Ibert, Jacques (1890 - 1962)

kultur 96 - Mai 2013

Der französische Komponist war der einzige Sohn des Außenhandelskaufmanns Antoine Ibert und dessen Frau Marguerite, geb. Lartigue, einer begabten Pianistin. Jacques erhielt bereits mit vier Jahren Violin- und Klavierunterricht und zeigte früh eine offenkundige musikalische Begabung. Der spanische Komponist M. de Falla, der ein Freund der Familie war, sprach sich für eine Bewerbung Iberts am Pariser Conservatoire aus. Zuvor hatte sich Ibert verschiedenen Studien unterzogen, zu denen auch die Ausbildung zum Kaufmann und Schauspielunterricht zählten. Zu seinen Lehrern am Conservatoire gehörten A. Gédalge, E. Pesard, P. Vidal und G. Fauré. In einem Kurs für besonders begabte Studenten freundete sich Ibert mit D. Milhaud und A. Honegger an, mit denen er später auch Gemeinschaftskompositionen schrieb. Seinen Lebensunterhalt verdiente er damals als privater Musikpädagoge, Komponist von populären Chansons und Tanzmusik, Verfasser von Konzerteinführungen und Improvisator in einem Stummfilmkino am Montmartre.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Ibert sofort eingezogen und diente zunächst als Krankenpfleger und bis Kriegs­ende als Marineoffizier in Dünkirchen.
Mit seiner Kantate Le Poète et la fée gewann Ibert 1919 den begehrten Rompreis für Komposition. Zusammen mit seiner Frau, der Bildhauerin Rosette Veber, hielt er sich für drei Jahre in der Villa Medici in Rom auf, unterbrochen von ausgedehnten Reisen in den Mittelmeerraum. Mit den in Italien entstandenen Werken wie der Orchestersuite Escales (1922), dem zehnteiligen Klavierzyklus Histoires (1922) und der Ballade de la geôle de Reading für Orchester (1921) machte sich Ibert in seiner Heimat einen Namen. Der nachhaltige Erfolg seiner einaktigen Farce Angélique (1926) machte ihn schließlich weit über die Landesgrenzen hinaus zu einem der bekanntesten französischen Komponisten seiner Generation.
Ibert lehrte an der Ecole universelle und schrieb dafür eine zweibändige Abhandlung über Instrumentation und Orchestration (1925). In erstaunlicher Produktivität, besonders zwischen 1928 und ’36, komponierte er zahlreiche Film- und Bühnenmusiken, Instrumentalwerke, Solokonzerte und Ballette für Ida Rubinstein, beteiligte sich an mehreren Kollektivkompositionen und schrieb Musikkritiken. Ibert setzte sich für die zeitgenössische Musik ein und war von den neuen Medien Film und Rundfunk begeistert. 1932 war er für die Filmmusik für Gustav Wilhelm Pabsts Don Quichotte zuständig, der zu einem Welterfolg wurde. Zwei Werke für das Musiktheater entstanden gemeinsam mit A. Honegger, die Oper ­ L’ Aiglon (1936/37) und die Operette Les Petites Cardinal (1937).
Seit 1937 durchlief Ibert eine bemerkenswerte Verwaltungskarriere, indem er nacheinander bzw. zeitgleich hochrangige Staatsämter im Kulturbereich ausfüllte. Als Direktor der Académie de France mit Sitz in der Villa Medici in Rom engagierte er sich für die französische Kultur in Italien. Mit diesem Amt war eine enorme Reise- und Veranstaltungstätigkeit verbunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Ibert leitende Funktionen an den Pariser Opernhäusern und an französischen Rundfunkanstalten. 1955 wurde er zum „administrateur général de la Réunion des théâtres lyriques nationaux“ gekürt und im Jahr darauf glückte ihm der Einzug ins Institut de France.
Seit 1945 entstanden viele Werke für das Tanztheater - unter ihnen Ballette für Roland Petit und Serge Lifar - und Kompositionen für Film und Rundfunk, zu denen auch eine Partitur für Orson Welles‘ Macbeth-Verfilmung zählt. Von S. Koussevitzky wurde Ibert für einen Kompositionskurs ins amerikanische Tanglewood eingeladen und für Gene Kelly entstand das Filmballett Circus (1952).
Bereits 1931 komponierte Ibert die Symphonie marine, eine Art musikalisches Testament, das erst nach seinem Tode aufgeführt werden durfte.
Der Komponist starb 1962 an den Folgen einer Grippe und wurde im Familiengrab auf dem Cimetière de Passy beim Trocadéro beigesetzt, ganz in der Nähe von C. Debussy und G. Fauré.
In Iberts umfangreichem Œuvre mit etwa 120 Opera finden sich zu fast jedem Genre wichtige Beiträge. Im gängigen Repertoire konnte sich jedoch nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Werken halten; unter ihnen das Flötenkonzert, das Klavierstück Petit Ane blanc aus den Histoires, einige Kammermusikwerke und konzertante Werke. Nur gelegentlich werden die Escales, noch seltener die suites symphoniques oder die Ballettmusiken aufgeführt.
Ibert entsprach einem klassisch-humanistischen Komponistenbild des 19. Jahrhunderts. Er besaß ein außerordentliches Formgefühl in kleinformatiger Klavier- und Kammermusik und einen Sinn für ausgewogene Proportionen in ausladenden symphonischen Sätzen. Seine leichte und eingängige Musiksprache beeindruckt durch instrumentationstechnische Virtuosität und souveränes handwerkliches Können. Der Komponist hatte einen ausgeprägten Sinn für Publikumswirkung und ein Gespür für Zeitströmungen. Seine Vielseitigkeit, Unvoreingenommenheit und der Verzicht auf Dogmatik sicherten ihm die Wertschätzung so unterschiedlicher Musikerpersönlichkeiten wie Wagner, Schönberg und Roussel. E.H.

Hörtipps:
- Divertissement, Escales, Flute Concerto, Symphonie marine, Emmanuel Pahud, José Van Dam, City of Birmingham Symphony Orchestra, Orchestre National de L’O.R.T.F., Louis Frémaux, Jean Martinon, Kent Nagano, David Zinman, EMI.
- La Ballade de la Geôle de Reading, Trois Pièces de Ballett, Féerique, Chant de Folie, Suite Elisabéthaine, Slovak Radio Symphony Orchestra, Adriano, Marco Polo.
- Film Music: Macbeth, Golgotha, Don Quichotte, Slovak Radio Symphony Orchestra, Adriano, Naxos.

Dienstag, 12.11.2013

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