Rachmaninow, Sergej (1873 - 1943)

kultur 92 - Januar 2013

Die Familie des russischen Komponisten entstammt altem Adel, dessen Ursprung bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Geboren in Semjonowo, einem der elterlichen Landgüter südlich des Ilmensees, war Sergej der zweite Sohn und das vierte von insgesamt sechs Kindern. Da Rachmaninows Vater innerhalb weniger Jahre das eheliche Vermögen verschwendete, zog die Familie 1882 nach St. Petersburg und die Wege der Eltern trennten sich. Sergejs außergewöhnliche musikalische Begabung wurde früh von seiner Mutter erkannt, die ihm auch den ersten Klavierunterricht erteilte. Anna Ornatskaja, eine Absolventin des St. Petersburger Konservatoriums, unterrichtete Rachmaninow in jungen Jahren und vermittelte ihn an das Konservatorium. Da Rachmaninow den dortigen Unterricht bald schwänzte, wurde der Zwölfjährige durch Fürsprache seines Vetters Alexander Siloti in die Klavierklasse Nikolaj Swerews am Moskauer Konservatorium überwiesen. Mit zwei weiteren Klavierschülern wohnte Sergej bei seinem Lehrer und wurde dort auch in Allgemeinbildung, Französisch und Deutsch unterrichtet. 1888 wechselte er in die fortgeschrittene Klavierklasse von Siloti und studierte Komposition bei Sergej Tanejew und Anton Arenskij. Das Klavierdiplom erhielt Rachmaninow 1891; im selben Jahr stellte er sein Erstes Klavierkonzert fertig. Im Jahr darauf erhielt er mit der einaktigen Oper Aleko die Große Goldmedaille des Konservatoriums zum Abschluss seines Kompositionsstudiums.
Seit 1894 arbeitete der Komponist an verschiedenen Lehranstalten, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Seine erste Konzerttournee unternahm er 1895 als Duopartner der Geigerin Teresina Tua. Rachmaninow, der in regelmäßigen Abständen melancholische Stimmungen hatte, die sich zu schweren Depressionen steigerten, stürzte der Misserfolg der Uraufführung seiner Ersten Symphonie 1897 in eine schwere Schaffenskrise. Eine Dirigentenstelle, die er im selben Jahr an der „Moskauer Russischen Privatoper“ antrat, brachte Rachmaninows Begabung auch auf diesem Gebiet zum Vorschein. 1899 reiste er zum ersten Mal ins Ausland, um in London zu konzertieren. Erst 1901 vollendete der Komponist sein nächstes Werk, das Zweite Klavierkonzert, das mit Rachmaninow als Solist erfolgreich aufgeführt wurde und bis heute zu den beliebtesten Solistenkonzerten überhaupt zählt.
1902 heiratete Rachmaninow seine Kusine Natalja Satina, mit der er zwei Töchter zur Welt brachte. Im Jahr zuvor entstand die Sonate für Violoncello und Klavier, die zu den wenigen Kammermusikwerken des Komponisten zählt. Die zehn Präludien op. 23 für Klavier aus dem Jahre 1903 bilden zusammen mit dem cis-Moll-Präludium aus op. 3 und den später komponierten dreizehn Präludien op. 32 eine Serie aller 24 Dur- und Molltonarten. Rachmaninow knüpft damit an Chopin an, der für ihn der Meister aller Klavierkomponis­ten war: „Sein feines Gefühl für Klangfarben, seine prachtvolle Harmonik sowie sein ausnahmslos pianistisches Verständnis der instrumentalen Möglichkeiten verleihen seinen Werken den Rang einer Bibel.“
Mit großem Erfolg übernahm Rachmaninow 1904 die Dirigentenstelle am Bolschoi-Theater für zwei Jahre. Zwischen 1900 und 1905 entstanden seine Operneinakter Der geizige Ritter und Francesca da Rimini, die sich jedoch nicht im Repertoire halten konnten. Die Wintermonate der Jahre 1906-09 verbrachte Rachmaninow mit seiner Familie in Dresden, um sich ganz der Komposition widmen zu können. Hier schuf er drei seiner wichtigsten Werke: Die Zweite Symphonie, die Erste Klaviersonate und Die Toteninsel. Für eine erfolgreiche Amerika-Tournee in den Jahren 1909/10 komponierte Rachmaninow sein Drittes Klavierkonzert, das sich durch außergewöhnliche pianistische Schwierigkeiten auszeichnet.
