Humperdinck, Engelbert (1854 - 1921)

aus kultur Nr. 40 - 10/2007

„Aber das eine ärgert mich, daß man mir immer mit der Musik ankommt, als wenn diese die Wurzel allen Übels wäre. Wenn ich nicht musikalisch wäre, meint Ihr, daß dann die Studien mehr Interesse für mich hätten, als jetzt? Da man mir nun überall damit entgegen kommt (...) so habe ich zu Deiner gänzlichen Beruhigung beschlossen, der Musik für immer zu entsagen und sogar auf das Conservatorium zu verzichten.“ Diese Nachricht des jungen Gymnasialschülers an seine Mutter verdeutlicht die Schwierigkeiten, denen sich Engelbert Humperdinck durch seine Begeisterung für die Musik ausgesetzt sah. So bestand sein Vater, der in Siegburg als Lehrer angestellte Dichter und Sprachwissenschaftler Gustav Ferdinand Humperdinck, zunächst darauf, dass sein ältester Sohn eine Lehre als Architekt bei dem Kreisbaumeister machte. Als Ergebnis dieser Pflichtübung ist in Seligental in der Nähe von Siegburg ein von Humperdinck erbautes kleines Spritzenhaus zu sehen. Engelberts Mutter, eine musikalisch begabte Frau, die ursprünglich als Sopranistin ausgebildet werden sollte, setzte aber schließlich eine Reise ihres Sohnes zum Kölner Konservatorium durch. Hier wurden dem damaligen Direktor Ferdinand Hiller Kompositionen Humperdincks zur Prüfung vorgelegt. Daraufhin wurde er im Mai 1872 studiosus musicae und erhielt Unterricht in Klavierspiel, Violoncello- und Orgelspiel, Harmonielehre, Kontrapunkt und Komposition. Humperdinck gewann ein Stipendium der Frankfurter Mo­zartstiftung, das es ihm ermöglichte sich im Sommer 1877 als Privatschüler von Franz Lachner in Bernried am Starnberger See aufzuhalten. Bis zum Sommer 1879 besuchte er außerdem die Musikschule in München, wo ihn u.a. Prof. Josef Rheinberger unterrichtete. In dieser Zeit zog den jungen Komponisten die dortige Aufführung von Richard Wagners Ring in ihren Bann.
Eine Kantate für Soli, Chor und Orchester, "Die Wallfahrt nach Kevelaer", erzielte den ersten Preis der Felix Mendelssohn-Bartholdy Stiftung in Berlin. Humperdinck verbrachte daraufhin ein Jahr in Italien, wo er u.a. den verehrten Richard Wagner in Neapel besuchte. Wagner lud Humperdinck ein, ihn bei den Vorbereitungen zur Aufführung des "Parsifal" zu unterstützen. 1881 hielt sich Humperdinck daher in Bayreuth auf, wo er auch die Leitung des Musikvereins übernahm. Nach dem Gewinn des Meyerbeer-Preises reiste der Komponist im Jahr darauf nach Paris, wo ihn (nach einem kurzen Intermezzo in Venedig) die Nachricht vom Tode Wagners erreichte. Seine Reise führte ihn weiter nach Spanien; seine Eindrücke verarbeitete er in der "Maurischen Suite", die er später in die "Maurische Rhapsodie" umarbeitete.
Seit November 1882 war Humperdinck kurzzeitig 2. Kapellmeister am Kölner Stadttheater; nach Aufenthalten in München und Bayreuth kehrte er 1884 ins Rheinland zurück und wurde im Februar '85 musikalischer Gesellschafter der Villa Hügel von Alfred Krupp in Essen. Im November des selben Jahres übernahm er eine Professur am Konservatorium in Barcelona, kehrte aber 1886 Spanien wieder den Rücken und trat schließlich (nach kurzzeitiger Anstellung am Kölner Konservatorium) 1888 das Amt des Verlagslektors der Firma Schotts Söhne an. In dieser Funktion und später als Inhaber des Opernreferats der Frankfurter Zeitung war er ein Wegbereiter der Lieder Hugo Wolfs.
