Ives, Charles (1874 - 1954)

kultur 93 - Februar 2013

Der amerikanische Komponist wurde in Danbury / Connecticut als ältester von zwei Söhnen geboren. Ives‘ Vater verweigerte die in der Familie übliche Laufbahn eines Kaufmanns oder Juris­ten und war in Danbury als Musiker in verschiedenen Positionen tätig. Von ihm wurde Charles bereits früh unterrichtet, so dass dieser mit 14 Jahren Klavier und Orgel spielen konnte und öffentliche Konzerte gab. Sein erstes Organistenamt trat der ältere Sohn 1889 an. 1894 – 98 studierte Charles an der Universität in Yale; dort belegte er im Rahmen eines Studium generale auch Musikkurse und -vorlesungen bei Horatio W. Parker. Nur zwei Monate nach Studienbeginn starb sein Vater. Nachdem er Yale verlassen hatte, wurde Ives Angestellter der New Yorker Versicherungsfirma „Mutual Life Insurance Co.“. Bis 1902 war er weiterhin als Organist tätig und erhielt dadurch auch die Gelegenheit, eigene Kompositionen aufzuführen. Mit der New Yorker Zeit begann Ives‘ größte musikalische Schaffensperiode. Dort lebte er mit einigen Studienfreunden zusammen, bevor er 1908 die Schwester seines Studienkollegen David Twitchell, Harmony, heiratete. Im Versicherungsgeschäft wurde Julian Myrick sein Partner. Nach einer kurzen Phase der Eigengründung schlossen sich Ives und Myrick 1909 wieder der „Mutual“ an. „Ives & Myrick“ wurde für mehr als zwei Jahrzehnte zur erfolgreichsten Lebensversicherungsagentur der Ostküste. 1930 zog sich Ives aus dem Versicherungsgeschäft zurück.
Der Komponist ließ im Jahre 1912 ein Haus in West Redding bauen, in dem er mit seiner Frau die Sommermonate verbrachte. In den Wintermonaten bezog das Ehepaar eine Wohnung in Manhattan. Ives war nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, er betätigte sich auch als Sozialreformer und darüber hinaus komponierte er. Seine Mehrfachbelastung mit einem in der Regel 18-stündigen Arbeitstag führte im Jahre 1918 zu einem körperlichen und nervlichen Zusammenbruch, der seine kompositorische Tätigkeit wei­testgehend beendete. 1919 kehrte Ives in das Versicherungsgeschäft zurück. Zu diesem Zeitpunkt waren seine musikalischen Hauptwerke mehr oder weniger abgeschlossen und Ives begann, seine Werke zu ordnen und seine ästhetischen Überzeugungen in Essays niederzuschreiben. 1921 veröffentlichte er eine solche Abhandlung zusammen mit seiner 2. Klaviersonate Concord, Mass., 1840-60 (entstanden zwischen 1907 und 1915) auf eigene Kosten. 1922 erschien, ebenfalls als Privatdruck, die Liedersammlung der 114 Songs, der auch ein programmatischer Essay als Nachwort beigefügt war. Ives‘ letzte Kompositionen stammen aus dem Jahre 1926. Sein letztes großes Projekt war die Fragment gebliebene Universe Symphony, außerdem sind noch Skizzen zu einer dritten Klaviersonate überliefert.
1927 wurden die ersten beiden Sätze seiner 4. Sinfonie uraufgeführt; zwei Jahre später erschien in der „New Musical Quaterly“ erstmals der kommerzielle Druck des zweiten Satzes dieser Sinfonie. Ebenfalls 1927 trat Ives der fortschrittlichen „Pan American Association of Composers“ bei. Zu Beginn der 30er Jahre wurden in den europäischen Konzerten dieser Vereinigung erstmals auch Orchesterwerke von Ives aufgeführt. 