Spätestens um 1910 zählte Rachmaninow zu den wichtigsten Vertretern des Moskauer Musiklebens und der russischen Musik überhaupt. Der Komponist war Vizepräsident der „Russischen Musikgesellschaft“, ständiger Dirigent der Moskauer Philharmonischen Gesellschaft und künstlerischer Gutachter des Russischen Musikverlags. Ende 1912 unternahm Rachmaninow kurze Reisen nach Deutschland und in die Schweiz und hielt sich anschließend mehrere Monate in Rom auf. Dort entstanden zwei zentrale Werke; Die Glocken und die Zweite Sonate für Klavier.
Während des Ersten Weltkriegs unternahm der Komponist große Konzerttourneen durch Russland. Nachdem er 1918 einer Einladung nach Schweden gefolgt war, nahm Rachmaninow das Angebot einer Tournee durch Amerika an und traf mit dem Ende des Ersten Weltkriegs in New York ein. In den folgenden Jahren wurde er zu einem der begehrtesten und bestbezahlten Pianisten Amerikas.
Während einer Konzertpause in den Jahren 1925/26 vollendete der Komponist sein Viertes Klavierkonzert, das er 1940 zum zweiten Mal revidierte; in dieser Fassung wird es seitdem gespielt. Seit 1928 teilte Rachmaninow die Konzertsaison nach Möglichkeit in eine europäische und eine amerikanische Hälfte. 1930 erwarb er ein Grundstück am Vierwaldstätter See wo er die Villa „Senar“ errichten ließ, in der er die Sommermonate der folgenden Jahre bis 1939 verbrachte. In den dreißiger Jahren entstanden auch zwei Werke in Variationentechnik (s.u.); die Corelli-Variationen und die Paganini-Rhapsodie. Letztere wurde rasch zu einem der beliebtesten und am häufigsten gespielten Werke Rachmaninows.
Die letzten Werke des Komponisten sind die Dritte Symphonie und die Symphonischen Tänze. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs erwarb Rachmaninow ein Haus in Beverly Hills, Kalifornien. Seine letzten Konzerte gab er im Februar 1943, bereits im darauffolgen Monat starb Rachmaninow kurz vor Vollendung seines 70. Lebensjahres. Da er wenige Monate vor seinem Tod die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, wurde Rachmaninow nicht, wie testamentarisch verfügt, auf dem Nowodewitschij-Friedhof in Moskau bestattet, sondern auf dem Kensico-Friedhof in der Nähe von New York.
Rachmaninow verwirklichte in seinen Kompositionen die Vorstellung von Musik als Stimmungskunst und persönliches Bekenntnis. Auch in den Kompositionen, die nicht für das Klavier entstanden, leistete Rachmaninow Bemerkenswertes. Bereits in seinen frühen Orchesterwerken und Liedern zeigt er die Fähigkeit, eine große Bandbreite von Stimmungen differenziert und zielsicher darzustellen. Mit den kompositorischen Entwicklungen seiner Zeit konnte Rachmaninow wenig anfangen. Als Dirigent hatte er die besondere Fähigkeit, dem Orchester einen ganz bestimmten, eigenen Klang zu verleihen. Als Pianist wies Rachmaninow eine hohe musikalische Begabung, Bühnenwirksamkeit und die Fähigkeit zu konsequentem, diszipliniertem Üben auf. Zu seinen größten zeitgenössischen Verehrern auf diesem Gebiet zählten Wladimir Horowitz, Arthur Rubinstein und Claudio Arrau. Rachmaninow selbst stellte extrem hohe Anforderungen an sein Klavierspiel, daher gibt es leider nur wenige Schallplatteneinspielungen von ihm. E.H.

Hörtipps:
- Piano Concertos Nos. 2 and 3, Sergey Rachmaninov, The Philadelphia Orchestra, Leopold Stokowski, Eugene Ormandy, Naxos.
Symphonies 1-3, Concertgebouw Orchestra, Vladimir Ashkenazy, Decca.
- Symphonic Dances, The Isle of the Dead, Concertgebouw Orchestra, Vladimir Ashkenazy, Decca.
Lesetipps:
- Buch: Andreas Wehrmeyer, Sergej Rachmaninow, Rowohlt

Donnerstag, 12.09.2013

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