Brahms, Johannes (1833 - 1896)

kultur 81 - Dezember 2011

„Ich dachte … es würde und müsse … einmal plötzlich einer erscheinen, der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre, einer, der uns die Meisterschaft nicht in stufenweiser Entfaltung brächte, sondern, wie Minerva, gleich vollkommen gepanzert aus dem Haupte des Kronion entspränge. Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms …“ Dieser Auszug aus einer begeisterten Lobeshymne auf den jungen Komponisten stammt von Robert Schumann, dem Brahms 1853 seine Kompositionen vorgestellt hatte.
Johannes Brahms war niedersächsisch-norddeutscher Abstammung; sein Vater war der erste innerhalb des Familienzweiges, der die Musik zu seinem Beruf machte. Johann Jacob Brahms war als Stadtpfeifer (s.u.) ausgebildet und spielte u.a. im Städtischen Orchester von Hamburg Kontrabass. In der Hansestadt wurde Brahms geboren und erhielt, ebenso wie sein drei Jahre jüngerer Bruder Friedrich, bereits früh privaten Musikunterricht im Klavierspiel. Sein erster Lehrer O.F.W. Cossel erkannte Johannes’ außergewöhnliche Begabung, beklagte aber, dass er „das ewige Componiren nicht lassen“ könne. Brahms hatte eine ausgeprägte Fähigkeit zu improvisieren und ohne Noten zu spielen.
Mit zehn Jahren wurde er von Eduard Marxen in Musiktheorie und Komposition unterrichtet. Schon von Jugend an war er an musikgeschichtlichen Zusammenhängen und theoretischen Entwicklungen interessiert. Wann immer es ihm möglich war, erwarb er Bücher und Noten und verfügte bald über eine reichhaltige Bibliothek.
Als versierter Pianist spielte Brahms auf privaten Festlichkeiten, als Begleiter im Stadttheater und in bürgerlichen Esslokalen, die sich sonntags einen Klavierspieler leisten konnten. Bereits als Vierzehnjähriger begann Brahms, selbst Klavier zu unterrichten.
1847 gab er sein erstes öffentliches Konzert, 1851 wurde sein erstes Klavierwerk, das Scherzo in es-Moll op. 4, gedruckt. Zwei Jahre später unternahm er seine erste Konzertreise zusammen mit dem Geiger Eduard Hoffmann, der sich Reményi nannte. In Hannover lernte Brahms den Geiger Joseph Joachim kennen, der ihn auf Franz Liszt in Weimar und Robert Schumann in Düsseldorf aufmerksam machte. Nach einem sechswöchigen Aufenthalt bei Liszt in Weimar machte Brahms schließlich im September 1853 dem Ehepaar Schumann in Düsseldorf seine Aufwartung. Schumanns Begeisterung über den jungen Komponisten äußerte dieser in dem berühmten Artikel „Neue Bahnen“ in der Neuen Zeitschrift für Musik, der im Ok­tober desselben Jahres erschien (s.o.). Auch Schumanns Frau Clara war von Brahms fasziniert. Die beiderseitige Zuneigung äußerte sich besonders in dem darauffolgenden vierjährigen Briefwechsel (1854-58), dessen Zeugnisse jedoch fast vollständig vernichtet wurden. Die Pianistin blieb dem Komponisten lebenslang freundschaftlich verbunden und stellte in ihren Konzerten regelmäßig Brahms‘ Kompositionen vor.
In Detmold erhielt Brahms 1857 die Gelegenheit, mit der fürstlichen Kapelle zu arbeiten und Orchestererfahrungen zu sammeln. Ergebnis dieses Aufenthalts waren die beiden Orchester-Serenaden op.11. Von 1859-62 arbeitete Brahms in unregelmäßigen Abständen mit einem Hamburger Frauenchor zusammen, für den einige Kompositionen entstanden, unter ihnen das Ave Maria op. 12. Brahms kam dadurch mit der a-cappella-Musik in Berührung und beschäftigte sich mit der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts, was seinen Sprach- und Formenschatz bereicherte.
