Rossini, Gioacchino (1792 - 1868)

kultur 72- Januar 2011

„Er ist die socialste Natur, die man sich denken kann. Ich glaube, er wird nie müde, Menschen um sich zu haben, zu plaudern, zu erzählen und – was viel verdienstlicher – zuzuhören. Dabei hat er jenes gleichmäßige Wesen, das man nur bei Südländern trifft: für Kinder und Greise, Vornehme und Geringe findet er stets das rechte Wort, ohne sich dabei in Art und Weise seines Benehmens zu verändern. Es ist eben eine jener glück­lichen Naturen, denen Alles angeboren. Nichts Gewaltsames ist in seiner Musik und in seiner Persönlichkeit – das hat Beiden so viele Herzen zugewendet.“ So schrieb Ferdinand Hiller 1856 über den italienischen Komponisten.
Gioacchino wurde am 29. Februar als einziges Kind von Giuseppe Rossini und seiner Frau Anna in Pesaro geboren. Sein Vater war zunächst als Stadt-Trompeter angestellt. Seit 1798 führte das Ehepaar dann das typische Wanderleben von Opernkünstlern, die Mutter als Sängerin mit beachtlichen Erfolgen, der Vater als Orchestermusiker. 1801 wurde der Vater Lehrer für Horn in Bologna und gab auch seinem Sohn Unterricht. 1802 zog die Familie nach Lugo; dort wurde Gioacchino von mehreren Familien gefördert und war bald ein gefragter Sänger und vielseitig begabter Instrumentalist. Entscheidend wurde der Einfluss des Chorherrn Don Giuseppe Malerbi, in dessen Bibliothek sich auch Werke von Haydn und Mozart befanden – hier begann Rossinis lebenslange Liebe zu deren Musik.
Die ersten eigenen Werke die sich erhalten haben, sind die sechs Sonate à quattro für zwei Violinen, Violoncello und Kontrabass von 1804. Im Jahr darauf wurde Angelo Tesei sein erster Kompositionslehrer. 1806 wurde Rossini Schüler des Liceo Musicale in Bologna, wo er Gesang, Cello, Klavier und Kontrapunktunterricht bei Padre Stanislao Mattei erhielt. Neben dem Konservatoriumsunterricht lernte Rossini nach eigener Aussage das meiste durch die Abschrift von Kompositionen von Haydn oder Mozart. Er schrieb erst die Singstimme ab, komponierte dazu eine Begleitung, verglich das Resultat und schrieb dann die Originalbegleitung ab. Rossini hatte ein hervorragendes musikalisches Gedächtnis – bereits als Dreizehnjähriger schrieb er den Klavierauszug einer ganzen Oper aus dem Kopf auf.
Im Jahre 1810 erhielt Rossini seinen ersten Opernauftrag - es entstand La cambiale di matrimonio, eine farsa (eine komische Oper) in einem Akt. Die erste erfolgreiche Oper war Tancredi (1813) - sie wurde in ganz Italien und innerhalb weniger Jahre auch im Ausland gespielt. Bereits für seine ersten Opern typisch ist die Verbindung von beweglicher Melodik und rhythmischer Vitalität. Aufgrund seiner Erfolge verpflichtete ihn Domenico Barbaja, der Direktor des Teatro San Carlo in Neapel, zur Komposition von jährlich zwei Opern. Außerhalb Italiens schrieb Rossini nur für Paris Opern. Sein rasantes Produktionstempo war – neben einer leichten Hand und viel Instinkt – auch dadurch möglich dass er, wie zur damaligen Zeit üblich, mehrfach seine eigene Musik für verschiedene Opern wiederverwendete: La Cenerentola entstand in drei, Il Barbiere di Siviglia in weniger als zwei Wochen. Mit seiner 39. Oper Guillaume Tell (1839) schloss Rossini seine Produktion fürs Musiktheater ab. Danach entstanden noch seine wichtigsten geistlichen Kompositionen, das Stabat mater und die Petite Messe solennelle. Die Werke, die Rossini in späteren Jahren schrieb, wurden erst von 1954 an durch die Veröffentlichungen der Fondazione Rossini bekannt. Die meisten waren kleine Stücke, die der Komponist selbst liebenswert-ironisch als „Sünden des Alters“ bezeichnete. Unter ihnen befinden sich rund hundert Klavierstücke, in denen Humor und Abgründigkeit dicht nebeneinander stehen und die auf Eric Satie vorausweisen.