1939 führte der Pianist John Kirkpatrick als erster Ives‘ musikalisches Hauptwerk, die Concord-Sonate, auf. Dieser Künstler setzte sich nach dem Tode des Komponisten dafür ein, dass der gesamte musikalische Nachlass zur Universität Yale gelangte. Für seine 3. Sinfonie wurde Ives 1947 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Einen Großteil von Ives‘ Gesamtwerk bilden die Textvertonungen: Er komponierte 153 Lieder (plus ca. 50 Bearbeitungen bzw. Mehrfachversionen derselben Musik sowie Fragmente) und 40 Chorwerke. Mit der an Einzelstücken reichsten Gruppe folgt die Klavier- und Kammermusik. Ives‘ Orchestermusik lässt sich in zwei Gruppen aufteilen: einerseits eine Reihe kurzer Stücke unterschiedlicher Besetzung und Anspruchshaltung, andererseits das sinfonische Werk mit vier Sinfonien, zwei „Orchestral Sets“ (Orchestersätzen), einer symphonischen Suite und der Robert Browning-Ouvertüre.
Ives‘ gesamtes Œuvre ist durch eine forschende Haltung des Komponisten gekennzeichnet. Die Verbindung traditioneller und experimenteller Ansätze und Anschauungen brachte immer neue Figurationen hervor, in denen eine vollkommene Gleichberechtigung gegensätzlicher Ausdrucksmittel verwirklicht ist. Die Fülle der verwendeten technischen Mittel und unterschiedlichen Satztechniken macht eine eindeutige Festlegung seines Gesamtwerkes auf eine kompositorische Richtung nahezu unmöglich und ist gleichzeitig Ausdruck der Einzigartigkeit seines Schaffens. Ives hatte keine direkten Vorgänger oder Nachfolger im Sinne einer musikalischen Traditionslinie.
Der Komponist unterzog seine Musik unaufhörlichen Bearbeitungen. Im Falle der Concord-Sonate gibt es zwei Druckausgaben (eine aus dem Jahre 1921 und eine aus dem Jahre 1947), zu denen darüber hinaus 14 Varianten existieren sowie eigenständige Transkriptionen zum ersten Satz. Hinter dieser Arbeitsweise steht Ives‘ Auffassung, dass die notierte Komposition lediglich die Momentaufnahme eines der Idee nach unabschließbaren Prozesses darstellt.
Innerhalb seiner Musik kommt der Verwendung von Zitaten oder Modellen eine besondere Bedeutung zu. Der Schwerpunkt liegt hierbei außerhalb der Kunstmusik: protestantische Hymnen des 19. Jahrhunderts, patriotische Lieder, Blas- und Militärmusik, Schlager, sog. „College Songs“ und instrumentale Tanzmelodien sind hier zu nennen. Der Gebrauch dieser Modelle ist außerordentlich kompliziert und immer den jeweiligen Gegebenheiten der Formen und Programme angepasst.
Ives‘ Werke zeichnen sich durch eine Mehrdeutigkeit der harmonischen und thematischen Konstruktion aus und erwecken so oftmals eine Richtungs- oder Ziellosigkeit der klanglichen Aussage. Der Komponist verfügte über alle für ihn denkbaren Tonsysteme, wie auch bi- und polytonale, und entwickelte neue klangliche Mittel, mit denen er seiner Zeit weit voraus war. Spieltechnische und rhythmische Neuerungen finden sich in seinen Werken ebenso wie die Verwendung ausgefallener Instrumente und neuer räumlicher Konzeptionen. E.H.

Hörtipps:
- Symphony No. 2, Robert Browning Ouverture, Nashville Symphony Orchestra, Kenneth Schermerhorn, Naxos.
- Piano Sonata No. 2, Herbert Henck, Wergo.
- Twelve Songs by Charles Ives, Theo Bleckmann, Kneebody, Music Edition, Winter & Winter.
Lesetipps:
- Buch: Wolfgang Rathert, Charles Ives, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt.

Donnerstag, 12.09.2013

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