Ravel, Maurice (1875 - 1937)

aus kultur Nr. 66 - 5/2010

„Ich bemühe mich vor allem, ganz unterschiedliche Sachen zu schreiben ... keine Prinzipien, bloß keine Prinzipien, die einem ein bestimmtes Procedere aufzwingen.“ In einem Interview vom 18. Mai 1911 äußerte der französische Komponist Maurice Ravel dieses künstlerische Bekenntnis zu Freiheit und Unberechenbarkeit, das sich in seinem Œuvre widerspiegelt.
Geboren in Ciboure im Département Basses-Pyrénées war Maurice der erste von zwei Söhnen des Ingeni­eurs und Erfinders Pierre-Joseph Ravel, gebürtig aus Versoix am Genfer See, und von Marie Delouart, die aus dem Baskenland stammte. Kurz nach seiner Geburt zog die Familie nach Paris; hier erhielt Maurice mit sieben Jahren Klavierunterricht und erste Stunden in Harmonielehre, Kontrapunkt und Komposition. Seit 1888 unterrichtete ihn Emile Descombes im Klavierspielen. Im Jahr darauf bewarb sich Ravel für die Aufnahme in eine der Klavierklassen des Conservatoire de Musique; er gelangte in eine Vorbereitungs-Klasse und qualifizierte sich zwei Jahre später für die Klavierklasse von Charles de Bériot. Damals wollte Ravel noch Konzertpianist werden, je mehr er sich aber für Komposition interessierte, desto mehr vernachlässigte er dieses Metier und beschränkte sich später auf die Interpretation eigener Werke. Ravels erste, unveröffentlichte Kompositionen entstanden im Jahre 1893. Zwei Jahre später schrieb er die Klavierwerke Menuet antique und Habanera, die dann auch veröffentlicht wurden. Einfluss auf seine ersten Werke hatten laut Ravels eigener Aussage die Kompositionen von Emmanuel Chabrier und Eric Satie. Seit 1897 studierte Ravel Komposition bei Gabriel Fauré und Kontrapunkt, Fuge und Orchestration bei André Gedalges.
Zusammen mit seinem besten Freund, dem Pianisten Ricardo Viñes, war Ravel gern gesehener Gast in den Salons von Paris. Winnaretta Singer, Princess Edmond de Polignac, bei der die beiden Musiker Stammgäste waren, gab bei Ravel 1899 ein kleines Klavierstück in Auftrag, das überaus erfolgreich wurde: die Pavane pour une infante défunte.
Mit Beginn des neuen Jahrhunderts bewarb sich Ravel erstmals um den Prix de Rome, gewann aber auch in den drei folgenden Jahren und nochmals 1905 nicht den ausgeschriebenen Wettbewerb. Da Ravel damals bereits ein allgemein anerkannter Komponist war, geriet der Konservatoriumsbetrieb stark in die öffentliche Kritik, was schließlich den Rücktritt des Direktors Théodore Dubois zur Folge hatte - Gabriel Fauré wurde dessen Nachfolger.
Im Jahre 1906 schlossen die Éditions Durand, einer der renommiertesten Musikverlage von Paris, mit Ravel einen Exlusiv-Vertrag für die Veröffentlichung seiner Werke, wodurch der Komponist nun mit einem monatlichen Betrag von 1000 Francs (damals ca. 1.500 Euro) finanziell abgesichert war.
Durch die Herkunft seiner Mutter betrachtete Ravel Spanien als seine „zweite musikalische Heimat“ und viele seiner Kompositionen sind im Geiste der spanischen Musik entstanden, unter ihnen die Rapsodie espagnole (1907). Übrigens begründete Ravel auch seine äußerst distanzierte Haltung anderen Menschen gegenüber, die sich mit einer Vorliebe für Ironie und einem beißend-trockenen Humor paarte, mit seiner baskischen Abstammung: „Es gibt Leute, die behaupten, ich sei gefühlskalt. Sie wissen, daß das nicht stimmt. Aber ich bin Baske. Die Basken empfinden ungeheuer tief, vertrauen sich aber nur selten und nur einigen wenigen Menschen an.“