Humperdincks Schwester, Adelheid Wette, übersandte ihrem Bruder im April 1890 vier selbstgeschriebene Kinderliedtexte und bat ihn, diese zu vertonen. Dieses Miniaturwerk legte den Grundstein für die Oper "Hänsel und Gretel", deren Uraufführung Richard Strauss am 14. Dezember 1893 leitete. "Hänsel und Gretel" brachte Humperdinck weltweiten Ruhm ein: Bei der späteren Erst­aufführung im Jahre 1905 in New York wurde der Komponist von Präsident Roosevelt im Weißen Haus empfangen.
Von 1891 bis '97 hatte der Komponist ein Lehr- und Kritikeramt in Frankfurt inne. Bis 1900 wohnte Humperdinck zurückgezogen mit seiner Familie in Boppard am Rhein, bevor er nach Berlin übersiedelte, um einem Ruf als Vorsteher einer Meisterklasse für Komposition an der Musikhochschule nachzukommen. Zehn Jahre später erhielt er hier die Würde eines Ehrendoktors zugesprochen und wurde als Nachfolger von Max Bruch zum Direktor der Theorie- und Kompositionsabteilung gewählt.
Einen weiteren Erfolg erzielte Humperdinck mit der Komposition der Oper "Die Königskinder", die an der Metropolitan Opera in New York am 28. Dezember 1910 uraufgeführt wurde. Dieses Werk entstand aus seinem bereits 1897 aufgeführten gleichnamigen Melodram. Humperdincks letzte Komposition war ein Streichquartett.
Seit einer 1892 erlittenen Gehöraffektion war Humperdinck leicht schwerhörig. Im Jahre 1911 hatte der Komponist einen Schlaganfall, von dem ihm eine leichte Lähmung blieb. Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau starb Humperdinck und wurde auf dem Berliner Waldfriedhof Stahnsdorf beigesetzt.
Einer seiner Schüler, der Pianist Walter Niemann, beschrieb den Komponisten folgendermaßen: „Ein ,Lehrer' im strengen pädagogischen-methodischen Sinn war Humperdinck nicht. Er lehrte durch das lebendige Objekt, das Kunstwerk selbst. Sprechen tat er nicht viel; er war wie Robert Schumann ein großer Schweiger und immer, selbst bei Tisch, tief in sein Inneres und seine musikalischen Ideen versponnen. Er sprach mit leiser, gütiger, leicht siegerländisch gefärbter Stimme, knapp, sachlich, warm, wie denn der herzensgütige, stille Mensch - neckender Humor ersetzte das rheinische Temperament - und der poesievolle Tonpoet des deutschen Waldes Eins waren. Er lebte und webte in einem innigen, glück­lichen und einfachen bürgerlichen Familienleben. Von seinen eigenen Werken sprach er nie; er war der bescheidenste, aber dadurch umso größere Künstler. Noch sehe ich ihn vor mir stehen, immer ein wenig versonnen, verträumt und vielleicht ein wenig kränklich und müde.“ E.H.

Zum Nachlesen:
- Wolfram Humperdinck, Engelbert Humperdinck: Das Leben meines Vaters, Görres Verlag.
- Hans-Josef Irmen, Die Odysee des Engelbert Humperdinck, Salvator Verlag.

Zum Nachhören: (s. auch S. 8)
- Hänsel und Gretel, Tate, Otter, Bonney, Bayerisches Radiosinfonieorchester, EMI.
- Königskinder, Moser, Weber, Kohn, Luisi, Münchner Rundfunkorchester, Calig.
- Märchenmusiken, Rickenbacher, Bamberger Symphoniker, Virgin Classics (EMI).

Mittwoch, 05.01.2011

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