Während seine Anerkennung stetig wuchs, hoffte Brahms auf die Nachfolge von F.W. Grund als Dirigent der Philharmonischen Konzerte in Hamburg. 1862 wandte er sich nach Wien, wo der berühmte Kritiker Eduard Hanslick zu einem zuverlässigen Freund und Förderer des Komponisten wurde. Da sich Brahms Hoffnungen auf eine Zukunft in Hamburg zerschlugen, nahm er 1863 die Berufung zum Leiter der Singakademie in Wien an, wenn auch nur für eine Konzertsaison.
1864 lernte er den Dirigenten Hermann Levi kennen, der in den folgenden Jahren zu einem der wichtigsten Förderer seiner Kompositionen wurde. Später (ab 1881) übernahm der Dirigent Hans von Bülow die Aufgabe der Verbreitung seiner Werke und trat für eine authentische Brahms-Interpretation ein.
Von den Honoraren seiner Werke und den Einnahmen aus seiner Konzerttätigkeit konnte Brahms mittlerweile gut leben und auch seine Familie und andere unterstützen. 1871 bezog er sein endgültiges Domizil in der Wiener Karlsgasse Nr. 4. In den Jahren 1872-75 nutzte der Komponist seine Stellung als Dirigent der Gesellschaftskonzerte, um die Wiener mit den großen Werken der Barockmusik bekannt zu machen. Brahms war auch dafür verantwortlich, dass Antonin Dvo?ák 1872 ein Stipendium der österreichischen Regierung gewährt und der Kontakt zu dem Verleger Simrock hergestellt wurde.
Als Dank für die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Breslau entstand 1880 die Akademische Festouvertüre op. 80. Weitere Auszeichnungen erfolgten 1887 durch Kaiser Wilhelm mit dem Orden „Pour le mérite“ der Friedensklasse und 1889 durch den österreichischen Kaiser mit dem „Komthurkreuz des Leopolderordens“.
Die enge Freundschaft mit dem kunstsinnigen Herzogspaar Georg II. und Helene Freifrau von Heldburg in Meinigen ermöglichte es Brahms, unbeachtet von der Öffentlichkeit, mit dem hervorragenden Meiniger Hoforches­ter zusammenzuarbeiten. Dort lernte er auch den berühmten Klarinettisten Richard Mühlfeld kennen, für den wunderbare Kammermusikwerke für dieses Instrument entstanden.
Auch wenn Brahms vier Sinfonien und einige Orchesterwerke komponierte, ist seine eigentliche Domäne dennoch die Kammermusik. Das wichtigs­te gestalterische Mittel seiner Kompositionen ist die (von Schönberg so genannte) „entwickelnde Variation“. Brahms bildet aus dem motivischen Material immer neue Ableitungen, die ihrerseits wieder variiert werden. Die Geschlossenheit der Form wird durch ein Netz motivischer Beziehungen gewährleistet.
Brahms, der selbst ständig konzertierte, beschäftigte sich immer wieder mit klaviertechnischen Problemen und legte sich hierfür eine reichhaltige Beispielsammlung eigener Klavierübungen an. Ein Teil davon – 51 Übungen – wurde ohne Opuszahl 1893 veröffentlicht.
Brahms‘ Requiem für Clara Schumann, die im Frühjahr 1896 begraben wurde, sind die vier ernsten Gesänge op. 121. Ein Jahr später starb auch der Komponist selbst – wie bereits sein Vater – an Leberkrebs. Tausende begleiteten den Trauerzug von der Karlsgasse zum Wiener Zentralfriedhof. E.H.

Lesetipp:
- Heinz Becker, Brahms, Metzler.
Hörtipps:
- Ein deutsches Requiem, Wiener Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt, RCA.
- Symphonies Nos. 3 & 4, Sir Charles Mackerras, Scottish Chamber Orchestra, Telarc.
- Piano Sonata No. 3, Four Ballades, Daniel Barenboim, apex.
- Complete sonatas for piano and violin op. 78, 100, 108, Xuesu Liu, piano, Daniel Gaede, violin, Tacet.

Donnerstag, 12.09.2013

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