Neben zahlreichen Klavierwerken komponierte Ravel auch Bühnenwerke, Orchester-, Kammer- und Vokalmusik. Während seine Kompositionen für Klavier Virtuosität auf höchstem technischen Niveau verlangen, zeichnen sich seine Instrumentalwerke durch Brillanz und Farbenreichtum der Orchestration aus. Ravel instrumentierte auch einige Werke anderer Komponisten - seine meistgespielte Bearbeitung für Orchester ist der Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky.
Zu einem der populärsten Stücke der abendländischen Musikgeschichte avancierte sein 1918 uraufgeführter Boléro. Von seinen beiden Opern trat der Einakter L’Heure espagnole erst 1921 - zehn Jahre nach seiner Uraufführung - einen Siegeszug über die Bühnen der Welt an. L’Enfant et les sortilèges entstand nach dem Libretto von Sidonie-Gabrielle Colette und erlebte 1925 in Monte Carlo seine erfolgreiche Premiere.
Ravels Kompositionen entstanden häufig während eines längeren Reifeprozesses. Zudem legte er größten Wert auf das Detail: „Viel Zeit kos­tet es aber auch, aus einem Werk alles herauszustreichen, was man für überflüssig halten könnte, und so vollkommen wie möglich die endgültige „clarté“ zu verwirklichen, die man angestrebt hat.“ Seine neuartigen Rhythmen und Harmonien sind häufig in traditionelle Strukturen eingebettet, von denen er aber immer wieder abweicht. „Was nicht leicht von der Form abweicht, entbehrt des Anreizes für das Gefühl - daraus folgt, daß die Unregelmäßigkeit, das heißt das Unerwartete, Überraschende, Frappierende einen wesentlichen und charakteristischen Teil der Schönheit ausmacht.“
Seit Anfang der 1920er Jahre nahm Ravel eine Vielzahl von Einladungen zu Konzerten und Tourneen an, die ihn als Dirigent und Pianist u.a. nach Wien, Amsterdam, Mailand, Brüssel, Madrid und schließlich in die USA führten. Bereits 1912 spielte er für die Firma Welte zwei eigene Kompositionen auf Klavierrollen ein; die Sonatines No. 1 und 2 (s.u.) und die Valses nobles et sentimentales No. 1-8.
Seine letzten Lebensjahre waren von einer Krankheit überschattet, die sich zunächst in chronischer Schlaflosigkeit, mangelnder Kontrolle der Handschrift, Zerstreutheit und extremer Erschöpfung äußerte, schließlich kamen eine Störung der Bewegungskoordination und des Sprachvermögens hinzu. Ein Autounfall im Jahre 1932 verschlimmerte diese Symptome noch. Um den Verdacht auf einen Gehirntumor auszuschließen, wurde Ravel Ende des Jahres 1937 operiert. Dabei wurde festgestellt, dass die linke Gehirnhälfte in ihrer Kammer regelrecht zusammengefallen war. Wenige Tage später starb er und wurde neben seinen Eltern auf dem Friedhof von Levallois-Perret im Westen von Paris beigesetzt. E.H.


Lesetipps:
- Michael Stegemann, Maurice Ravel, Rowohlt.
- Roger Nichols, Maurice Ravel im Spiegel seiner Zeit, Edition Musik & Theater.
Hörtipps:
- L’Enfant et les sortilèges, Ma Mère l’Oye, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle, EMI.
- Boléro, Ma Mère l’Oye, Rapsodie espagnole, Une Barque sur l’océan, Berliner Philharmoniker, Pierre Boulez, DG.
- Sonates & Trio, Renaud u. Gautier Capuçon, Frank Braley, Virgin.
- Klavierkonzerte, Valses nobles et sentimentales, Krystian Zimerman, Pierre Boulez, DG.

Montag, 07.02.2011

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