Glinka, Michail Ivanovic (1804 - 1857)

kultur 77 - Juni 2011

Der Sohn eines adeligen Gutsbesitzers wurde auf dem Landsitz Nowospaskoje im Kreis Elninsk, ehemaliges Gouvernement Smolensk, geboren. Die erste Musik, die Glinka hörte, waren die Volksweisen der damals noch leibeigenen Bauern. Ein Leibeigener aus dem Orchester seines Onkels lehrte ihn, Geige zu spielen, bevor er Klavierunterricht von einer deutschen Gouvernante erhielt. 1817 wurde Glinka Schüler der adligen Pension bei dem Pädagogischen Hauptinstitut in Sankt Petersburg. Dort galt sein Interesse vor allem fremden Sprachen; er lernte Französisch, Deutsch, Englisch, Lateinisch (und später auch noch Spanisch). Nach seinem Abitur im Jahre 1822 stand ihm der Staatsdienst offen, den er als Sekretärgehilfe beim Amt für Verkehrswesen antrat.
In St. Petersburg machte der Dekabrist (die Dekabristen forderten eine freiheitliche Verfassung an Stelle der zaristischen Alleinherrschaft) W.K. Küchelbecker Glinka mit der modernen russischen Literatur, besonders den Gedichten Shukowskis und Puschkins, bekannt. Durch diese Anregung entstanden Glinkas erste Lieder und Romanzen. Nach wenigen Unterrichtsstunden bei dem irisch-englischen Pianisten und Komponisten John Field übernahm der Klaviervirtuose Karl Mayer Glinkas weiteren Unterricht. In der Adelsgesellschaft der Hauptstadt trat Glinka nicht nur als ausgezeichneter Klavierspieler, sondern häufig auch in Liebhaberaufführungen von Opernszenen auf, da er eine wohlklingende Tenorstimme besaß.
Im Frühjahr 1830 trat der Komponist eine mehrjährige Auslandsreise an. Nach dem Besuch einiger deutscher Kurorte war das erste Ziel Mailand. Dort lernte er die Komponisten V. Bellini und G. Donizetti näher kennen. Glinka bereiste auch Mittel- und Süditalien, wo er Felix Mendelsohn Bartholdy und den Rompreisträger Hector Berlioz traf. 1833 fuhr Glinka wegen einer Nervenüberreizung nach Baden bei Wien zur Kur. Hier hörte er die gefeierten Tanzkompositionen Josef Lanners und Johann Strauß‘. Im Herbst desselben Jahres ging Glinka nach Berlin. Bei dem Theoretiker und Musikgelehrten Siegfried Dehn vervollkommnete er seine musiktheoretischen und instrumentatorischen Fertigkeiten. Dieser bestärkte Glinka auch in seinem Vorhaben, eine nationalrussische Musik zu schaffen.
Aufgrund des Todes seines Vaters kehrte Glinka im April 1834 nach Russland zurück. Hier heiratete er die Schwester seines Schwagers Stunajew; diese Ehe hielt aber nur vier Jahre und wurde dann wieder geschieden.
1835 entstand seine erste Oper Iwan Sussanin, die im Jahr darauf unter dem geänderten Titel Ein Leben für den Zaren uraufgeführt wurde. Während das Werk von den adligen Gesellschaftskreisen geringschätzig aufgenommen wurde, war das übrige Publikum von dem nationalen Charakter der Handlung und der Musik begeistert. Von W. Odojewski stammt der zukunftsweisende Ausspruch: „Mit der Oper Glinkas beginnt in der Geschichte eine neue Etappe: die Periode der russischen Musik“.