1824 nahm Rossini den Posten des Leiters der italienischen Oper in Paris an. Zwei Jahre später wurde er königlicher Hofkomponist und setzte sich als offizieller Inspecteur général du chant (Generalinspekteur des Gesangs) in Paris für junge Komponisten ein. Das Jahr 1830 brachte für Rossini den Verlust seiner Ämter, da der französische König im Verlauf der Julirevolution abdanken musste. Es gelang Rossini jedoch, gerichtlich eine lebenslange Rente durchzusetzen. Von 1836 bis 1848 wirkte er in Bologna als Direktor des Liceo Musicale, wo er die Ausbildung nicht nur im traditionell italienischen Sinn förderte, sondern seinen Studenten auch deutsche Instrumentalmusik näherbrachte. Wegen politischer Unruhen in Bologna floh Rossini 1848 nach Florenz. 1855 kehrte er endgültig nach Paris zurück. Mit seiner zweiten Frau Olympe bezog er in Passy eine Villa, die zum Treffpunkt künstlerischer und aristokratischer Kreise wurde.
In seiner zweiten Lebenshälfte ließ es sich Rossini überwiegend als leidenschaftlicher Feinschmecker und Erfinder raffinierter Leckereien gut gehen. Als Klavierspieler und Sänger begeisterte er selbst im Alter noch alle, die ihn hörten. Rossini war ein Mann von überschäumendem Temperament. Von ihm liegen nicht nur blitzende Bonmots, sondern auch kluge Urteile über seine Kunst und die seiner Zeit vor. Über viele Jahre war er aber auch ein verzweifelt kranker Mensch, dessen körperliche Leiden und depressiven Anfälle ihn fast zum Äußersten trieben. In seinem letzten Wohnort Passy besserte sich jedoch seine Gesundheit und er genoss seinen Wohlstand.
Rossini veranlasste testamentarisch unter anderem die Gründung und Subventionierung des Konservatoriums in Pesaro und einer Maison de Retraite Rossini in Paris als Altersheim für Opernsänger. Nach seiner Beisetzung auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris wurde sein Leichnam 1887 nach Florenz überführt, wo sein Grab in der Kirche Santa Croce, dem nationalen Pantheon, neben den Monumenten für Dante, Michelangelo und Cherubini errichtet wurde.
„Seit Napoleons Tod gibt es einen anderen Mann, über den man jeden Tag in Moskau wie in Neapel, in London wie in Wien, in Paris wie in Kalkutta spricht.“ Henri Beyle, der sich Stendhal nannte, begann mit diesen Worten seine Veröffentlichung „Vie de Rossini“. Rossinis Musik hatte bereits zu seinen Lebzeiten Weltgeltung wie keine je zuvor. Was an seiner Musik allgemein faszinierte, war ihre wahrhaft „unerhörte“ Wirkung, die Rossini durch Extreme des Effekts auf engstem Raum erzielte – er war der Komponist, der das Crescendo populär machte. Fedele d’Amico bezeichnete in unserer Zeit den Wesenszug von Rossinis Musik als „spirito orgiastico“ (überschäumenden Geist) und meint damit einen Ausbruch von Lebensfreude, wie es ihn zuvor in der Musikgeschichte nicht gegeben hat. Rossini war einer der begnadetsten Melodiker. Der Reiz seiner Melodien liegt in ihrer vitalen Wirkung – sie zielen von vorneherein auf technische Brillanz. In seinen Opern entwickelte Rossini im Laufe der Zeit eine Tendenz zum durchkomponierten Drama: Es wird nicht mehr klar zwischen Rezitativ und Arie geschieden, das große flächige Crescendo wird auf wenige Stellen beschränkt und der Canto fiorito (der verzierte Gesang) wird bewusst der Darstellung von Gefühlen vorbehalten.
Die eigentliche Rossini-Renaissance begann nach dem Zweiten Weltkrieg in Italien und setzte von da aus weltweit ein. Die Wiederaufführung seiner Opern wurde durch die systematische Wiederbelebung der alten spezifischen Gesangskunst möglich, die für Rossinis Belcanto erforderlich ist. E.H.

Lesetipps:
- Volker Scherliess, Gioacchino Rossini, Rowohlt.
- Thierry Beauvert, Peter Knaup, Rossini. Bonvivant und Gourmet, Heyne.

Hörtipps:
- Overtures, The Chamber Orchestra of Europe, Claudio Abbado, DG.
- Petite Messe solenelle, SWR Vokalensemble Stuttgart, Rupert Huber, hänssler classic.

Montag, 21.03.2011

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