei bald die Überhand. Der Instrumentalsatz entwickelte sich von einer begleitenden in eine partnerschaftliche Funktion, die den semantischen Prozess mitträgt.
Scarlatti hat nach eigener Zählung 114 Opern komponiert, eindeutig belegbar sind ca. 70 Bühnenwerke. Sein umfangreiches Schaffen innerhalb dieser Gattung spiegelt die unterschiedlichen lokalen Situationen und Interessen seiner Auftraggeber in Rom, Neapel und Florenz wider. Seine frühen Opern zeichnen sich durch eine Vielfalt der Themen und Gattungen aus. Anfang der 1690er Jahre beginnt eine Phase des Experimentierens mit neuen instrumentalen Mitteln und konzertanten Kombinationen. Die erfolgreichste Oper aus dieser Zeit ist Pirro e Demetrio, die 1708 auch in London inszeniert wurde und als ein Meilenstein in der Rezeption der italienischen Oper in dieser Stadt gilt. Durch den Amtsantritt von Vizekönig Medinaceli 1696 kommt es durch die Konkurrenzsituation mit anderen Komponisten zu einer Modifikation von Scarlattis Stil. Er erweitert das Instrumentarium und erhöht die spieltechnischen Anforderungen. Eine eigene Gruppe bilden die Opern, die Scarlatti zwischen 1702 und 1706 für Florenz komponierte, von denen sich leider keine Partitur erhalten hat.
Die größte Werkgruppe bilden die Kantaten mit fast 800 Kompositionen (davon 600 mit verbürgter Autorschaft). Die meisten Werke entstanden vermutlich im Auftrag für ein adeliges bzw. akademisches, literarisch wie musikalisch gebildetes Publikum. Sie sind Gegenstand geistvollen poetisch musikalischen Zeitvertreibs. Am häufigsten ist die Solokantate vertreten. An seiner ausgefeilten Harmonik entzündete sich bei seinen Zeitgenossen schon früh die Kritik, die chromatische Wendungen als „unnatürlich“ und „gewaltsam“ bezeichnete.
Ein besonderes Anliegen war Scarlatti die Komposition geistlicher Musik. Eine herausragende Stellung nimmt innerhalb dieser Gattung die Vesper für die hl. Cäcilie ein. Scarlatti dürfte hier als Vorbild beispielsweise für F. Durante oder G.B. Pergolesi gewirkt haben.
Der Anteil von Instrumentalwerken ist vergleichsweise bescheiden.
Scarlatti wurde zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts wiederentdeckt. Lange Zeit wurde dem Komponisten die Erfindung bestimmter Formschemata und Praktiken zugeschrieben, unter ihnen die dreiteilige Opernouvertüre mit der Satzfolge schnell-langsam-schnell. Diese Einordnung gilt heutzutage als überholt. Über den Komponisten und sein Werk besteht in weiten Teilen noch erheblicher Forschungsbedarf. Bis in die allerjüngste Zeit sind immer noch Neu- und Wiederentdeckungen in allen Bereichen seines Schaffens zu verzeichnen. E.H.

Hörtipps:
- Kantaten und Duette, Miatello, Morini, Banditelli, Cavina, Fagotto, Di Castri, Ensemble Aurora, Fortuna Ensemble u.a., Brilliant.

- Il Vespro di Santa Cecilia, Susanne Ryden, Dominique Labelle, Ryland Angel, Michael Slattery, Neal Davies, Philharmonia Baroque Orchestra, McGegan, Avie.

Dienstag, 15.02.2011

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