Von 1837-39 leitete der Komponist die kaiserliche Hofsängerkapelle. Glinka war ein gern gesehener Gast der sogenannten „Brüderschar“, einer ungebundenen Gemeinschaft von Schriftstellern, Sängern und bildenden Künstlern um die Brüder Kukolnik. Zu Nestor Kukolniks Tragödie Fürst Cholmski schrieb Glinka 1840 die Bühnenmusik. Fünf Jahre lang arbeitete Glinka an seinem zweiten großen Bühnenwerk Ruslan und Ludmilla, das nach einem Gedicht Puschkins entstand und 1842 uraufgeführt wurde. Hof, Adel und Presse verhielten sich ablehnend und nach 32 Aufführungen verschwand die Oper wieder vom Spielplan. Die Enttäuschung darüber konnte Glinka nie ganz verwinden. Elf Jahre nach der Uraufführung wurde die Originalpartitur bei einem Brand des Großen Theaters in Moskau vernichtet.
1844 reiste Glinka nach Paris; hier schloss er Freundschaft mit Hector Berlioz. Dieser setzte sich für den Komponisten und dessen Musik in Wort und Tat ein, wodurch Glinka mit einem Schlag zu einer berühmten Persönlichkeit in den Musikkreisen der Stadt wurde. Während man ihn in Paris feierte war sein Name in der Heimat fast ganz vergessen.
Während eines zweijährigen Spanienaufenthalts interessierte sich Glinka besonders für die Volksmusik dieses Landes. Es entstanden u.a. die Kompositionen Jota Aragonesa (s.u.) und Souvenir d’une nuit d’été à Madrid. Im Juli 1847 kehrte Glinka wieder nach Nowospaskoje zurück; im Jahr darauf siedelte er nach Warschau über. Durch das Orchester des Statthalters in Warschau lernte Glinka Teile aus Glucks Orpheus und Eurydike und Iphigenie auf Tauris kennen.
1851 kehrte Glinka nach Sankt Petersburg zurück, um dort mit der Familie seiner Schwester Ludmilla zu leben. In dieser Zeit sammelte sich um ihn ein Kreis von Musikern, unter ihnen Mili Balakirew, um gemeinsam zu musizieren.
1952 trat er erneut eine zweijährige Auslandsreise mit dem Ziel Spanien an, gelangte aber nur bis Frankreich. In Paris entstanden Teile der bereits lange geplanten Kosakensinfonie Taras Bulba, die Glinka jedoch wieder vernichtete.
1854 verfasste Glinka seine Memoiren. Durch Wladimir Stassow wurde er zur Beschäftigung mit altrussischer Kirchenmusik angeregt, was ihn dazu veranlasste, nochmals nach Berlin zu reisen und mit S. Dehn kontrapunktische und kirchentonartliche Studien zu betreiben. Giacomo Meyerbeer brachte 1857 in Berlin zu Ehren Glinkas das Terzett aus dem Epilog von Iwan Sussanin bei einem Hofkonzert zur Aufführung. Wenige Wochen nach dem Besuch dieses Konzerts starb Glinka an einem Leberleiden. Nur fünf Personen nahmen an seiner Beisetzung in Berlin teil. Seine Schwester veranlasste bald die Überführung der Leiche auf den Friedhof des Alexander-Newski-Klosters in Sankt Petersburg.
Glinka gilt als Begründer einer nationalrussischen Oper. Er schuf eine neue russische Kunstmusik und wurde u.a. zum Vorbild für die Komponisten des „Mächtigen Häufleins“ um Balakirew. In seiner Oper Iwan Sussanin tritt zum ersten Mal überhaupt das russische Volk auf die Bühne und zwar als entscheidender Handlungsträger. Glinka war ein Meis­ter der Instrumentation. Von der Orchesterphantasie Kamarinskaja aus dem Jahre 1848 sagte Tschaikowsky bewundernd, dass sich in ihr „die ganze Zukunft der russischen sinfonischen Musik wie die Eiche in der Eichel“ verberge.
In Berlin-Mitte gibt es eine Glinkastraße. Dort befindet sich ein großes Wandrelief mit dem Kopf Glinkas und dem Ausspruch „Es ist das Volk, das die Musik schafft. Wir Musiker arrangieren sie nur“. E.H.

Hörtipps:
- Orchestral Works, Musica Viva, Alexander Rudin, Fuga Libera.
- Chamber Music, Mikhail Pletnev & Soloists Ensemble, Olympia.

Donnerstag, 12.09.2013

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